«Das Beste sind Prüfungen, bei denen externe Lernhilfen nicht weiterhelfen»

Externe Lernhilfen boomen. Lukas Gschwend, Prorektor Studium und Lehre, über die Gründe und Abgründe der Prüfungsvorbereitung mit Uniseminar und Co. und wie die Qualität der Lehre an der HSG durch Digitalisierung verbessert wird.

Neben Uniseminar bietet auch Benjamin Glemser seine Vorbereitungskurse neu auf Bachelorstufe an. Wo sehen Sie die Gründe für die Verbreitung von externen Lernunterlagen?

Lukas Gschwend: Es besteht gewisser Druck unter den Studierenden. Viele haben das Gefühl, sie müssen diese Unterlagen zwingend haben. Es kann sein, dass die Pflichtliteratur für die Studierenden insgesamt fast zu viel ist, so dass es viele plausibler finden, eine kompakte Lösung zu kaufen. Auch fällt mir auf, dass sich die Studierenden stark über Social Media orientieren und dementsprechend gewisse Gerüchte sehr schnell Verbreitung finden. So ergibt sich der Eindruck, dass alle mit externen Materialien arbeiten, was zu einer gewissen Verzerrung führt.

Geht es denn ohne diese Materialien?

Natürlich! Aber wenn die Befürchtung da ist, dass man ohne sie einen Nachteil hat, dann ist die Bereitschaft gross, solche Materialien zu kaufen. Ich glaube, das Beste ist, Prüfungen zu machen, für welche solche Materialien gar nicht weiterhelfen. Es muss anwendungs- und verständnisorientiert geprüft werden. Und wenn ein Drittanbieter ein gutes Übungsbuch macht, dann kann er auf dem Markt auch bestehen.

Stellen solche externen Unterlagen nicht gerade für finanziell schlechter gestellte Studenten eine Ungleichheit dar?

Natürlich fallen Kosten an. Aber die sind mit dem Studium zwingend verbunden. Wenn Sie Lehrbücher kaufen, kostet das auch schnell 50 Franken. Aus Sicht der Universität ist es aber fragwürdig, wenn sie einen ihrer zentralen Kompetenzbereiche – und das ist die Lehre – auslagert und ein Teil davon über private Anbieter abgedeckt wird, die mit der Uni gar nicht verbunden sind. Das ist ein Missstand.

Ist die Kritik berechtigt, dass es diese Unterlagen nur gibt, weil die Dozenten nicht fähig sind, gute Unterlagen anzubieten?

Das ist so sicher nicht berechtigt. Das Mindset stimmt schon gar nicht. Davon auszugehen, die besten Unterlagen seien jene, die es möglichst effizient erlauben, rein prüfungsorientiert Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, passt nicht an die Universität. Universitäre Bildung hat damit zu tun, dass man sich mit anspruchsvollem Material muss befassen können. Ich bin als Dozent nicht ein guter Dozent, weil es mir gelingt, Lernmaterialien zu schaffen, von denen der Student sagt, sie erlauben effizientes Lernen.

Was sind denn gute Lernmaterialien?

Wichtig ist, dass die Lernmaterialien den Kurs gut ergänzen. Wenn man ein Package abgeben kann, kommt das auch den Bedürfnissen der Studenten entgegen. So hat es zum Beispiel Vito Roberto für seine Assessmentvorlesung gemacht. Das Package ist vom Dozenten selbst auf seine Vorlesung ausgerichtet – das ist eine super Sache. Man kann nicht jeden Dozenten verpflichten, so etwas auch zu machen. Aber es kann eine Motivation für die Dozenten sein, wenn sie sehen, dass diese Angebote auf dem Markt gut ankommen. Dann überlegen sie, wie man die Studierenden davon überzeugen kann, dass ihre Angebote besser sind.

Solche Packages machen also externe Angebote überflüssig?

Ich begrüsse die Initiative von Vito Roberto sehr, weil auf diese Art die Tendenz zu einer nicht gewollten aber sich faktisch vollziehenden Auslagerung von einem Teil der Lehre effizient und zweckmässig unterbunden wird.

Und doch basieren viele der externen Angebote auf den Vorlesungsfolien.

Das ist so. Ich weiss von gewissen Professoren, dass es in diesen externen Unterlagen Fehler hat. Das ist nicht zweckmässig – schon gar nicht, wenn man dafür bezahlt. Oft werden eins zu eins Vorlesungsunterlagen von Professoren verwurstet. Und dann werden zum Teil erst noch Urheberrechte verletzt!

Würde man die externen Materialien nicht auch unterbinden können, wenn die Lehre mehr darauf ausgerichtet würde, dass man eben nicht nur sinnlos auswendig lernen, sondern Wissen anwenden muss?

Ja, zweifellos. Es ist klar, eine Prüfung muss verschiedene Anspruchsstufen bedienen, verschiedene Fähigkeiten prüfen und sicher nicht einfach nur mit Auswendiglernen bestanden werden können. Hier muss man aber natürlich die Stufen unterscheiden. Im Assessment wird man viele Grundlagen lernen müssen, und da ist ein Teil davon wirklich Basics. Auswendig lernen ist immer «wüst», weil es im Prinzip heisst, dass man es gar nicht wirklich verstanden hat, sondern nur «von aussen kennt». Aber logisch: Gewisse Sachen muss man auswendig wissen. Darum ist es im Assessment nicht einfach zu verwerfen, etwas abzufragen, das auf Auswendiglernen basiert. Aber das alleine reicht nicht. Es muss Anwendung und Verständnis dazukommen und geprüft werden. Die Anwendung ist das, was heute in aller Munde ist.

