Herz so gross wie Mundwerk

In Deadpool spielt Ryan Reynolds lustvoll mit dem Zuschauer und verzaubert mit Heroenklischees sowohl Fans als auch Superhelden-Skeptiker.

Ex-Elitesoldat Wade Wilson schlägt sich in einem düster-poppigen New York als Auftragskiller mit einem Fünkchen Moral und einem Feuerwerk an Gags durch, trifft die Liebe seines Lebens, erkrankt an Krebs und unterzieht sich zur Heilung einer Tortur, die aus ihm den Mutanten Deadpool macht. Der Therapeut erweist sich als Bösewicht und stellt sich zwischen Wade und die Herzensdame. Die Grundstruktur des Plots ist in der Nacherzählung so altbekannt wie langweilig, begegnet sie uns doch in jedem zweiten Superhero Movie. Die Macher des Films halten sich deshalb mit Storytelling auch nicht im geringsten auf, die Prämisse machen sie daher schon früh deutlich und füllen die angegilbte Vase mit der buntest mutierten Flora, die die Wiese auf der alten Chemiehalde neben dem Atomkraftwerk so hergibt.

Da wäre zum Beispiel die grandios aus dem Leim geratene Zeitstruktur des Films. Allein das Intro entschädigt für den Kinokartenpreis: Ein Moment irgendwo aus der Mitte der erzählten Zeit wird eingefroren und wir folgen dem Blick einer Kamera die kreuz und quer durch die chaotische Schwerelosigkeit einer Fahrzeugkollision gleitet. So schönes CGI, so schön brutal, so herrlich die dümmlich-ironischen Credits. Keine Spur von Linearität auch im restlichen Film. Der Zuschauer darf froh sein, dass der Film nicht sein eigenes Ende spoilert. Unser Protagonist Deadpool ist sich dessen bewusst, dass solches Tohuwabohu natürlich nur im Superheldenfilm passieren kann, und deshalb adressiert er auch regelmässig das Publikum in den Plüschsesseln, was jedes erfüllte Superheroklischee zur Pointe werden lässt.

Kind von x und y

Auch die Gags, die die Schauspieler wie am Fliessband runterrattern, heben das Machwerk angenehm von humorbefreiten Pathosorgien früherer Heldengenerationen ab. Zwar erzeugen die Witze die erwünschte Stimmung und die «du siehst aus als hätte x zusammen mit y ein Kind gezeugt»-Kommentare sind so dreist selbstreferentiell, dass noch die blödeste Variante einen ehrlichen Höhepunkt darstellt; eine Leichtigkeit wie bei «Guardians of the Galaxy» vermisst man jedoch stellenweise, gerade in der synchronisierten Fassung.Ein Bierchen beim Gucken empfiehlt sich, um die gröberen Kanten nachzuschleifen.

Getragen wird der Film neben der schieren Menge an abstrusen Einfällen von der Spielfreude der Besetzung. Das Projekt ist für Ryan Reynolds eine Herzensangelegenheit. Dies spürt man angenehm in jeder Szene, und Morena Baccarin ist es zu verdanken, dass aus der Gag-, Blood- and Gorebombe eine veritable Liebesgeschichte wird. Die Schauspieler schaffen es, den Charakteren eine Persönlichkeit zu geben, die nicht so platt ist, wie die Comicvorlage gedruckt ist. Kitschfrei können die Protagonisten Gefühle zeigen und der Zuschauer darf die Motivationen des Handelns glaubhaft nachvollziehen.

In der Summe kann prisma eine eindeutige Empfehlung aussprechen: wer einen launigen Filmabend mit Freunden verbringen will, darf sich auf Zwerchfelltraining freuen. Reizvoll ist besonders, dass die Stammzielgruppe risikolos auch genrefremde Begleitung einladen darf. Die deutliche Gewaltdarstellung trifft in der Regel den richtigen Ton, für die kleinen Geschwister ist der Film aber trotzdem nichts.


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