Brasilianerin oder Schweizerin, das ist hier die Frage

Ein Austausch in São Paulo ist der Traum von vielen. Warum die Destination für Martina Bietenhader zuerst nur eine Ersatzlösung darstellte, sie schliesslich aber vollends vom brandneuen HSG-Institutstandort begeistert war.

Kurz nach der Konferenz anlässlich der Eröffnung des Instituts in São Paulo steht Martina Bietenhader die Erleichterung förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie war Teil eines kleinen Teams, welches die umfangreiche Vorbereitung der Impact-Business-Konferenz bewältigte. Um es mit Bietenhaders Worten auszudrücken: «Das ganze Jahr über war bei uns in São Paulo die Hölle los.» Das durchwegs positive Feedback der Teilnehmer ist der wohlverdiente Lohn dafür.
Doch wie kommt die 23-jährige HSG-Studentin überhaupt zu einer solchen Tätigkeit? Ihr Notenschnitt erlaubte der VWL-Studentin sehr wohl einen Austausch – allerdings nicht wie erhofft nach Rio. São Paulo musste anstelle ihres Traumziels in die Bresche springen. Im Juni 2015 nahm Bietenhader ihren Austausch in Angriff. Dieser war ursprünglich für ein halbes Jahr geplant. Prompt verliebte sie sich aber in die brasilianische Metropole und verlängerte ihren Aufenthalt immer wieder von neuem. Während ihres ausgedehnten Trips erlebte sie auch das eine oder andere ausgefallene Abenteuer: Darunter fällt beispielsweise Piranhas fischen und in der freien Natur im Amazonasgebiet in einer Hängematte übernachten. Schliesslich kehrte sie anfangs Oktober – nach insgesamt 16-monatigem Aufenthalt in Brasilien – in die Schweiz zurück.

Untertauchen ist unmöglich

Angesichts Martina Bietenhaders Erscheinungsbild hat man Grund zur Annahme, dass sie über brasilianische Wurzeln verfügt. Auch ist sie mit ihrer temperamentvollen und weltoffenen Art eine untypische Schweizerin. In Brasilien dauerte es nichtsdestotrotz keine Sekunde ehe sie als Ausländerin erkannt wurde. Auch die Art, wie Bietenhader empfangen wurde, hat sie völlig überrascht. Die Brasilianer fühlten sich geehrt, dass sie in ihrem Land arbeiten wollte. Nicht selten bekam sie die Frage zu hören, ob sie tatsächlich freiwillig in Brasilien lebt und arbeitet. Bietenhader stuft die Brasilianer aber trotz Armut und Missständen für glücklicher und gelassener als die Schweizer ein.
In der Arbeitswelt lautet das Motto der Brasilianer: «Irgendwie klappt es dann schon.» Dieses Phänomen konnte sie im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Nachhaltigkeit der Infrastruktur für die Fussball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 hautnah miterleben. Obwohl in Brasilien viele Menschen in Armut leben, verfügt Geld über einen sehr hohen Stellenwert im grössten Land Südamerikas. Darunter leidet der Ausbildungsstandard massiv. Bildung ist horrend teuer. Dies hat zur Folge, dass minderbemittelte Menschen alles andere als rosige Berufsaussichten besitzen.

Nur Geld macht gesund

Zurück in der wohlstandsverwöhnten Schweiz gibt es für Bietenhader nun kein Entrinnen mehr vor dem Verfassen ihrer Bachelor-Arbeit. Im Rahmen des Brainstormings setzte sich Bietenhader mit allgegenwärtigen Problemfeldern in der brasilianischen Bevölkerung auseinander. Das öffentliche Gesundheitssystem funktioniert in Brasilien sehr schlecht. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung ist zwar vorhanden, jedoch nur äusserst schlecht zugänglich. Wer es sich finanziell leisten kann, erkauft sich deshalb den Zugang zu Top-Kliniken. Daraus resultiert eine grosse Lücke in der Gesundheitsversorgung. Diese versuchen «Social Entrepreneurs» mit «Healthcare-Startups» zu füllen.
Im Laufe der Vorbereitungen für die Konferenz zur Institutseröffnung lernte Bietenhader einen HSG-Alumnus kennen, welcher im öffentlichen Gesundheitssystem von Rio arbeitet. Seine Erfolge in diesem Themabereich inspirierten die Studentin über «New Public Management» und «Healthcare» in Brasilien zu schreiben. Zu ihrem eigenen Erstaunen (oder eher Entsetzen) wird sie bei der Bearbeitung des Themas nicht ohne das St. Galler Management-Modell auskommen – und dies als VWL-Studentin.

Das 30. Institut der HSG

2010 wurde der HSG-Hub in São Paulo gegründet. Da Lateinamerika ein gewichtiger Markt ist, wurde er anfänglich zu rein repräsentativem Zweck aufgebaut. Nach und nach wurde die Forschung ausgedehnt. Anlässlich des grossen organischen Wachstums, den verschiedenen Studien und dem Aufbau von Partnerprogrammen fiel schliesslich der Entscheid, dass der Standort zu einem offiziellen Institut werden soll – das 30. Institut der Universität St. Gallen. Das neue «St. Gallen Institute for Management in Latin America» wurde mit einer Impact-Business-Konferenz zum Thema «Innovative Business Model for a sustainable Society» eröffnet.
Das Institut bietet gemeinsam mit seinen Partnern wissenschaftliche Forschung für Firmen an, die Interesse an einer akademischen Perspektive bekunden. Die Research-Foki des Instituts liegen auf «Access to Healthcare», «Inclusive Business & Public Policy» sowie «Renewable Energy». Darüber hinaus werden verschiedene weitere Dienstleistungen im Bereich des Consultings angeboten. Hinzu kommt das Zusammenstellen von verschiedenen Programmen oder Studienreisen.
«Das Cooperative-Lab Programm ist wirklich cool», betont Bietenhader. Mithilfe dieses Projektes sollen Studenten nach Lateinamerika gelockt werden, um dort wertvolle Erfahrungen sammeln zu können. Neben dem gängigen Austauschsemester werden auch Praktika angeboten. Diese können entweder am Institut selbst, bei Firmen, oder bei der Botschaft absolviert werden. Mit dem ortsansässigen Alumini-Club pflegt das Institut eine enge Zusammenarbeit. Ausfluss daraus ist ein attraktives Mentoring-Programm, welches sämtlichen Studenten des Cooperative-Lab-Programms zur Verfügung steht. Ausserdem ist das Institut darum besorgt, dass die Austauschstudenten einander vorgestellt werden und gemeinsame Aktivitäten stattfinden. Die Bachelor-Studentin rät allen, die offen für neue Kulturen und Arbeitswelten sind, den Schritt nach Lateinamerika zu wagen.

Martina Bietenhader

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