Der Gipfelstürmer

Ob als früherer Fussballspieler, streitbarer Politiker oder initiativer Ökonomieprofessor: Franz Jaeger stürmt vor. prisma trifft Jaeger und spricht mit dem einstigen Rebellen unter anderem über sein Lebenswerk und die Quelle seiner Energie. Das Einzige, was für Franz Jaeger auch mit 72 noch kein Thema ist: der Ruhestand.

Ein «Profs privat» mit Franz Jaeger ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn Franz Jaeger ist nie nur privat oder beruflich unterwegs, er hat eine Mission. Immer. Deshalb treffen wir den Doyen der Schweizer Wirtschaftspolitik in einem seiner Zuhause: der Executive School. Hier unterrichtet er, obwohl er seit sieben Jahren emeritiert ist, im Rahmen des Executive MBA (EMBA) nach wie vor CEOs und Verwaltungsräte – «leidenschaftlich gerne wie damals die Assessmentvorlesungen». Das Wort Ruhestand kann und will Jaeger nicht verstehen. «Dieses Wort ist chinesisch oder russisch für mich – ich kann es weder lesen noch schreiben.»

Wie ein Vulkan

So leidenschaftlich und begeistert wie er heute beim EMBA tätig ist, war er schon immer bei der Sache. Mit seiner unglaublichen Energie – «wie ein Vulkan oder ein Kernkraftwerk», wie er selbst sagt – hat Jaeger schon immer diejenigen Dinge verfolgt, die ihm Spass bereiteten. Bereits als Junge hatte er immer ein bisschen mehr Energie als andere und verbrachte einen grossen Teil seiner Kindheit im Stadion des FC St. Gallen. Sein Vater war stark mit dem FCSG verbunden und unterstützte die angehende Fussballkarriere seines Sohnes. Obwohl sein Vater anderer Meinung war, merkte Jaeger, «dass mein komparativer Vorteil nicht beim Fussball lag.» Allerdings hat er die Leidenschaft bis heute nicht verloren. Jahre später «tschuttete» er im FC Nationalrat und war Torschützenkönig – «wahrscheinlich auf alle Zeiten», so Jaeger, der 24 Jahre für den Landesring der Unabhängigen im Nationalrat sass. Heute ist er hauptsächlich Fernsehzuschauer und jubelt mit dem FC Bayern München – wenn sie denn nicht von Real Madrid erniedrigt werden.

Kann auch feiern. Franz Jaeger zusammen mit seiner Frau, die bis 2006 an der HSG angestellt war.
Kann auch feiern. Franz Jaeger zusammen mit seiner Frau, die bis 2006 an der HSG angestellt war.

Hochbegabt

Nach der Jugend im Kreis der gutbürgerlichen St. Galler Familie und dem Besuch der Klosterschule zieht es Franz Jaeger zum Studium an die Hochschule seines Heimatkantons. Noch während des Studiums gründet er eine Familie, ist parallel dazu unternehmerisch tätig, schreibt während der Dissertation schon an der Habilitation – aufgrund der unerwarteten Wahl in den Nationalrat, lässt er den stipendierten Forschungsaufenthalt in Berkeley sausen. Das ist der einzige Moment von Unsicherheit während unseres Gesprächs. Er lässt kaum durchblicken, dass Vergangenes ihn beschäftigt, denn er sieht sich als Macher-Typ, der in die Zukunft schaut. «Darüber ob es ein Fehler war, dass ich nicht in die USA gegangen bin, denke ich nach, wenn ich gestorben bin.»

Erfolgsverwöhnt?

Es scheint, als wäre alles, was Jaeger unternommen hat, zu einem Erfolg geworden. Dabei ist er vor allem in seiner Rolle als Politiker aus der Reihe getanzt, hat mit Vehemenz gegen Kartelle und staatliche Regulierung von links und rechts gekämpft. Die Geschichte, wie er mit Unterstützung von zwei weiteren Nationalräten auf die Befreiung von Schweizer Geiseln im Irak hingewirkt hat, erzählt er noch heute begeistert. Doch sie kam nicht bei allen Personen des Establishments gut an: Franz Jaeger galt als Haudegen, den gebührenden Dank für die Aktion vermisst er bis heute, aber er gibt zu, dass er heute einiges ein wenig ruhiger angehen würde. «Aber natürlich haben wir den Medienrummel genossen!», gibt er zu – und wann erhält man schon das Privileg, sich mit Le Pen oder Muhammad Ali zu treffen? Aber als Haudegen und Revolutionäre mussten wir damit rechnen, dass wir nicht immer verhätschelt werden.»

