Le monde est à nous

Sie sind das Herzstück des St. Gallen Symposiums. Dies wird von Veranstaltern, Rednern und Medien immer wieder und gerne betont – die sogenannten Leaders of Tomorrow; 200 junge Menschen, die nicht älter als 30 Jahre alt sind und sich trotz ihres jungen Alters in den verschiedensten Bereichen bereits hervorgetan haben. Doch wer sind diese jungen Karrieristen eigentlich? – Eine Fallstudie.

Julian Slotman sitzt gerade im Hauptgebäude und hat einen mit allerlei Essen des Buffets beladenen Teller vor sich. Er trägt eine schwarze Hornbrille mit runden Gläsern und spricht die Leute um sich mit einem freundlichen Lächeln an. Die Plakette, die er sich an sein Jackett geheftet hat, besitzt einen gelben Balken unter seinem Namen, der seinen Status als Leader of Tomorrow beweist. „Ich habe an meiner Universität selbst einmal ein Symposium organisiert. Aber das war niemals so prestigeträchtig und gross wie dieses hier“, antwortet er auf die Frage warum er hierher gekommen sei. Er hoffe hier neue und interessante Leute kennenzulernen, insbesondere den hier zahlreich präsenten Führungskräften aus Wirtschaft und Politik wolle er kritische Fragen stellen und ihnen auf den Zahn fühlen. Der Niederländer studiert im Master Economics and Public Affairs an der Universität Maastricht und absolvierte bereits Praktika bei einer führenden holländischen Bank sowie der niederländischen Botschaft in Deutschland. Sein grosser Traum ist es denn auch in die Diplomatie zu gehen. „Auch wenn das im Moment noch in weiter Ferne liegt“, fügt er mit einem Lachen hinzu. In seinem Blick blitzt dennoch eine gewisse Entschlossenheit auf, dieses Ziel zu erreichen. Insgesamt wirkt Julian Slotman aber so gar nicht, wie ich mir einen Leader of Tomorrow vorgestellt habe. Äusserst gelassen, verschwindet er schlendernd in der angeregt diskutierenden Masse.

Da passt das nächste Duo, zu dem ich stosse, schon eher zu meinen Vorurteilen von zielstrebigen Karrieristen. Derek Satya Khanna und Jerome Zois reden beide schnell und viel und es geht gefühlte fünf Sekunden bis ich ihre Visitenkarten in der Hand halte. Derek, seines Zeichens Amerikaner, studiert in Yale Jura und war bereits in den „Top 30 under 30“, einer Rangliste von einflussreichen Persönlichkeiten des Forbes Magazine. Er hat bereits fünf Jahre für den amerikanischen Kongress gearbeitet und ist momentan als politischer Berater für IT-Unternehmen tätig. Darüber hinaus schreibt er regelmässig Artikel für die Huffington Post und das Forbes Magazine. Jerome auf der anderen Seite arbeitet für das aufstrebende US-amerikanische Softwareunternehmen Palantir Technologies. Er habe keinen akademischen Hintergrund, was in dieser Branche allerdings auch nicht von Nöten sei. „Hier zählen lediglich deine Fähigkeiten“, erklärt mir der Luxemburger, der ein akzentfreies Englisch spricht. Zugegeben, ich bin von der Energie und Eloquenz der beiden schon ein wenig beeindruckt, auch wenn sie teilweise fast ein bisschen zu sehr von sich überzeugt scheinen. Vom Symposium sind beide begeistert. „Ein perfekt organisierter Event, auf dem man Menschen quer durch alle Bereiche trifft.“

Als wollte er die Aussage der beiden bekräftigen kommt der nächste Hoffnungsträger des Symposiums aus einem für einen Wirtschaftsgipfel eher ungewöhnlichen akademischen Bereich. Johannes Pausch studiert in Cambridge Physik und ist ans Symposium gekommen, um einmal ein wenig Abwechslung vom physiktheoretischen Alltag zu erhalten. Daher habe er kurzerhand ein Paper über Jugendarbeitslosigkeit publiziert und sei so nach St. Gallen eingeladen worden. In Zukunft hat Johannes grosse Pläne mit dem akademischen Bildungssystem der Hochschulen. Dieses sei nämlich dringend reformbedürftig. „Die Forschungsprojekte benötigen flexiblere Finanzierungsmöglichkeiten. Momentan ist es so, dass die Politik der Forschung zu starre Vorgaben setzt, die gute Resultate erheblich erschweren“, erzählt mir der gebürtige Deutsche.

