Ein Knall – und dann?

Einmal mehr wurde eine Schule in den USA Opfer eines grauenvollen Amok-
laufs. Benötigt die HSG Übungsanlässe, um sich auf einen Ernstfall vorzubereiten oder sorgen diese «shooter drills» womöglich für einen ungewollten Funken der Inspiration?

Was tun, wenn an einem gewöhnlichen Tag an der Universität plötzlich Schüsse fallen? Mit dieser Frage wurden am 14. Februar, dem Tag der Liebe, etliche Schülerinnen und Schüler der Marjory Stoneman Douglas High School im Bundesstaat Florida konfrontiert. Mit einem halbautomatischen AR-15-Gewehr eröffnete ein 19-Jähriger das Feuer auf seine ehemaligen Mitschüler und Lehrer und tötete dabei 17 Menschen – Dutzende weitere wurden teils schwer verletzt. Verstörende Aufnahmen von verängstigten Jugendlichen, die in Form von geordneten Ketten aus der Schule fliehen, gingen um die Welt. Diese organisierte Evakuation wurde nicht mitten im Gefecht von einem schnell denkenden Klassenkameraden ausgedacht, sondern im Vorfeld gründlich mit Polizei- und Lehrkräften geübt. Sogenannte «active shooter drills» sind in den USA landesweit verbreitet und sollen die Schulen genau auf solche bewaffneten Angriffe vorbereiten. Braucht sich die friedliche Schweiz überhaupt auf solch ein grausames Massaker vorzubereiten?

Schweiz von Gefahr nicht
ausgeschlossen

Die Schweiz ist nicht immun gegen Amokläufe. So erschütterte ein 57-Jähriger im Jahr 2001 das Land, als er aus Wut auf die Behörden im Zuger Kantonsparlament 14 Personen mit einem Sturmgewehr erschoss. Zehn Jahre zuvor verlor in St. Gallen ein Angestellter des Installationsunternehmens Sanitas Troesch AG sein Leben, als ein Mitarbeiter nach einem Konflikt mit seinen Vorgesetzten um sich schoss. Schweizer Schulen und Universitäten blieben allerdings glücklicherweise bis heute verschont. Chris Shaw, Regionalchef der Kantonspolizei Zürich, erklärt dies einerseits mit der bescheidenen Grösse unseres Landes. Die Lehrer-Schüler-Beziehungen sind deutlich weniger anonym als in den Staaten, was zur besseren Beurteilung der psychischen Lage der Schüler führt. Wenn bei Schülern Anzeichen für gefährliches Verhalten auftreten, wird durch Kontaktaufnahme mit der Polizei rasch darauf reagiert. So gehört die Schweiz heute in Sachen Amokprävention zu den fortschrittlichsten Ländern der Welt.
Ausserdem gilt in der Schweiz ein striktes Waffengesetz: Minderjährige kommen legal nicht an Waffen und über 18-Jährige benötigen für den Kauf einen Waffentragschein, der erst nach einer ordentlichen Überprüfung ausgehändigt wird. Dennoch warnt Chris Shaw: «Natürlich kommt man aber auch in der Schweiz zu illegalen Waffen, das ist so. In der Vergangenheit fehlte teils auch nicht viel zu einer Katastrophe. Deshalb ist es auch bei uns wichtig, dass Schulen und Universitäten sich damit auseinandersetzen.»

