Der starke Arm des Gesetzes im Klo?

Ziehen Gerichtsshows wie «Richter Alexander Hold» unseren Rechtsstaat in den Schmutz? Inwieweit das Trash-Genre mit der tatsächlichen juristischen Realität übereinstimmt.

Die Angeklagte lauerte ihrem Ehemann auf der Balustrade in der Vorhalle der gemeinsamen Villa auf. Als dieser auf dem Weg zum Arbeitszimmer darunter durchging, liess die Angeklagte eine 300 Kilogramm schwere Skulptur aus fünf Metern Höhe auf ihn fallen.» So beginnen die Ausführungen des Staatsanwalts in der Gerichtsshow «Richter Alexander Hold», welche der Fernsehsender «Sat 1» seit November 2001 um 16 Uhr ausstrahlt. Die Angeklagte habe sich dafür rächen wollen, dass ihr Ehemann an einer Halloweenparty eines Bekannten mit einigen Fotomodels geflirtet habe.

Solche Fälle werden in den Gerichtsshows täglich ausgestrahlt, die weder auf Realitätsabbildungen noch auf Aufklärung gerichtet sind. Dies zeigt sich bereits bei der nicht vorhandenen Logizität des Sachverhalts. Derjenige, der das Drehbuch zu dieser Folge geschrieben hat, wird nicht der pfiffigste im Physikunterricht gewesen sein. Wie konnte der Ehemann den Aufprall einer 300 Kilogramm schweren Statue überleben? Nach einem solchen Aufprall hätten Hirn und Schädel des Opfers eine fünfmalige Viskosität von Tomatenpüree.

Beginn eines Trash-Genres

Bereits in den frühen 60er-Jahren waren Sendungen mit juristischen Themen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern beliebt. Das ZDF produzierte mehrere Gerichtssendungen wie zum Beispiel «Wie würden Sie entscheiden?» aus dem Jahre 1974. In dieser Sendung wurden reale Gerichtsverhandlungen diskutiert und am Ende durfte das Publikum abstimmen. Bei der Entscheidungsfindung, der juristischen Bearbeitung und Analyse halfen verschiedenste Juristen mit. Im Mittelpunkt dieser Gerichtssendungen stand, dass die Fernsehzuschauer ein Rechtsverständnis für solche Fälle bekamen. Unterhaltung spielte zu dieser Zeit keine Rolle.

Die sogenannten Gerichtsshows, die zwischen 1999 und 2013 produziert und ausgestrahlt worden sind, zeichnen sich durch die Aufklärung des Sachverhalts und die Bestrafung aus, also die Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Mit seinen zwei Strafrechtsfällen pro Sendung erzielte Richter Alexander Hold zu Beginn im Jahre 2001 eine tägliche Einschaltquote von 2,5 Millionen Zuschauern, die mit den Jahren jedoch zunehmend abnahm, was auf eine gewisse aufkommende Übersättigung des Genres hinweist. Der Unterschied zu den früheren Gerichtssendungen besteht in der fehlenden juristischen Aufarbeitung und Information für die Gesellschaft. Zweck der Shows ist lediglich eine hohe Zuschauerquote und der Verkauf von Werbeminuten. Eine juristische Aufarbeitung wäre für die Produzenten der absolute Quotenkiller, da dies die Mehrheit der Zuschauer nicht anspricht. Diese wollen spektakuläre Fälle sehen, in denen Emotionen gezeigt werden. In den Shows werden rein fiktive Fälle durch echte Juristen bearbeitet, die mit ihrem richtigen Namen auftreten. Dadurch soll anscheinend eine höhere Glaubwürdigkeit hergestellt werden.

Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion

In den Gerichtsshows werden Strafrechtsfälle behandelt, wobei die Auswahl der Fälle ganz und gar nicht repräsentativ ist. Die Gerichtsshows thematisieren ausser Körperverletzung, Mord, sexueller Nötigung wenig bis gar keine anderen Straftatbestände des StGBs. Diese Tatbestände werden um ein Vielfaches häufiger verhandelt, als dies im Gerichtsalltag der Fall ist.

In den Jahren 2001 und 2002 lautete in Deutschland die Anklage in 5,3 Prozent aller Fälle auf Körperverletzung, in 30,6 Prozent hingegen auf ein Strassenverkehrsdelikt. Bei der Gerichtsshow «Richter Alexander Hold» wurden zu dieser Zeit deutlich mehr Fälle der Körperverletzung und anderer schwererer Tatbestände wie Mord behandelt. Straftaten im Strassenverkehr machten nur einen Bruchteil aus. Dies zeigt, dass die Auswahl der Fälle, wie eingangs erwähnt, die Wirklichkeit nicht repräsentativ wiedergibt. Um die Quoten hoch zu halten, wird lediglich das gezeigt, was die Zuschauer vermeintlich am spannendsten finden.

Die Gerichtsverfahren bei «Richter Alexander Hold» unterscheiden sich von der Realität ausserdem durch die dort zugelassene Emotionalität sowie durch den Überraschungseffekt, der am Ende unvermutet den wahren Täter enthüllt. Die vorrangigen Ziele eines Strafverfahrens sind die Wahrheitsfindung durch die Feststellung der Tatsachen, Rechtsfindung durch die Beurteilung der Tatsachen anhand der einschlägigen Rechtsnormen und die Herstellung des Rechtsfriedens für die Bevölkerung durch das Urteil des Gerichtes.

Diese werden aber bei der Gerichtsshow ausser Acht gelassen. Ebenfalls wird lediglich das Hauptverfahren gezeigt, das zwischen 30 und 50 Minuten dauert. Auch die Urteilsverkündung quetscht sich in diese Sendezeit, die meistens ungefähr drei Minuten einnimmt. In der Realität dauert das ganze Prozedere meistens viel länger. Ausserdem wird die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens und Leiterin des Vorverfahrens völlig aussen vor gelassen. Es scheint, als hätte die Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, weshalb die Aufklärung des Sachverhalts auch erst im Gerichtssaal stattfindet. Ebenfalls kommt es in den Gerichtsshows immer zu einer Anklage. Den Zuschauern ist gar nicht bewusst, dass es neben der Anklage etwa noch die Einstellung des Verfahrens gäbe, sodass es gar nicht erst zu einer Hauptverhandlung käme.

Gift für den Zuschauer

Martin W. Huff, deutscher Wirtschaftsjurist, kritisierte in der Zeitschrift für Rechtspolitik, dass die Gerichtsshows «derartig verfälschend und zum Teil juristisch unsinning und wirklichkeitsfern» seien, «dass es dem Ansehen der Justiz und auch der Anwaltschaft schadet». Es sei «ein schleichendes Gift, das dort den Zuschauern eingeträufelt wird». Die vorliegenden Analysen zeigen, dass hinter der Aussage zweifellos ein Funken Wahrheit steckt. Es bleibt nur zu hoffen, dass, genau wie starke «Krimi-Gucker» normalerweise keine stärkere Angst haben, Opfer eines Verbrechens zu werden, auch Zuschauer von Gerichtsshows Fiktion nicht mit der Realität verwechseln.

Die Produktion von «Richter Alexander Hold» wurde aufgrund zunehmend schlechter Quoten 2013 eingestellt. Die Privatsender haben die Gerichtsshow nicht mit einem grossen Finale aus der Fernsehlandschaft getilgt, sondern lassen sie nunmehr mit Wiederholungen im Vormittagsprogramm langsam dahinvegetieren.


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