Grosse Pläne für die Zukunft hat auch die Inderin Leni Jadhav. Ich treffe sie nach einer Plenumsdiskussion mit indischen Parlamentariern, der sie ebenfalls beigewohnt hat. Sie trägt einen traditionellen, farbenfrohen Sari und ihre Stirn wird von einem roten Punkt geziert. Während der Diskussion wandte sie sich offen gegen die Meinung der etablierten Redner aus Indien. Denn Leni gehört der indischen Oppositionspartei an. Ausserdem ist sie im Vorstand der nationalen Studentenschaft Indiens. „Ich konnte einfach nicht anders als zu widersprechen. Der Politiker hat gegen beinahe alle meine Überzeugungen geredet.“ Für ihre Überzeugungen einstehen und kämpfen liege ihr einfach im Blut. Deshalb wolle sie später auch ins indische Parlament einziehen und stellvertretend für die Rechte der Frauen kämpfen, um die es in ihrem Land nicht gut bestellt sei. „Ich möchte ein Vorbild für die anderen Frauen in Indien sein“, so die lebhafte Nachwuchspolitikerin.

Ebenfalls politisch engagiert und äusserst diskussionsfreudig erlebe ich die Amerikanerin Heather Sexton Pfitzenmaier. Ich streite mich mit ihr beinahe eine Stunde über die Rolle des Staates und seiner Beziehung zum Individuum. Stets mit einem Lächeln, aber mit einem vehementen Nachdruck in der Stimme und in unglaublich schlagfertiger Manier, verteidigt sie ihre Standpunkte. Heather arbeitet als Leiterin des Young Leaders Programm im libertär-konservativen Think Tank „The Heritage Foundation“. Sie sei schockiert, wie unglaublich unkritisch hier gewisse Europäer gegenüber ihrer eigenen Regierung seien. Allerdings habe sie keinerlei Probleme andere politische Meinungen zu tolerieren, solange sich jemand nur mit Leidenschaft für Politik interessiert. Ihr Ziel sei es junge Menschen vermehrt für Politik zu begeistern und zur Partizipation zu animieren.

Heather hätte sich wohl auch mit meiner nächsten Gesprächspartnerin gestritten. Tina Goldschmidt setzt sich kritisch mit dem freien Markt auseinander und sieht in der kapitalistischen Wachstumsideologie dringenden Diskussionsbedarf. Als Doktorandin der Soziologie an der Universität Stockholm untersucht sie gesellschaftliche Beziehungsnetze und wie sich diese auf gesamtgesellschaftliche Strukturen auswirken. „Hier am Symposium habe ich wohl eher eine Meinung am linken Rande des Denkens der Majorität“, meint sie, beinahe ein wenig verlegen. Nichtsdestotrotz stehe sie zu ihren Meinung und findet, dass die Akademikerwelt ihrem Beispiel folgend wieder politischer werden sollte. Wissenschaftler sollten sich den gesellschaftlichen Diskursen nicht entziehen, da sie die nötige Expertise für sachliche Diskussionen hätten.

Nach all diesen Gesprächen mit den „Leaders of Tomorrow“ lässt sich noch immer schwer ein klares und abgrenzbares Bild dieses Begriffs zeichnen. Die Leader sind keine homogene Gruppe mit gemeinsamen, sich subsumierenden Charakteristika. Vielmehr entpuppt sie sich als buntgemischter Querschnitt durch zahlreiche akademische, wirtschaftliche und politische Bereiche. Von idealistisch bis opportunistisch, von linker bis rechter politischer Couleur, von karrieristischem Networker bis zum alternativem Kritiker, begegnet einem hier alles und sämtliche Graustufen dazwischen. Eines jedoch haben sie alle gemeinsam. Sie sind zielstrebig und entschlossen; sie wollen ihren Abdruck in der Welt hinterlassen und grosse Veränderungen bewirken – ganz nach dem Motto: Le Monde est à nous.

Mehr zum 44. St. Gallen Symposium findest du hier (eine Zusammenfassung der Eröffnungsveranstaltung) und hier (eine Rundschau zum Symposium an sich).


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