In Sepp Blatters Reich

Organisiert vom Capesize Commodity Club besuchten Studenten aus Zürich und St. Gallen das FIFA-Hauptquartier in Zürich und trafen sich mit Mr. FIFA persönlich. Das Bild das Sepp Blatter an diesem Nachmittag abgab, stand in krassem Gegensatz zu seiner medialen Wahrnehmung und es fiel einem schwer zu glauben, dass es sich bei diesem charismatischen Walliser Charmeur erster Güte tatsächlich um einen unnahbaren Mafiaboss oder Diktator handeln soll. Zugegeben, die beiden Organisatoren, welche das Gespräch moderierten, haben es ihm auch leicht gemacht, indem sie mit einer Reihe an “weichen” Fragen begannen und nach seinem Lieblingsalkohol (Blatter: “Das Leben ist zu kurz für offenen Wein.”), seiner Lieblingsposition (“9”, “Mittelstürmer”) oder seinen Fahrgewohnheiten (Am Morgen sitzt er selber am Steuer. Am Abend, nach getaner Arbeit, lässt er sich chauffieren.) fragten. Ein, zwei Witze und Walliserdytsche Begriffe wie “Dü” und “Chopfä” (sich einen Kopf machen) später hatte der Noch-Präsident das Publikum bereits im Sack. Dieser genoss es sichtlich ohne Security und ohne die steten Angriffe auf seine Person ein bisschen über Fussball und die Welt zu plaudern und verweilte auch nach der Q&A Session noch zum Apéro, wo er gutgelaunt für Fotos posierte.

Die freundliche Atmosphäre soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ernste Themen diskutiert wurden. “Klar berührt mich das!”, meinte Blatter, auf die harsche Kritik an seiner Person in den Medien angesprochen. Es sei belastend wenn Zeitungen nur Bilder von ihm verwenden würden, auf welchen er „noch nicht einmal lächle“, und wenn er etwa auf dem Titelbild des Spiegels als korrupt bezeichnet werde. Selbst in irgendeine Form der Korruption verwickelt zu sein streitet er dann auch vehement ab. Man habe ihm schon so oft etwas anhängen wollen, dass es längst zu Tageslicht gekommen wäre, wenn er tatsächlich etwas Illegales getan hätte, meinte er. Räumte aber gleichzeitig auch ein, dass Fehler gemacht wurden und zu viel geduldet wurde. “Wer nichts macht, macht auch keine Fehler.” Er mache viel, da geschehe halt auch einmal der eine oder andere Fehler.

Er erzählt dann auch lieber von den Erfolgen, zum Beispiel davon wie eine Norwegerin 1986 beim FIFA-Kongress den damaligen Präsidenten João Havelange fragte wieso der Frauenfussball im FIFA-Bericht nur mit einem kleinen Satz erwähnt werde und dieser einfach auf seinen Generalsekretär, also Blatter, verwies. Dieser machte sich darauf daran dies zu ändern und bereits 1991 organisierte die FIFA die erste Frauenfussball-WM. Heute sind 15% der Ausschüttungen der FIFA an die Nationalen Verbände zweckgebunden zur Förderung von Frauenfussball und alle 209 Verbände ausser Saudi-Arabien beantragen diese Prozente auch. Gerade in nicht-westlichen Ländern trage der Fussball oft zur Gleichberechtigung der Frau bei und als er sich etwa 2013 mit dem frischgewählten iranischen Präsidenten Hassan Rohani traf, habe er sich dafür stark gemacht, dass Frauen endlich auch in Stadien zugelassen werden, erzählt Blatter. Alles was man aber in den Medien aber je über ihn und Frauenfussball lese, sei sein Vorschlag für femininere Tenüs.

Fussball sei für ihn mehr als nur ein Spiel. Er habe bei der FIFA 1975 als “Development Officer” begonnen und sei dies auch immer geblieben. Um dies zu unterstreichen, wollte er schon als Generalsekretär eine UNO-Flagge am FIFA-Hauptquartier aufstellen lassen, Havelange pochte jedoch auf die Nichteinmischung in politische Angelegenheiten. Nun weht sie, sagt er, und zeigt Stolz nach draussen. “Macht kommt von machen.” Der Rückhalt in den Nationalverbänden habe er sich nicht erkauft sondern erarbeitet. So habe er etwa versprochen die WM nach Afrika zu bringen und dieses Versprechen auch eingehalten.

