Mit den Minaretten verschwindet auch die direkte Demokratie

Mit einer Volksabstimmung wurde gestern die Volksinitiative zum Bauverbot von Minaretten angenommen. Dies mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 57.5% und 22 von 26 Standesstimmen, entgegen den letzten Umfragen, die eine Ablehnung mit ungefähr 57% der Stimmen voraussagte.

Das Minarett-Verbot ist und war wohl die polemischste Volksinitiative und Abstimmung der Schweiz seit langem. Pro- und Anti-Verbot-Facebook-Gruppen haben einen Tag nach dem Urnengang bereits 4’500 bzw. 47’000 Mitglieder erreicht. In den Zeitungen wird diskutiert wie selten. Exponenten aus Politik, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften geben ihre Meinung ab. Und dies über eine Initiative, die eigentlich gar nie zur Abstimmung hätte gelangen dürfen.

So rügt Uno-Experte Nigel Rodley laut dem Tages-Anzeiger (http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Uno-prueft-das-MinarettVerbot/story/12425820?dossier_id=420) die Schweizer Regierung, welche die Initiative trotz Verstössen gegen bestehende Verfassungsbestimmungen und Völkerrecht nicht zur Ungültigkeitserklärung empfahl, wie dies laut  Art. 97 Abs. 1 ParlG hätte geschehen sollen. Daraufhin hätte die Bundesversammlung die Volksinitiative im Sinne von Art. 139 (neu) Abs. 2 BV aufgrund von Verstössen gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts für ungütlig erklären müssen.

Dass sowohl Bundesrat als auch Bundesversammlung bezüglich solcher Ungültigkeitserklärungen vorsichtig umgehen, lässt sich dadurch begründen, dass dem Volk als oberstes Staatsorgan des Bundes (Art. 148 Abs. 1 BV) zugetraut wird, völkerrechtskonforme Entscheide zu fällen. Umso mehr stösst es sauer auf, dass die Initiative im Souverän auf eine solche Zustimmung gestossen ist. Wie kann das Volk oberstes Staatsorgan sein, wenn es klaren Verstössen gegen internationale Bestimmungen wie unter anderem die Uno-Charta, die Europäische Menschenrechtskommission oder den Uno-Pakt 1 zustimmt?

Unter diesem Gesichtspunkt scheint das Nichtfunktionieren des Schweizer Demokratiesystems das gravierendere Ergebnis dieser Abstimmung zu sein als das Verbot von Minaretten. Zweifel an der direkten Demokratie, die mit laufend sinkender Stimmbeteiligung seit längerer Zeit nach und nach an Repräsentativität und damit an Legitimität verliert, dürften aufgrund dieses Abstimmungsresultats in der längerer Frist weiter zunehmen. Denn auch dieser «Volks»-Beschluss kam mit gerade mal 53.4% Stimmbeteiligung zustande. Da nützen im Nachhinein auch Facebook-Gruppen nichts mehr.

Amtliche Resultate zur Abstimmung unter http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20091129/det547.html.


No Comments

  • BigBen

    “Daraufhin hätte die Bundesversammlung die Volksinitiative im Sinne von Art. 139 (neu) Abs. 2 BV aufgrund von Verstössen gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts für ungütlig erklären müssen.”

    Das zwingende Völkerrecht ist nicht klar definiert. Der ehemalige Bundesrichter Schubarth zählt dazu das Verbot der Folter, der unmenschlichen Behandlung, der willkürlichen Tötung und des Genozids. Inwiefern verstösst also das Minarettverbot gegen zwingendes Völkerrecht? Ausserdem muss allgemein die Bedeutung des Völkerrechts für die Schweiz in Frage gestellt werden. Als ob die Schweiz, die an keinem der Weltkriege teilgenommen und schon gar keinen Völkermord begangen hat, eine übergeordnete Rechtsstruktur nötig hätte!

    • raffaelhirt

      Wie Du selbst schon sagst, ist der Term “zwingendes Völkerrecht” nicht genau definiert – weil es in der Vergangenheit noch nie zu einem “Zwang” durch das Völkerrecht gekommen ist!
      Nach den Diskussionen in den letzten Tagen – vor allem nach der Klageeinreichung durch Hafid Quardiri, ehemaliger Sprecher der Moschee in Genf – ist jedoch klar, dass die Definition von Schubarth nicht korrekt sein kann. Entscheidet nämlich der EGMR, diese oder auch zukünftige Klagen gutzuheissen, darf der Minarett-Artikel in der Schweiz nicht mehr angewendet werden. Auch die Religionsfreiheit ist also zwingendes Völkerrecht!
      Die Frage nach der Unterordnung der Schweiz muss sich hier gar nicht stellen. Das Volk hat jeden Beitritt zu internationalen Gesetzwerken implizit oder explizit gutgeheissen – indem das Referendum gar nicht ergriffen wurde oder indem die obligatorische oder referendumsbedingte Volksabstimmung dem Beitritt zustimmte. Das Schweizervolk hat sich also selbst zur Bindung an gewisse völkerrechtliche Bestimmungen verpflichtet. Dass es jetzt von internationaler Instanz daran erinnert wird, ist nur legitim.
      Die Frage nach der Unterordnung der Schweiz muss sich hier gar nicht stellen. Das Volk hat jeden Beitritt zu internationalen Gesetzwerken implizit oder explizit gutgeheissen – indem das Referendum gar nicht ergriffen wurde oder indem die obligatorische oder referendumsbedingte Volksabstimmung dem Beitritt zustimmte. Das Schweizervolk hat sich also selbst zur Bindung an gewisse völkerrechtliche Bestimmungen verpflichtet. Dass es jetzt von internationaler Instanz daran erinnert wird, ist nur legitim.

  • Raffi Hirt

    Laut Uno-Hochkommissarin Navi Pillay ist das Minarett-Verbot klar diskriminierend.
    http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/UnoHochkommissarin-MinarettVerbot-ist-klar-diskriminierend/story/15801563

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