Wie steht es um Wissen und Anwendung im Zeitalter der Digitalisierung?

Im Zeitalter von Internet und Digitalisierung ist Wissen sehr einfach beschaffbar und steht für sich nicht im Vordergrund. Wenn man die Wissenschaftsgeschichte anschaut, waren früher Wissen und die Zurverfügungstellung von Wissen zentral. Das ist heute nicht mehr die Kunst. Aber weder Verstehen noch Anwendungsfähigkeiten gehen ohne Wissen. Das Wissen und dessen Erwerb darf man nicht unterschätzen. Aber es darf nicht sein, dass man auf Hochschulstufe hauptsächlich Wissen abfragt. Das geht heute am ehesten noch im Assessment. Und da können Karteikarten helfen – wie beim Vokabularlernen einer Sprache.

Es gibt also grossen Nachholbedarf, die Lehre zu verbessern?

Wir versuchen im Rahmen der Digitalisierung den reinen Wissensvermittlungsteil so gut wie möglich aus der Vorlesung outzusourcen – zum einen über Lektüre, zum anderen mit Lehrvideos und anderen E-Learning-Tools. Unser Hauptanliegen als Campusuniversität ist es, die Präsenzzeit möglichst interaktiv nutzen zu können. Vor Ort studieren zu können, hat immer noch einen grossen Vorteil gegenüber einem Fernstudium, weil man sich mit dem Dozenten austauschen kann – sofern man sich darauf einlässt.

Wie sieht dieses Unterfangen im Detail aus?

Die Stossrichtung des Prorektorats Studium und Lehre entspricht dem Anliegen der Studentenschaft nach mehr Interaktion, mehr Einbezug der Studenten, mehr Feedback von beiden Seiten und mehr Diskussion. Das ist die intensivste Form der Lehre, die erst erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn die Studierenden auch gut vorbereit sind. Hier sehen wir die Chancen der Digitalisierung, um effiziente Lernformen anbieten können. Digitalisierung soll die Präsenzlehre intensivieren, das ist das Ziel. Wir haben verschiedene Initiativen gestartet und gut ein Dutzend neue Lerngefässe entwickelt, die mit digitalen Elementen kombiniert wurden, zum Beispiel Videos oder Apps.

Digitalisierung ist also das Instru-ment zur Verbesserung der Lehre?

Wir fördern allgemein innovative Lehrformate, sie müssen nicht zwingend digital sein. Wir begrüssen es generell, wenn Kurse interaktiv gestaltet werden. Wir haben ein Teaching Innovation Lab, an dem gezielt Initiativen zusammenfliessen und welches Know-how, das entstanden ist, allen zur Verfügung stellt. Jeder Dozent kann sich beim Lab melden, um seine bisher traditionelle Vorlesung mit neuen Lehrformaten anzureichern. Das Lab unterstützt dann bis hin zur technischen Beratung. So lässt sich die Lehre besser auf die Bedürfnisse der Studierenden ausrichten. Die Idee ist aber nicht, dass wir die Digitalisierung vor allem für Livestreaming der traditionellen Vorlesungsgefässe brauchen. Wir sind keine Massenuniversität und wollen das auch nicht werden.

Und trotzdem nehmen die Studierendenzahlen zu.

Das ist in der Tat so. Darum kommt jetzt auch die Campuserweiterung. Wenn die Zahlen weiterhin steigen, und der Unterricht interaktiver wird, braucht es mehr Platz. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, ausreichend Lernraum für Studierende zu schaffen. Sie sollen an der Uni präsent sein, sich vor Ort austauschen, in Gruppen lernen, ohne Anstehen zu müssen. Darum bauen wir aus. Mit dem Learning-Center, das neben der Bibliothek geplant ist, wollen wir Lernraum schaffen, der die Studierenden auch atmosphärisch anspricht. Gute Professoren kann man herumschicken oder hereinholen. Aber die Kunst ist es, auf dem Campus eine gute Atmosphäre zu schaffen. Das haben Sie an Massenuniversitäten nicht.

Mit welchen Entwicklungen rechnet die Universität?

Eine Uni kann heute nicht sagen, «so viele Studierende und keiner mehr.» Das geht schon rein rechtlich nicht. Was klar ist: Wenn wir das Areal am Platztor haben, sind wir, auch wenn das Wachstum weitergeht, gut aufgestellt. Wir haben aber keine Indikatoren, die darauf hinweisen, dass die Entwicklung weitergeht. Wir gehen für die Zukunft von einer Plafonierung mit einem leichten Wachstum aus.

Mit einer weiteren Reform soll auf das Herbstsemester 2018 auch das Kontextstudium angepasst werden. Wie soll das aussehen?

Die Reform ist jetzt beschlossen und geht in die Umsetzungsphase. Die wichtigste Neuerung ist, dass wir sogenannte Fokusbereiche einführen. Die bestehenden Gefässe werden einem Fokusbereich zugeordnet, zum Beispiel Medien, Geschichte, Technologie. Der Student kann dann ganz gezielt einen Fokusbereich vertiefen. Das gibt dem Kontextstudium mehr Bezug zum Fachstudium. Man kann nach wie vor wild durcheinander Kurse wählen, aber es wird einfacher für die Studierenden, möglichst sinnvolle Kombinationen zu wählen. Auch das ist Teil der Innovation der Lehre.

Bilder Hannes Thalmann, Nina Amann
Illustration Deborah Maya Beeler


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