Das Imperium schlägt zurück

Nicht nur Blatter gab sich ungebeugt, auch Alexander Koch, der Deputy Head of Corporate Communication, welcher die Gruppe durch das Gebäude führte, widersprach dem “FIFA-Bashing” in den westlichen Medien vehement. Es sei zwar sicher nicht alles  nur Heiterkeit und Sonnenschein am Zürichberg, aber die Kritik an der FIFA und dessen Präsident stehe in keinem Massstab zur Realität und sei zum Teil auch schlicht und einfach falsch. So wie etwa die Behauptung die FIFA zahle nichts für die WM, obwohl diese in Realität in einem Vierjahreszeitraum mit mehr als 2 Milliarden Kosten für die FIFA verbunden sei, wie er vorrechnete. Auch die Reserven in der Höhe von 1.5 Milliarden (welche übrigens in Staatsanleihen gehalten werden) seien absolut gerechtfertigt, wenn nicht gar zu tief. Alle Einnahmen der FIFA beruhen de facto auf einem Event: Der Fussballweltmeisterschaft der Herren. Alle anderen 27 Fussballweltmeisterschaften, die innerhalb eines 4-Jahres-Zyklus stattfinden sind defizitär. Die Abhängigkeit von diesem Event ist enorm und das Ausfallrisiko real. Darüber hinaus sei der derzeitige wirtschaftliche Erfolg der FIFA auch nicht keine Selbstverständlichkeit. 1998, bei Blatters Antritt als Präsident, schrieb die FIFA noch Rote Zahlen. Als die AXA nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 der FIFA die Versicherung kündigte, schrammte der Verein nur um Haaresbreite am Konkurs vorbei.

Koch akzeptiert noch nicht einmal das Wort „FIFA-Skandal“. Die angeklagten und festgenommenen Personen seien schliesslich keine FIFA-Mitarbeiter. Dies ist nun eine extrem FIFA-freundliche Auslegung, doch er spricht damit auf ein reales Problem an: Das FIFA Hauptquartier in Zürich und seine rund 400 Mitarbeiter werden gewissermassen „fremdregiert“ durch das mächtige Exekutivkomitee, welches zweimal im Jahr aus aller Welt einfliegt. Sepp Blatter, der sein Büro als einziger in Zürich hat, ist zwar der Präsident dieser Regierung des Weltfussballs, hat aber auch nicht mehr als eine von 25 Stimmen. Die Mitglieder dieses Komitees werden auch nicht von Sepp Blatter und mit Ausnahme eines weiblichen Mitglieds auch nicht vom FIFA-Kongress sondern von den jeweiligen Konföderationen gewählt. Blatter wollte zumindest einen externen Integritätstest für Exekutivkomitee-Mitglieder einführen, scheiterte damit aber am Widerstand der Europäer, welche befürchteten er würde dies als Instrument gegen sie einsetzen.

Es war denn auch dieses Exekutivkomitee, welches für die stark kritisierte Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar verantwortlich ist. Beliebt ist dieses Komitee am Zürichberg nicht. Viele der Vorschläge des Reformkomitees zielen darauf das Exekutivkomitee zu entmachten, der Vorsitzende der Audit und Compliance Kommission Domenico Scala würde es Berichten zufolge am liebsten gleich ganz abschaffen.

Die „Zürcher FIFA“ schiesst aber nicht nur gegen das Exekutivkomitee, sie holt derzeit auch zum Gegenschlag gegen Platini und die UEFA aus. So hat die FIFA, angeblich auf Geheiss Blatters, versucht einen Platini-kritischen Text an die Medien zu bringen und Blatter persönlich spricht öffentlich von Drohungen, welche Platini ihm gegenüber gemacht habe. Im Gespräch mit den Studenten blieb Blatter vorsichtiger was Platini angeht. Er sagte nur Platini habe ihn immer wieder als Freund bezeichnet. Er selbst sehe das Ganze eher als eine Art Vater-Sohn-Beziehung. „Freunde kann man sich aussuchen.“