Als Titularprofessor am von ihm aufgebauten Institut für Wirtschaftspolitik, dem Nationalratsmandat mitsamt Parteipräsidium und einer eigenen Familie mit vier Kindern wurden die vielen Termine und die zunehmende Bekanntheit für Jaeger zu einer Zerreissprobe. Themen wie die Flexibilisierung der Wechselkurse, die Bekämpfung der Monopolbildung und die Einführen des Katalysators waren unpopulär und Jaeger stand teils unter Polizei- und Personenschutz. «Das war auch für die Familie nicht einfach.» Einmal stand er zu Hause auf und vor seinem Schlafzimmer stand ein Grab inklusive Grabstein, auf dem stand: «Dieses Schwein, das uns das Autofahren vermiesen will.»

Der grösste Traum wird wahr

Doch es gab auch beruflich Rückschläge: Fast hat er den Gipfel der politischen Karriere gestürmt, die Wahl zum höchsten Schweizer. Doch die Kandidatur für das Nationalratspräsidium floppte, eine schmerzliche Niederlage. Mit einigen Jahren Abstand ist Jaeger jedoch davon überzeugt, dass Tiefpunkte – ob politische, unternehmerische oder private, oft zum Sprungbrett für Erfolge werden können. Unmittelbar danach erhielt er nämlich das Angebot der HSG für einen eigenen Lehrstuhl – ein Privileg, das ihm während seiner aktiven politischen Zeit verwehrt blieb. Und so erklomm er nicht das Nationalratspodium, sondern den St. Galler Hausberg. Er zögerte keine Sekunde und zog sich aus der aktiven Politik zurück, nutzte aber die geknüpften Kontakte, um sein Institut auf Vordermann zu bringen: Er übernahm Beratermandate, lud die Assistierenden auf sein Anwesen in Italien ein, zog Sponsorengelder aus der Wirtschaft an Land. Heute bezeichnet er das SEW, wie es mittlerweile heisst, als sein Lebenswerk.

«Zweifellos gehört auch die Kinder-Uni dazu, die ich mit meiner Frau initiiert habe», wie er stolz sagt. Die Idee kam eigentlich von seiner jüngsten Tochter, die offenbar schon früh in den Genuss einer Ausbildung an der HSG kommen wollte. «Es war eines meiner schönsten Erlebnisse, vor 800 Schülern zwischen der vierten und sechsten Primarschulklasse zu stehen, die meiner VWL-Vorlesung lauschten. Ich weiss noch, wie sie im Anschluss an die Vorlesung Interviews geben mussten. Die haben intelligenter gesprochen als manche Politiker.» Skeptiker der Kinderuni argumentierten zwar, die HSG würde Kindern bereits in jungem Alter mit liberalen Ideen indoktrinieren.

Anders als den Sport, die politische Karriere, das Institut und die Kinder-Uni kann er sein neuestes Baby nicht loslassen; eigentlich wollte Jaeger bereits vor vier Jahren zurücktreten und weniger Aufgaben wahrnehmen. Doch es ist anders gekommen. Jetzt macht er einen neuen Versuch, denn der Inhaber des Lehrstuhls, der von Joe Ackermann finanziert wird und mit einer Persönlichkeit besetzt werden soll, die gut in Wirtschaft und Politik vernetzt ist, wird so etwas wie sein Nachfolger werden.

Dolce far niente gibt es nicht

Ob das gelingt, ist noch offen. Denn Franz ­Jaeger ist ein Turbo. «Ich schalte nicht ab.» Er gönnt sich zwar eine Auszeit von drei bis vier Monaten im Jahr auf seinem Anwesen auf einem Hügel in Pietrasanta mit Weinreben und Olivenbäumen und vor allem der ganzen Familie mit vier Kindern aus zwei Ehen und sieben Enkeln aber auch da brütet der Tausendsassa neue Projekte aus.

So hat er noch einige Pfeile im Köcher. Er möchte zwar in der Lehre etwas kürzer treten, dafür wieder mehr publizieren und – als Präsident – das Kulturforum Ostschweiz weiter ausbauen, in dessen Rahmen Philosophen und Historiker aus aller Welt nach St. Gallen in den Pfalzkeller kommen. «Mein Leben gleicht einer Filmgeschichte, ein Leben mit Höhen und Tiefen, mit Niederlagen und Siegen – aber solange die Siege letztendlich überwiegen, bin ich glücklich.»

Geboren: 4. Dezember 1941 in St. Gallen
Hobbys: Alles, was man im Leben tut, sollte ein Hobby sein.
Lieblingsmusik: von geistlicher Musik über zeitgenössische Popmusik bis hin zu Hudigäggeler
Lieblingsort: Am wohlsten fühle ich mich in meinem zweiten Zu-hause in Pietrasanta in Italien.
Lieblingsessen: Alles – es muss nur gut sein! Ich bin ein Feinschmecker.


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