Kiruna, -38 Grad, aber jedes einzelne wert!

Alle guten Dinge kommen irgendwann zu einem Ende, so auch mein Austauschsemester in Göteborg. Nachdem die letzten Paper abgegeben waren, alles irgendwie in den Koffer gequetscht wurde, die Wohnung mehr schlecht als recht geputzt war und die letzten Umarmungen verteilt waren, ging es mit dem Flugzeug nach Stockholm, wo bereits meine Freundin auf mich wartete und von dort aus, ebenfalls mit dem Flieger, nach Kiruna.

Wieso Kiruna?, mag sich jetzt manch einer fragen – wir haben uns diese Frage nach unserer Ankunft auch gestellt, aber in der Theorie klang das Alles irgendwie so toll: Schnee, Hundeschlitten fahren, Nordlichter sehen, Sauna… -27 Grad bei unserer Ankunft am Flughafen haben uns dann allerdings schnell zurück in die Wirklichkeit gebracht. Also schnellstmöglich Koffer geholt und in den geheizten Flughafenbus eingestiegen, der uns ins Zentrum von Kiruna brachte. Bereits bei der Hinfahrt waren wir überwältigt von der Landschaft: wie Puderzucker lag der Schnee auf allem und die tiefstehende Sonne tauchte den Himmel in himbeereisfarbenes Licht. Fast schon übertrieben kitschig. Nachdem wir uns in unserem Hostel eingerichtet und unsere Thermokleidung montiert hatten, ging es zur ersten Tour – eine Abendtour mit dem Schneemobil. Doch natürlich mussten wir erst mit ordentlichen Kleidern ausgestattet werden: Wir trugen bereits eine Lage Thermounterwäsche, sowie dicke Trainerhosen. Oben kam zum “Thermounterleibchen” noch ein weiteres, warmes Oberteil sowie ein dicker Wollpullover. An den Füssen trugen wir jeweils ein Paar Ski- und ein Paar Wollsocken. Unsere Winterjacken mussten wir anbehalten und über diese kamen dann die Overalls des Touranbieters sowie eine Balaklava fürs Gesicht und ein Helm. Natürlich gehören Schal, Mütze und Handschuhe zur Grundausstattung in Kiruna. Und jetzt der eigentliche Trick, damit man an den Füssen und Händen nicht friert (hab ich leider am ersten Abend nicht gemacht): Auf die Skisocken klebt man ein Wärmekissen für die Zehen und zieht erst dann die Wollsocken drüber und bei den Händen nimmt man ein Handwärmerbeutelchen in die Handfläche, zieht dann die eigenen Handschuhe drüber und erst dann die dicken Fäustlinge – wohlig warm bzw. bei diesen Temperaturen gerade erträglich.

Mit diesem Gefährt ging es ab auf die Piste, über zugefrorene Seen und durch verschneite Wälder. Nach zwei Stunden gab es eine Rast in einer kleinen Samihütte. Über dem offenen Feuer bereitete unser Guide Christian warmen Preiselbeersaft, Tee, Kaffee und einen Eintopf mit Rentierfleisch zu. Dies war auch die perfekte Gelegenheit unsere eingefrorenen Füsse wieder aufzutauen. Nach dem Essen zeigte er uns noch den Trick mit dem “kochenden Schnee”: Wenn kochendes Wasser bei dieser kalten Luft in die Höhe geschüttet wird, schneit es. Unsere Füsse taten uns gleich noch etwas mehr leid…

