King of Oil: Vom mächtigsten Rohstoffhändler der Welt zum Gejagten der USA

Marc Rich polarisiert. Einige bezeichneten ihn als “den schlimmsten Teufel” oder sogar als “wahrhaftigen Fürsten der Finsternis”. Andere wiederum bewunderten ihn, sahen teilweise gar eine Art Gott in ihm. Wer ist dieser Marc Rich, der die Meinungen derart spaltet? Eine Antwort auf diese Frage sucht der Journalist Daniel Ammann in seinem preisgekrönten Porträt.

Geboren wird Marc Rich als Marcell David Reich 1934 in Antwerpen. Seine Eltern sind orthodoxe Juden. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis. Nach einer Odyssee durch Frankreich und Marokko gelingt es der Familie Reich dank Beziehungen, Visa für die USA zu erhalten. In den USA wird aus dem Familiennamen Reich bald Rich, und Marcell wird fortan Marc genannt.

Dank des jüdischen Umfelds der Familie erhält Marc Rich 1954 eine Anstellung beim Rohstoffhändler Philipp Brothers. Von der Pike auf lernt Rich, der im Postbüro anfängt, den weltweiten Rohstoff-Handel kennen. Schon bald ist er sehr erfolgreich. Er erhält verantwortungsvolle Aufgaben, steigt auf und bereist die Welt. Dank seiner guten Nase für Geschäfte erwirtschaftet er für die Gesellschaft immer wieder beachtliche Gewinne. Mit der Zeit fühlt sich Rich in der Firma unterbezahlt, und teilweise auch in seiner geschäftlichen Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Er macht sich daher 1974 mit einigen anderen Tradern selbständig. Die neue Gesellschaft hat ihren Sitz im Schweizerischen Zug.

Die Marc Rich + Co. wird zu einem grossen Player im Rohstoffhandel. Rich macht Geschäfte rund um den Globus, teilweise auch solche, die vielen Betrachtern moralisch fragwürdig erscheinen. Auch in den USA unterhält Richs Firma Niederlassungen. Aufgrund bestimmter geschäftlicher Aktivitäten in den USA, aber auch in verfeindeten Staaten wie dem Iran, gerät Rich 1981 ins Fadenkreuz der amerikanischen Justiz. Er setzt sich in die Schweiz ab, von wo aus er – im Grossen und Ganzen unbehelligt – weiter seinen Geschäften nachgeht. Nach einer langen Erfolgsperiode hat Rich Anfang der Neunziger geschäftlich und auch privat eine Pechsträhne, und muss 1993 schliesslich einem Management-Buyout zustimmen. Mit einem Verkaufserlös von rund 600 Millionen Dollar verlässt er seine Firma, welche mittlerweise jährlich 30 Milliarden Dollar Umsatz macht, und bald nach seinem Abgang in Glencore umbenannt wird.

Glencore ist bis heute einer der mächtigsten Rohstoffhändler der Welt. Die Firma, die nach wie vor in der Zentralschweiz beheimatet ist, machte jüngst durch ihren Börsengang von sich reden. Den Grund für diesen Schritt sehen Beobachter in der Tendenz vieler Rohstoffhändler, selber in die Rohstoffgewinnung bzw. -Produktion einzusteigen. Dieses Geschäft setzt hohe Infrastrukturinvestitionen voraus, was selbst einen Giganten wie Glencore zur Beschaffung neuer Kapitalmittel treibt. Der Preis für diese Mittelbeschaffung ist eine grössere Transparenz, welche aufgrund der herrschenden Börsenregeln unumgänglich ist. Glencore bezahlt damit sicher einen hohen Preis, denn die Firma blieb dem Prinzip der Verschwiegenheit stets treu, welches noch auf den Gründer Marc Rich zurückging.

Diese berühmt-berüchtigte Verschwiegenheit Marc Richs macht es umso erstaunlicher, dass es dem Schweizer Journalisten Daniel Ammann im Zuge seiner Recherchen für sein Buch gelang, Marc Richs Zusage für ein persönliches Treffen zu erhalten. Mehr noch, der Journalist konnte den legendären Rohstoffhändler bei zahlreichen Gesprächen sogar mehr als dreissig Stunden lang interviewen. Dies, obwohl Ammann gemäss eigenen Angaben von Beginn an klar machte, dass er kein heikles Thema aussparen und auch keine autorisierte Biographie schreiben werde. Neben den Gesprächen mit Rich dienten Ammann auch zahlreiche weitere Recherchen und Gespräche mit Vertrauten, Freunden und Gegnern als Quellen.

Ammann geht den Fall Rich ohne Vorurteile und mit grosser Gründlichkeit an. Er stützt seinen Bericht wenn immer möglich auf mehrere Quellen, und macht auch deutlich, wenn sich die verfügbaren Informationen oder Aussagen in bestimmten Punkten widersprechen. Statt der üblichen Schwarz-Weiss-Rhetorik dringt Ammann tiefer in die Fakten ein, um ein differenziertes Bild von Rich zu zeichnen. Er zeigt auf, wie Rich denkt und seine eigenen Handlungen beurteilt. Insbesondere hinsichtlich der Strafverfolgung durch die USA ist diese Betrachtungsweise interessant, da man als externer Betrachter schnell geneigt ist bzw. war, Rich als Sündenbock wahrzunehmen.

Unabhängig davon beschleicht einem als Leser jedoch zeitweise das Gefühl, dass der Autor aufgrund der erreichten Nähe zu Rich ein gewisses Wohlwollen entwickelt hat, welches die zu Beginn formulierte Unabhängigkeit etwas zurückdrängt. Andererseits ist es durchaus wohltuend, die Geschichte Marc Richs einmal aus einem anderen, weniger negativen Blickwinkel zu hören, noch dazu untermauert mit zahlreichen Fakten.

Schliesslich stellt Ammann Rich auch die Frage nach der Moral seiner Geschäfte, und legt anschliessend dessen Sichtweise dar. Dennoch bleiben hier gewisse Fragen offen. Während der exzellente und zweifellos vorhandene Geschäftssinn Richs ausgiebig und anhand zahlreicher Beispiele illustriert wird, werden die moralischen Aspekte zwar wiederholt angeschnitten, jedoch nicht zufriedenstellend beantwortet. Ob diese Kritik Ammann zu gelten hat, oder Rich bei den entsprechenden Fragestellungen schlicht nicht mehr zu entlocken war, bleibt offen. Hilfreich und zugleich ein gutes Schlusswort sind hier wohl einzig die Worte Ammanns im Epilog: „Das alles (Anm.: die teilweise moralisch fragwürdigen Geschäfte Richs) könnte man guten Gewissens kritisieren, wäre die Welt einfach in Schwarz oder Weiss einzuteilen. Die Realität allerdings ist vielschichtiger, das Leben entzieht sich vorgefassten Meinungen.“

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1 Comment

  • Carl Cornichon

    Es ist einfach und unverfänglich, die “Moral” in Frage zu stellen. Es geht immer darum, dass der Moralist einem Mitmenschen in dessen Angelegenheiten dreinreden will, ohne dass er von dessen Handlungen auch nur im entferntesten betroffen wäre, und ohne dass es irgendwelche Schäden oder Opfer zu beklagen gäbe. Das ist die Story von Marc Rich. Zu einfach? Zu wenig vielschichtig? Ist die Realität komplexer? Gibt es verschiedene Ursachen? Ja dann – viel Spass beim Forschen in den nächsten 20 Semestern…

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