Blatter ist nicht die Lösung. Kein Blatter ist aber auch noch keine Lösung. Dass viele am Zürichberg versuchen Platini als Nachfolger Blatters zu verhindern hat gute Gründe. Während es unklar ist für welchen Austragungsort Blatter gestimmt hat, so war und ist Platini einer der Verfechter einer WM in Katar und wie durch Magie erhielt sein Sohn dann kurz nach der Abstimmung auch einen lukrativen Posten als Europachef der Qatar Sports Investments. Gerade im Falle von Katar nehmen die „Wahlkampfkosten“ eine solch absurde Höhe an, dass sich der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der deutsche Präsident Christian Wulff beide persönlich für die WM-Vergabe nach Katar eingesetzt haben sollen. Grosse deutsche Baufirmen erhielten dann übrigens auch viele Bauaufträge in Katar, wo sie, und nicht die FIFA, Arbeiter zu absolut unmenschlichen Bedingungen anstellen und auch schon lange vor der WM angestellt haben. Es ist also schon verständlich, wenn man sich in Zürich nicht einfach für alles den Schwarzen Peter zuschieben lassen will.

Strukturelle Probleme

In einem Punkt sind Blatter, der meinte „es gibt nur schlechte Menschen“, und viele seiner Kritiker, welche auf einzelne Personen oder einzelne Events fokussieren, allerdings gleich: Sie wollen oder können den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennen. Es gibt sehr gute Gründe anzunehmen, dass bei jeder einzelnen WM-Vergabe der jüngeren Zeit Bestechungsgelder geflossen sind: 1998 Frankreich, 2002 Südkorea/Japan, 2006 Deutschland, 2010 Südafrika. Für die WM 2014 gab es nur eine einzige Kandidatur, Korruption war aber natürlich trotzdem reichlich vorhanden und von der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 brauche ich eigentlich gar nicht erst sprechen. 2 Funktionäre, die schon im Vorfeld der Korruption überführt wurden, durften gar nicht erst abstimmen. Von den ursprünglichen 24 Mitgliedern des Exekutivkomitees bei der Vergabe sind heute nur noch 9 vorhanden, alle anderen wurden unterdessen suspendiert oder haben sich freiwillig zurückgezogen.

Die Korruption ist keine Anomalie die komischerweise bei jeder WM-Vergabe aufgrund einzelner schlechter Menschen wieder aufblitzt, sie ist eindeutig ein strukturelles Problem. Dies wird noch deutlich wenn wir mit dem IOC eine strukturell vergleichbare Organisation betrachten:

So wie man keine korruptionsfreie WM finden kann, so kann man nämlich auch keine korruptionsfreien olympischen Spiele finden. Die Vorwürfe erlangten vor allem um die Jahrtausendwende und die Spiele 1998 in Nagano, 2000 in Sydney und 2002 in Salt Lake City mediale Aufmerksamkeit. Doch aufgehört haben sie deswegen nicht. Die BBC-Reportage „Buying the Games“ (Transkript) aus dem Jahr 2004 zeigt, dass sich hinter den Kulissen nichts geändert hat und die Vergabe der Olympischen Spiele bis hin zu denjenigen von 2012 stark von entsprechenden Anreizen abhängig war.

Ich möchte in diesen Zusammenhang noch einmal auf das Buch „The Dictators Handbook“ von Alastair Smith und Bruce Bueno de Mesquita hinweisen, welches diese Mechanismen sehr einfach und verständlich erklären kann. Überlege dir einmal Folgendes: Wie viel wäre es dir Wert, zu bestimmen, dass die WM in Japan, in den USA oder in Katar stattfindet. Wenn du nicht gerade aus einem der Länder kommst, hast du zwar eine Präferenz, aber eine riesige Auswirkung auf dein Leben haben die verschiedenen Austragungsorte nicht. Um deinen eigenen Nutzen zu maximieren solltest du bereit sein diese Präferenz, abhängig von weiterem damit verbundenen persönlichen Nutzen, zu ändern. Also deine Stimme zu versteigern. Natürlich birgt das je nach Transparenzdruck ein gewisses Risiko, aber dieser Aufschlag ist im Preis deiner Stimme eingerechnet.