Eine Inspiration, die
Funken schlägt

«Are you kids good at running and screaming?», fragte ein Polizist grossäugige Kinder einer Grundschule in Ohio zu Beginn des Unterrichts. Amok-Alarm-Übungen werden von der Polizei in den meisten amerikanischen Bildungsinstitutionen regulär durchgeführt. In verschiedenen Kindergärten des Landes wird den Sprösslingen das Verstecken unter Tischen oder Schränken teils vor dem Schreiben und Rechnen beigebracht. Hinkt die Schweiz den USA im Bereich der Massnahmen zu Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinterher?
Die Ansicht der Kantonspolizei impliziert das Gegenteil: «Wir sehen solche Amok-Übungen ganz klar als einen Fehler.» So wurde in Deutschland beispielsweise eine Zunahme der Gewaltdrohungen nach organisierten Übungssituationen festgestellt. Regionalchef Shaw erklärt sich das vor allem mit dem Tumult, welchen die Übungsanlässe erzeugen: «Mit dem grossen Polizeieinsatz, den Alarmsignalen und den riesigen Schüleransammlungen werden die Übungstage fast schon zu einem Event. Es kann durchaus sein, dass man einen Schüler so auch auf Ideen bringt.» Eine Inspiration also, die wortwörtlich Funken schlägt. Darüber hinaus tauchen in ganz Amerika erste Berichte von traumatisierten Kindern und Lehrern auf, die durch die teils unangekündigten und realistischen Inszenierungen von Amokläufen unter Albträumen und ständigen Angstzuständen leiden. Selbst Präsident Donald Trump bezeichnet die Übungen als «a very negative thing». Stattdessen würde er lieber mehr Waffen in Schulen deponieren – dies während Schüler draussen vor dem White House für schärfere Waffengesetze protestieren.

HSG rüstet sich gegen
den Amoklauf

Um die unerwünschten Nebenwirkungen der Amok-Übungen zu vermeiden, verfolgen die Sicherheitsbehörden der Schweiz demnach die Strategie, dass nicht die Schüler, sondern vor allem das Personal auf Notfallsituationen ausgebildet wird. Das Problem: Eine solche Ausbildung ist in der Schweiz noch keine Pflicht. Somit liegt es an der Schule oder an der Universität ihre Angestellten auf diverse Notfallsituationen vorzubereiten. An der Universität St. Gallen trägt beispielsweise im Alltag sowie im Krisenfall ein umfangreiches Notfallkonzept zum Schutz aller Menschen auf dem Campus bei, das mit Blaulichtorganisationen ausgearbeitet wurde.
Wie diese Sicherheitskonzepte genau aussehen, bleibt allerdings verschwiegen – denn natürlich sollen auch keine HSG-Studierenden auf irgendwelche zündenden Ideen kommen. Dennoch versichert die Universität, dass die Konzepte ständig aktualisiert und der aktuellen Ereignislage angepasst werden. So wird neu im Sicherheitsfilm, der allen Neueintretenden während der Startwoche gezeigt wird, auch auf den Amok-Fall eingegangen. Kurz nach der Ankündigung dieses Artikels wurden ausserdem praktisch über Nacht in jedem Hörsaal der Universität auch Amok-Handlungsanweisungen neben den üblichen Sicherheitsanweisungen montiert.

Für eine sichere Universität

Es ist von enormer Wichtigkeit, mit dem korrekten Verhalten vertraut zu sein: Zwar kommt je nach Ereignisfall an der HSG das Sicherheitsteam oder ein Krisenstab zum Einsatz, doch es kann nicht erwartet werden, dass jederzeit und an jeder Ecke eine auf den Notfall vorbereitete Person anwesend ist. «Wenn ich während einer Vorlesung Schüsse hören würde? Wahrscheinlich würde ich mich so schnell wie möglich zum Ausgang bewegen», meinte die Mehrzahl der befragten Studenten.
Doch auf diesen Reflex ist kein Verlass: Denn bei einer allfälligen Flucht besteht die Möglichkeit, dem Schützen direkt in die Falle zu laufen. Deshalb gilt es, sich schnellstmöglich in einem Raum einzuschliessen und diesen zu verbarrikadieren. Um die für Rettungsarbeiten benötigten Netzwerke nicht zu überlasten, sollten dabei alle Mobiltelefone bis auf eines ausgeschaltet werden. Diese eine Telefonnummer soll mit der Anzahl der Personen im Raum inklusive möglicher Verletzter mittels Notiz an einem Fenster angebracht werden. Um es allerdings niemals so weit kommen zu lassen, gilt generell, Vorfälle und Unregelmässigkeiten immer und sofort dem Hausdienst der Universität zu melden. Eine Universität gestaltet sich schliesslich auch als eine facettenreiche Gemeinschaft und als ein Ort des Zusammenkommens – und diesen gilt es in der heutigen Zeit gemeinsam zu schützen.


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