«Jetzt bin ich am Kämpfen, damit ich durchkomme»

Erfahrungen und Wege von Menschen, die draussen helfen und mittendrin sind. Eine Begegnung mit der St. Galler Drogenszene.

Nichts, leider» – antwortet Mark auf meine Frage, was er denn mache. Wir sitzen im Garten des «Schwarzen Engels», obwohl sich das Wetter von seiner hässlichen Seite zeigt, und trinken Bier. Es ist Donnerstagnachmittag, aber dazu später mehr.

Der Phönix aus der Asche

Meine erste Anlaufstelle in der Szene am Dienstag zuvor ist Thomas Feurer, der viele Erfolge in seinem Leben verzeichnen kann. Er war Hoteldirektor, Vertreter einer Schweizer Versicherung und auch als Model und Filialleiter erfolgreich. «Ich war immer auf Drogen. Die Leute merken das nicht. Auf der Autobahn in der Nacht mit 120 Sachen hatte ich mir oft einen Schuss gesetzt. Heroin, Kokain, Benzos, alles was man spritzen kann, habe ich konsumiert. Man gewöhnt sich vollkommen daran. Es ist nur am Anfang so, dass es dich weghaut. Nach einem Monat bist du so daran gewöhnt, dass du es brauchst, um normal zu sein. Ich hatte eine Wohnung, Autos, was man so braucht.» Das Koks trieb ihn in den Wahnsinn und er tauschte sein Leben gegen die Strasse. «Eines Tages bin ich dann ausgezogen und nie mehr zurückgekommen. Ich überliess die Wohnung denen, die sie räumten. Ich wollte nur noch am Bahnhof sein und habe im Gebüsch geschlafen und so gelebt,» erzählt Feurer .
Nachdem er begonnen hatte sich in die Leiste zu spritzen, da die Armvenen nicht mehr viel hergaben, bekam er ein dickes Bein. Irgendwann ist er umgekippt und im Krankenhaus wieder aufgewacht. Sieben Monate war er dort. In dieser Zeit erlangte er die Erkenntnis, dass er etwas tun müsse – nicht nur für sich, sondern auch, um andere zu retten. Das war die Geburtsstunde seines Vereins «Endlesslife», in dem er sich seither mit Vehemenz und viel Engagement um Drogenabhängige kümmert.

Eine, die versteht und helfen will

Bevor ich Mark kennen lernen soll, treffe ich mich mit Kathrin Wenger in ihrem Büro am Unteren Graben. Kathrin ist 33 Jahre alt. Nach ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau hat sie in der Psychiatrie gearbeitet und danach soziale Arbeit studiert. Seit 2016 ist sie Leiterin des «Blauen Engel», eine Abteilung der Stiftung «Suchthilfe». Sie resümiert: «Wir haben eine offensichtliche Drogenszene in St. Gallen. Im Monat geben wir ca. 7000 Spritzen für Heroinabhängige heraus. Dies entspricht jedoch nicht der Anzahl Schüsse, die gesetzt werden, denn Heroin ist ein kurzwirksames Mittel und muss mehrmals täglich konsumiert werden. Wir haben in der Heroingabe 74 Plätze und ca. 100 in der Methadonabgabe. Aber es gibt auch Hausärzte, die substituieren. Insgesamt sind es demnach sicher mehr.»
Sie zeigt mir den Katharinenhof in der Goliathgasse 12. Dort können Süchtige sauberes Injektionsmaterial beziehen. In dem Gebäude fallen die blauen Kacheln an den Wänden, die Industrieleuchten und die ordentlichen, auf den Tischen gestapelten Stühle auf. Alles wirkt sehr bürgerlich und aufgeräumt. Einen Stammtisch gibt es auch. Die Theke, an der die Spritzen ausgegeben werden, ist wie eine Bar gestaltet und vermittelt ohne weitere Kenntnisse nicht den Eindruck einer Ausgabestelle für Drogen. Das Einzige, was auf die Funktion dieser Einrichtung hinweist, ist ein Spender mit Desinfektionsspray im «Barraum».
Wir gehen durch den Regen zum Kantipark. Die grünen Metallstühle auf dem Rasen sind Eigentum der Stiftung. Hier können die Süchtigen um den Mammutbaum unter sich sein. Drogenfrei versteht sich. «Der Kantipark ist ein sensibler Ort und es liegt uns am Herzen, diesen zu erhalten. Dafür braucht es Regeln.» Man möchte sich mit den Anwohnern und der Kantonsschule gut stellen, um Konflikte zu vermeiden. Bei diesem Wetter ist hier niemand anzutreffen und wir machen uns auf den Rückweg.
Am Marktplatz trifft Kathrin zwei bekannte Gesichter. Bier trinkend sitzen Mark und Chico auf den Bänken unter dem Dach der Haltestelle, kaum wahrgenommen von den herumstehenden Menschen. Sie grüssen Kathrin, die mich vorstellt. «Verdammt chalt isch’s!», kommentiert Mark das Wetter. Ich komme mit ihm ins Gespräch und wir entscheiden uns, in eine Bar zu gehen. Aber nur gegen ein Bier, wie er mir klarmacht.

