Den Bock zum Gärtner gemacht

Nach der «Affäre Böhmermann» ist klar: Die Justiz muss den Fall beurteilen, der Gesetzgeber die Strafbestimmung der Majestätsbeleidigung überdenken. Dies verlangt der Rechtsstaat.

Es ist absurd: Ein paar Verse eines Satirikers reichen aus, um die Regierungen zweier Länder, die Öffentlichkeit und die Medien über Wochen auf Trab zu halten. Alle haben etwas zu den Reimen von Jan Böhmermann zu sagen. Kein Wunder! Wer gibt nicht gerne seinen Senf dazu, wenn sich «Kurden treten, Christen hauen» mit «Kinderpornos schauen» und «Ziegen ficken» auf «Minderheiten unterdrücken» reimt? Böhmermann ging es mit seinem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor allem um zwei Dinge. Zum einen wollte er die Grenzen dessen aufzeigen, was Satire in Deutschland darf. Zum anderen wollte er auf den – an westeuropäischen Werten gemessen – miserablen Zustand des türkischen Rechtsstaats hinweisen. Ob der Aufritt lustig war oder nicht, darüber lässt sich streiten.

recep_tayyip_erdoganErdoğan zumindest fand kein Gefallen daran. Am 11. April stellte der türkische Präsident als Privatperson Strafantrag gestützt auf die allgemeinen Ehrverletzungsdelikte nach Paragraf 185 und folgende des deutschen Strafgesetzbuches. Dieser Antrag interessierte niemanden. Die Öffentlichkeit blickte lieber auf das Strafverlangen der türkischen Regierung, das drei Tage zuvor mit diplomatischer Note beim Auswärtigen Amt eingegangen war. Darin verlangt die Türkei die Strafverfolgung Böhmermanns auf Grundlage des Paragrafen 103 wegen der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten.

Damit war das Verfahren politisiert: Nach deutschem Recht muss die Bundesregierung in die Strafverfolgung aufgrund des Paragrafen 103 einwilligen. Am 15. April erteilte Bundeskanzlerin Merkel diese Ermächtigung. Kommentatoren allenthalben kritisierten den Entscheid Merkels. Sie hoben (zu Recht) die Bedeutung der Meinungs-, Medien- und Kunstfreiheit hervor. Sie sahen den deutschen Rechtsstaat bedroht, denselben Rechtsstaat, dessen missliche Zustände in der Türkei Böhmermann bemängelte. Die rechtsstaatlichen Grundsätze des eigenen Landes werden in der Argumentation aber ausser Acht gelassen.

Urteilen muss die Justiz

Welchen Stellenwert hat die Meinungs- und Kunstfreiheit? Ist das Gedicht Böhmermanns von den Grundrechten geschützt? Kann es sein, dass eine Bestrafung aufgrund einer Norm aus der Kaiserzeit erfolgt? Dies sind alles legitime Fragen, die jedoch nicht im derzeitigen Stadium beurteilt werden müssen. Böhmermann hatte einen Grund dafür, ausgerechnet Erdoğan zum Protagonisten seines Gedichts zu machen: Er wollte auf die allgemeine Rechtslage und die mangelnde Rechtsstaatlichkeit in der Türkei hinweisen. Wenn er im Nachgang davon spricht, die Kanzlerin habe ihn «filetiert», verkennt er die rechtsstaatlichen Grundsätze seines Heimatlandes. Ein Rechtsstaat wie Deutschland zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er das Legalitätsprinzip achtet, die staatliche Macht durch Gewaltenteilung hemmt, eine unabhängige Justiz kennt. Diese Elemente der Rechtsstaatlichkeit sprechen für die Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung, selbst wenn eine Bestrafung im Ergebnis nicht wünschenswert ist.

Eine Strafnorm, auch wenn sie 1871 eingeführt wurde, ist geltendes Recht und als generell-abstrakte Norm zu beachten. Es ist gerade Sinn und Zweck des strafrechtlichen Legalitätsprinzips, Straftatbestände vorab zu definieren und sie nicht basierend auf dem Einzelfall einzuführen oder abzuschaffen. Damit setzt der Gesetzgeber die Leitplanken für die Beurteilung späterer Fälle durch Gerichte und Behörden und gibt den Rechtsunterworfenen Rechtssicherheit. Es ist nicht Aufgabe der Regierung zu bestimmen, ob jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Diese Aufgabe kommt den Gerichten zu. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung im Fall Böhmermann ist daher genauso wenig Verurteilung, wie eine Nichtermächtigung Freispruch gewesen wäre. Vielmehr ist es an der Justiz, den Sachverhalt zu beurteilen. Diese muss jedoch nicht bloss aus Überlegungen zur Gewaltenteilung zuständig sein. Es gehört auch zu ihren Kernkompetenzen, den juristischen Stellenwert von «Ziegen ficken» und «Kinderpornos schauen» zu beurteilen, zu prüfen, ob sich Erdoğan solche Aussagen aufgrund seiner Position gefallen lassen muss, und eine Abwägung der verfassungsmässigen Rechte vorzunehmen. Gerade in Deutschland, wo der Justiz tendenziell viel Vertrauen entgegengebracht wird, gilt dies umso mehr.

