St. Gallen zeigt Gesicht – per Gesetz

Die St. Galler Wahlberechtigten haben abgestimmt: Ein neues Verhüllungsverbot muss her.

Der Nachtrag zum Übertretungsstrafgesetz, alias Burkaverbot, wurde letztes Wochenende mit einem 2/3-Mehr von den St. Gallern an der Urne abgesegnet. Damit tritt die Wahlheimat der HSG-Studierenden in die ideologischen Fussstapfen des Kantons Tessin. Im Vergleich zu dem sonnenverwöhnten Süden geht es in der nebelverhangenen Ostschweiz aber nicht dermassen hitzig zu. Verschleierung wird nur als problematisch betrachtet, insofern sie die «öffentliche Sicherheit oder den religiösen oder gesellschaftlichen Frieden bedroht oder gefährdet». Neben St. Gallen wurde das Burkaverbot bereits auf nationaler Ebene und in mehreren Kantonen diskutiert und auch zur Abstimmung gebracht – die Initianten blieben dabei erfolglos.

Mit dem Motto «Gesicht zeigen» haben die Befürworter die Abstimmungsberechtigten überzeugt. Sie verstehen das Unbehagen und die Entfremdung, welche die Verschleierung in der Bevölkerung weckt. Anonymisierung durch Vermummung widerspreche dem vorherrschenden Kulturverständnis und Offenheit sei eine axiomatische Komponente unserer Gesellschaft. Das Gesetz sei ebenfalls eine sicherheitspolitische Notwendigkeit, um die Kriminalität zu bekämpfen. Zudem schütze der Vorstoss muslimische Frauen vor der Entmündigung durch die repressiven Familienstrukturen, denen sie ausgesetzt sind.

Die Gegenseite kontert, dass ein Burkaverbot ein rein illusorisches Problem in Angriff nimmt, um Ängste und Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Zusätzlich wird der Nachtrag aufgrund der bestehenden Gesetzeslage als redundant eingestuft; Nötigung und Vermummung stellen bereits Strafbestände dar. Nicht zuletzt identifizieren sich auch die Gegner der Abstimmung mit Kants Idee von Sapere Aude und lehnen die Bevormundung von Frauen, deren Garderobe Ausdruck von Freiheit sein darf, strikt ab.

Zwiespältiger Populismus als letzte Hoffnung

Die Initianten des Burkaverbots haben die Abstimmung durch eine einfache, klare Botschaft gewonnen. Der Slogan «Ja zum Burkaverbot» vermittelt keine sicherheitspolitischen Aspekte, er ist auch kein Träger emanzipatorischer oder integrativer Bemühungen zur Entwicklung einer Gesellschaft. Durch die Simplizität des Leitspruches wird ausschliesslich die Abneigung gegenüber der Islamisierung ausdrucksstark kommuniziert. Damit werden Bürger angesprochen, die generell unzufrieden sind und die Vergangenheit als universell besser stilisieren. Sie fordern klare und einfache Lösungen, da sie der volksfernen Demokratie müde sind und durch Gemeinschaftsgefühl Ihre Identität kreieren möchten. Diese politische Vorgehensweise weist augenscheinliche Parallelen zur politischen Ideologie des Populismus auf. Dessen politischen Instrumente bedienen sich der Simplizität, Volksnähe und einem lösungsorientierten Aktionismus, der als Kontradiktion zum elitären Establishment gilt.

Populismus bezieht seine Existenzgrundlage aus der Demokratie. Die Gefahr von Populismus besteht aber widersprüchlicher Weise darin, dass Demokratie und ihre Werte untergraben werden. Die Volksnähe gilt nur einer bestimmten Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Diese Gruppe wird als repräsentativ für die Gesellschaft erkoren. Andere Gruppen werden marginalisiert. In der Diskussionsrunde einer Ostschweizer Fernsehsendung bestätigt ein junger Politiker, dass er Burkaträgerinnen vor einer Filiale eines bestimmten Discounters sehen konnte und rundet seine Aussage mit einem hämischen Lachen ab. Die Marginalisierung wird hier augenscheinlich. Ironischerweise werden aber genau diese Personen marginalisiert, für dessen Emanzipation das Gesetz, welches er verteidigt, eintreten soll. Gleichermassen korrigiert der gleiche Amtsträger, dass ein Fokus auf muslimische Frauen in der Diskussion nicht angebracht sei. Eine sehr gemässigte Aussage für einen Abkömmling einer Partei die aus «Nachtrag zum Übertretungsstrafgesetz» das «Burkaverbot» gemacht hat. Doch genau diese Zwiespältigkeit erweckt Hoffnung. Zeigt sie, dass die Wählerinnen und Wähler der Demokratie doch nicht so müde sind und auf nicht blind auf simplifizierte Argumente vertrauen? Bedeutet es, dass unsere Gesellschaft noch nicht bereit ist, Randgruppen zu diskriminieren um Ihre eigene Identität zu festigen?

Der konkrete Vollzug des angenommenen Gesetzes muss noch geklärt werden. Gegner haben im Vorfeld die Umsetzbarkeit und die Willkür im Vollzug angekreidet. Klar ist, dass einfache, populistische Lösungen in einer komplexen Gesellschaft nur selten kompromisslose Verbesserungen bringen können. Die Zukunft wird zeigen, ob in St. Gallen doch noch ein Hauch südliches Klima vorherrschen wird.


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