Leben auf der Strasse
heisst «Überleben»

Es ist fast halb vier. «Eigentlich hatte ich eine gute Jugend», beginnt Mark, während er sich eine Zigarette dreht. «Aufgewachsen bin ich in Kloten bei Zürich, wo ich zur Primarschule gegangen bin. Sechs, nein, acht Jahre, da ich die erste und sechste Klasse wiederholen musste. Dann drei Jahre Realschule.» Nach verschiedenen Schnupperlehren als Gärtner, Bäcker und Konditor und einem Praktikum als Verkäufer beim Chiro (Migros) ging er zum Militär und arbeitete danach in verschiedenen Bereichen im Baugewerbe. Jetzt ist er 36 Jahre alt und arbeitslos. Mark ist ein hagerer Typ, langes Gesicht und Vollglatze. Er trägt eine schwarzgraue Camouflage-Jacke und auf dem Tisch liegt ein neues Smartphone. Der äussere Eindruck der Normalität trügt jedoch.
Vor einigen Jahren sass Mark im Gefängnis Saxerriet, weil er einer Frau fünf Gramm Heroin verkaufte, die ihn bei der Polizei anschwärzte. «Ich ging aus dem Haus und da war die Polizei. Die haben mich auf das Revier mitgenommen. Ich habe acht Monate dafür bekommen. Aber war schön. Die Saxerriet ist ein schönes Gefängnis», sagt er und lacht.
Er ist körperlich gezeichnet vom Drogenkonsum. Wenn er lacht, entblösst er vergilbte Zähne und entzündetes Zahnfleisch. Drogen hat er schon früh genommen: «Die erste Zigarette war mit zwölf, der erste Joint mit 13 und mit 14 hatte ich das erste Mal Ecstasy intus. Aber es hat trotzdem immer funktioniert.» Bis heute besucht er Technopartys und geht viel aus. Damals war dies allerdings «harmlos». Er hatte einen Job, eine Freundin und hat in seinen 20ern sieben Jahre keine anderen Drogen als Alkohol und Marihuana konsumiert. «Drogen? Ich bin halt gern ‘druff’. Ich sag’s mal so: Crocodil oder Badesalz habe ich nie ausprobiert. Letztes Jahr zum ersten Mal Crystal Meth, aber das war nicht so der Hit.» Momentan nimmt er nur Koks und Marihuana. Vom Heroin hat er die Schnauze voll. «Der körperliche Entzug ist einfach der Horror. Und du machst so viel Scheisse, um das zu bekommen.»

Zukunft mit Hoffnung?

Mark ist sehr nervös. Ständig muss er sich verrenken und kratzt sich am Nacken und an den Armen. «Mein Leben war vorher nicht einfach, aber ich habe gelebt. Jetzt bin ich am Kämpfen, dass ich durchkomme. Was ich brauche, das klau ich. Ansonsten gehe ich in der Heilsarmee Essen holen, Montag, Mittwoch und Freitag – oder in die Gassenküche.» Mark wohnt bei einem Freund, «auf dem Boden» wie er sagt. «Ohne Matratze, ein Tüchli am Boden, ein kleines Kissen und eine Decke zum Zudecken. Wenigstens ist es geheizt.» Mittlerweile haben wir unser zweites Bier geleert und bestellen zwei Kaffee. Es schneit. Thomas Feurer und dessen Weg sind Mark bekannt. Ein wenig fatalistisch bemerkt er: «Die Suchtberatung bringt mir nichts. Ich war auch schon im Entzug, aber lange gehalten hat das nicht.» Was denn die Zukunft wohl für ihn bringe? «Das weiss ich auch nicht ganz genau. Vielleicht mein Leben in den Griff kriegen. ‘Nen Job, ‘ne Wohnung, ‘ne Freundin. Den Führerschein mal wieder machen. Irgendwie so was halt.»


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