Streichen muss der Gesetzgeber

Die «Staatsaffäre» hat aber auch dem Gesetzgeber Aufgaben aufgetragen. Mit den Einwänden, der Tatbestand der Majestätsbeleidigung sei antiquiert und gehöre abgeschafft, muss er sich befassen. Diese Diskussion betrifft nicht nur Deutschland. Sie ist auch in der Schweiz relevant. Auch unsere Rechtsordnung kennt nämlich den Tatbestand der Beleidigung eines fremden Staates (Artikel 296 des schweizerischen Strafgesetzbuches). Gleich wie in Deutschland ist eine Strafverfolgung nur mit der Genehmigung der Regierung möglich. Gleich wie in Deutschland zeichnet sich die Norm durch eine höhere Strafandrohung gegenüber den gemeinen Ehrverletzungsdelikten aus. Gleich irrelevant ist die Bestimmung in beiden Staaten.

In den Jahren 1984 bis 2014 verzeichnete das schweizerische Bundesamt für Statistik nicht eine einzige Verurteilung wegen der Beleidigung eines fremden Staates. Das deutsche Statistische Bundesamt weist die Verurteilungen für alle Straftaten gegen ausländische Staaten gemeinsam aus. Darunter fallen neben der Beleidigung auch der Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten sowie die Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen. In dieser Deliktsgruppe kam es zwischen 2005 und 2014 bloss zu 15 Verurteilungen, viele davon nach Jugendstrafrecht. Auch die Rechtslehre interessieren die Strafbestimmungen nicht. Die deutschen Standardkommentare widmen Paragraf 103 jeweils knapp zehn Randnummern. Der Basler Kommentar zu Artikel 296 ist mit seinen 33 Randnoten vergleichsweise geschwätzig. Dafür stellt die Obwaldner Oberstaatsanwältin Esther Omlin darin fest, dass zumindest aus völkerrechtlicher Sicht auf die Strafnorm verzichtet werden könnte. Die allgemeinen Ehrverletzungsdelikte würden ausreichen.

Abschaffung geplant

angela_merkel_themaDie deutsche Bundeskanzlerin hat bereits angekündigt, den Paragrafen 103 aufheben zu wollen. Die SPD und einige Bundesländer wollen die Abschaffung ebenfalls, wenn auch bedeutend schneller als Merkel. Ob es hierzu kommen wird, hat letztlich das Parlament zu entscheiden. Hierzulande wurde eine Petition, welche die Aufhebung der entsprechenden Schweizer Norm gefordert hatte, Ende 2011 vom Nationalrat abgelehnt. Die vorberatende Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats hob hervor, dass die Meinungsfreiheit nicht übermässig beschränkt würde und die Strafnorm notwendig sei, um die aussenpolitischen Beziehungen der Schweiz zu schützen. Die Minderheit hielt dagegen: Die Schweiz müsse ein gutes aussenpolitisches Klima durch die allgemeine Politik und nicht über Strafnormen sicherstellen. Die Kommission verwarf diese Ansicht mit neun gegen acht Stimmen.

Ob damit die gesetzgeberischen Diskussionen in der Schweiz abgeschlossen sind, bleibt abzuwarten. Zumindest in Deutschland wird man sich in absehbarer Zeit von den polemischen Diskussionen um die Böhmermann-Affäre abwenden und die juristische Beurteilung den Gerichten überlassen müssen. Regierung, Parlament und Volk müssen über die Zukunft sprechen. Es ist an ihnen zu beurteilen, ob ausländische Staatsoberhäupter einen gesonderten Ansehensschutz brauchen. Sie setzen damit Regeln und geben der Justiz ein Arbeitsinstrument, mit dem diese in der Zukunft auftretende Fälle beurteilt. Ganz im Sinne des demokratischen Rechtsstaats.

Dies ist nach sechs Jahren Romans letzter Artikel für prisma. Er hat das Magazin massgeblich geprägt.


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