Nach einer heissen Dusche und einigen wohlverdienten Stunden Schlaf, machten wir uns am nächsten Tag auf, um Hundeschlitten zu fahren. Auch hier mussten wir uns zuerst wieder warm einpacken, bevor es losgehen sollte. Dieses Mal war es mit -36 Grad und einer Tiefsttemperatur von -41 Grad sogar noch kälter als am Tag zuvor – frieren war angesagt. Melissa und ich fuhren jeweils einen eigenen Schlitten mit einem Gespann von jeweils vier Huskies. Diese standen bereits eingespannt vor den Schlitten und jaulten und heulten, was das Zeug hielt – schliesslich wollten sie endlich losrennen! Zuvor instruierte uns aber Maria, unser Guide für diese Übernachtungstour, noch, wie der Schlitten zu bedienen sei. Erste Regel: Niemals loslassen! Die Hunde halten nicht an, wenn der Schlittenführer runterfällt, sie rennen einfach weiter. Zweite Regel: Bremsen! Wenn es bergab geht, kann es schon einmal vorkommen, dass die Hunde vom Schlitten überrollt werden, sich dabei die Beine brechen oder Schlimmeres. Aber, hey, “you gonna work it out while we are driving!” – Danke, Maria. Zu diesem Zeitpunkt kamen die ersten Zweifel, ob diese Tour mit Hundeschlitten wirklich eine derart gute Idee  war – schliesslich will man weder vom Schlitten fallen, noch die Hunde verletzen. Leider gab es kein Zurück mehr und als der Schlitten vom Baum losgebunden und der Anker, eine unterarmlange Metallklaue, aus dem Boden gelöst waren, gab es für die Hunde kein Halten mehr. Ruck – und los ging die Fahrt, ob man wollte oder nicht.

Unsere Gespanne

Was für eine Kraft vier Hunde entwickeln können, wird einem erst bewusst, wenn man versuchen muss, den Schlitten abzubremsen oder sogar mit nichts als dem eigenen Körpergewicht zu halten und die Hunde am Weiterrennen zu hindern, wenn man eigentlich halten möchte. Nach ca. zweistündiger Fahrt durch die Winterwonderland-Landschaft, die wie im Flug verging, erreichten wir unser Nachtlager: eine Holzhütte mit einigen kleineren Anbauten. Nach unserer Ankunft mussten zuerst die Hunde versorgt werden, also “Gestältchen” ausziehen und jeden Hund bei einer kleinen Hundehütte anketten. Wie lieb diese Vierbeiner sein können, zeigte sich hier – ohne Anstalten liessen sie sich das Gestältchen abstreifen, hoben brav ihre Beine hoch und liessen sich zu ihrer Hütte bringen. Einige von ihnen waren sogar richtig verschmust und konnten gar nicht genug Streicheleinheiten kriegen. Nachdem die Hunde mit einem Snack aus gefrorenem Fisch und Fleisch versorgt waren, konnten wir unser Nachtlager in Augenschein nehmen. Zwei Stockbetten in einem kleinen Raum, der durch einen stinkenden Gasofen beheizt wurde – Licht: Fehlanzeige. Das grosse Haus, in dem wir unser Abendessen (Rentierbolognaise) assen und uns aufwärmen konnten, diente leider als Nachtlager für eine vierköpfige Touristengruppe, die eine dreitägige Tour unternahm und nicht nur so wie wir zwei Tage.

Um uns für die bevorstehende, kalte Nacht aufzuwärmen, heizte Maria die Sauna ein. Es gibt wohl nichts Schöneres als ein Temperaturunterschied von mehr als 100 Grad – von -36 auf über 80. Nach der Sauna rief uns plötzlich Maria und meinte, man könne, zwar nur ganz schwach wegen des Vollmonds, Nordlichter am Himmel sehen. Und tatsächlich – was ich sonst als Schleierwolke abgetan hätte, waren Nordlichter, wie die Kameraaufnahmen zeigten. Unglaublich schön! Damit war unsere Kirunaerfahrung mehr als perfekt!

Am nächsten Morgen mussten wir uns, nachdem der Gasofen irgendwann in der Nacht den Geist aufgegeben hatten, bei Minusgraden, umziehen und für die Rückreise fertig machen. Wir nahmen den gleichen Weg wie am Tag zuvor, und obwohl ich die Strecke damit eigentlich hätte kennen sollen, schaffte ich es, in einer Kurve vom Schlitten zu fallen… Gott sei Dank waren die Hunde nicht sehr schnell unterwegs und Maria konnte den Schlitten halten, bevor sie entwischen konnten. Wieder beim Zwinger angekommen, konnten wir uns endlich unserer Michelinmännchen-Kleidung entledigen und machten uns, nach einem wunderschönen Aufenthalt in Kiruna, wieder auf den Heimweg über Stockholm.

Fotos: Melissa Willhaus

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