Wenn nun einige wenige Personen, in der FIFA waren es bis 2011 24, neu werden es immerhin 209 sein, im IOC sind es bis zu 115 Mitglieder, darüber abstimmen, wer den Zuschlag für ein Multimilliardenevent erhält, ist eine Stimme schnell genug wert, um den Minimalbetrag für persönliche Bestechlichkeit zu überschreiten. Sagen wir zum Beispiel die Regierung des Landes X ist bereit 20 Milliarden in das Projekt zu investieren. Wenn sie nur schon bereit ist 1% der Gesamtkosten in den Wahlkampf zu stecken ergibt das ein Budget von 200 Millionen. Die öffentliche Meinung und Präsentation einer Bewerbung ist reine Augenwischerei, denn entscheidend ist am Ende die Mehrheit des Selektorats. Im Falle einer WM waren dies 13 Stimmen. Für das kandidierende Land könnte es also „rational“ sein bis zu 200 Millionen in 13 Stimmen zu investieren. Das ergibt etwas mehr als 15 Millionen pro Stimme. Die Vergrösserung des Selektorats ist in diesem Fall die einzige nachhaltige Lösung, denn nur so werden die systematischen Anreize auf Bestechung verkleinert.

Demokratische Lösung

„Der Fussball ist mehr als nur ein Sport“, darin stimme ich mit Sepp Blatter überein. Der Fussball ist so stark gewachsen, dass er zu einem unersetzbaren Teil der globalen Kultur geworden ist. Aus dieser gewachsenen Macht erwächst allerdings auch Verantwortung. In einer kleinen Randsportart mögen oligarchische Strukturen kein Problem darstellen, aber eine WM und die olympischen Spiele stellen die grössten Anlässe auf dem Planeten Erde dar. Die damit verbundene Strahlkraft und Macht führt dazu, dass der Sport auf dieser Ebene unausweichlich politisch wird. Der Fussball bewegt Milliarden von Menschen und als solcher kann er nicht länger von Fehden und Vetternwirtschaft beherrscht werden. Der Fussball braucht nicht Platini, er braucht seine (friedliche) französische Revolution. Die aktiven lizenzierten Fussballer sind die einzige legitime Basis auf der eine Herrschaft im Fussball zu fussen hat. Dies heisst nicht zwingend, dass alle lizenzierten Fussballer dieser Welt direkt über die Vergabe der WM entscheiden sollen, aber sie sollen zumindest ihre regionalen Vertreter wählen und damit mit den lokalen Funktionärsoligarchien aufräumen können.

Oligarchien haben es so an sich, dass sie sich in der Regel nicht selbst abschaffen. Es benötigt also zielgerichteten Druck, um einerseits bereits auf lokaler Stufe mehr Mitspracherecht für die Fussballer zu erreichen und andererseits damit die FIFA Top-Down Gelder an demokratische Vorgaben oder Zwecke bindet. Ich bin überzeugt die damit verbundenen Verwaltungskosten sind es mehr als wert.

Der ökonomische Schaden von nicht-nachhaltigen Grossanlässen, welche nur der Selbstüberhöhung einiger Politiker und dem legalen und halblegalen Verteilen von Milliardenaufträgen an seine politischen Freunde dienen, könnte aber mit nur einer Regeländerung schon viel einfacher unterbunden werden. Sowohl der IOC als auch die FIFA müssen die Gültigkeit einer Kandidatur von einer vorhergehenden Volksabstimmung in dem oder den Austragungsländern abhängig machen. Die staatliche Infrastruktur für solche Abstimmungen ist bereits vorhanden und dies würde dem autokratischen Gigantismus der letzten sowie der kommenden Jahre ein jähes Ende setzen und den Sport wieder ins Zentrum rücken.

Was Sepp Blatter davon hält, weiss ich leider nicht. Dafür konnte ich ihm beim Apéro zumindest meine Idee pitchen den Confed-Cup nicht mehr mit Nationalmannschaften sondern mit Bestenauswahlen der Konföderationen durchzuführen. Dies hätte interessantere Spiele zur Folge, jeder einzelne Mensch auf diesem Planeten hätte die Möglichkeit mit einem Team mitzufiebern, was die Aufmerksamkeit und damit auch die Einnahmen der FIFA merklich erhöhen würde und der Fussball würde dabei erst noch eine Vorreiterrolle im Übergang zu einer post-nationalen Menschheit übernehmen. Daraufhin schien der FIFA-Boss zum einzigen Mal an diesen Tag erst einmal um Worte verlegen, dann meinte er: „Bedenkenswert, diese Idee ist tatsächlich bedenkenswert“ und schlug sogleich Uli Forte als Trainer der UEFA-Auswahl vor. Wie ernst Sepp Blatter ersteres gemeint hat und ob er sich auch nach dem Weisswein und den hübschen Frauen noch daran erinnern kann, bleibt wohl, wie so vieles im Fussball, vorerst zumindest, sein Geheimnis.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*