«Hesch mer en Stutz?»

An einer Podiumsdiskussion im Audimax lieferten sich Grössen aus der politischen Landschaft der Schweiz einen Schlagabtausch zum bedingungslosen Grundeinkommen. Über Utopie, Praktikabilität und die Definition von Menschenwürde.

Anfangs Mai fand im Audimax im Rahmen des vierten, von Vimentis organisierten Polit-Podiums und im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen eine Podiumsdiskussion zur Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» statt. Neben Moderator und ehemaligem SRF-Redaktor Marc Friedli waren verschiedenste Nationalratsvertreter sowie ein Initiant anwesend. Oswald Sigg (Mitglied des Initiativkomitees) und Yvonne Feri (SP) argumentierten für die Annahme besagter Initiative, während ihnen Doris Fiala (FDP) und Thomas Weibel (GLP) Konter gaben. Balthasar Glättli (Grüne) nahm eine Mittelposition ein: Trotz einer affirmativen Haltung gegenüber der Idee hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen lehnte er die angestrebte Umsetzung mittels lancierter Initiative ab.

Ziele des BGE

Friedli eröffnet die Diskussion und wirft, neben grossen Worten, sogleich die Frage in den Raum, von welchem Charakter die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) sei – handelt es sich um eine visionäre Neugestaltung der modernen Gesellschaftsordnung, oder ist es doch eher eine utopische, nicht praktikable Fantasievorstellung? Wenn es nach Mitinitiant Sigg geht, dann ganz klar ersteres. Der pensionierte Beamte, welcher nach eigener Aussage «wohl noch nie so viel gearbeitet» habe wie jetzt, betont die Vorreiterrolle, die der Schweiz durch die Umsetzung eines BGE im globalen Kontext zukommen würde. «Wir sollten nicht wieder die Letzten sein, wie bei der AHV.» Das BGE würde eine modifizierte Version der bestehenden Sozialwerke darstellen, die einzelnen Fonds zusammenführen und die Aufteilung in separate Kässeli damit obsolet machen.

Auch Feri, welche bei den Sozialdemokraten in punkto BGE Teil einer befürwortenden Minderheit ist, bekundet Interesse an der Abschaffung dieses Kässeli-Systems. Ihre Argumentation stützt sich auf die erheblichen bürokratischen Prozesse, die unserem Sozialstaat zugrunde liegen. Sie betont, dass Sozialhilfeempfänger ein hartes Leben und «nicht nur die Füsse auf dem Tisch» hätten. Mithilfe des BGE soll einem jedem Bürger in der Schweiz ein menschenwürdiges Leben zugestanden werden. Als Vorsteherin einer kommunalen Sozialhilfeabteilung habe sie schon miterlebt, wie Heimbewohner gar ihren Schmuck verkaufen mussten, um die Pflegekosten decken zu können, was eine nicht menschenwürdige Praxis darstelle.

Ein menschenwürdiges Leben

Spätestens ab dieser Äusserung sieht sich Fiala, welche die Aussagen der anderen Podiumsteilnehmer eigentlich immer als «keck» einstuft, gezwungen zu intervenieren und fordert von Feri handfeste Beweise für ihre Behauptung, denn eine solche Praxis sei in der Schweiz kaum vorstellbar und wäre tatsächlich in höchstem Masse unmenschlich (Schmuck ist in der Schweiz Teil des Schonvermögens, Anm. der Red.). «Sollte dem tatsächlich so sein, geschätzte Frau Feri, dann werde ich höchstpersönlich mit Ihnen eine entsprechende Initiative starten!» Abgesehen von diesem konkreten Beispiel sieht Fiala die Zielsetzung des BGE allerdings als eine «wohlstandsdekadente Spielerei». Man müsse aufhören immer so zu tun, als ob die Schweiz keinen ausgebauten Sozialstaat besässe, und die Aufmerksamkeit stattdessen auf Länder richten, die es tatsächlich nötig hätten – Länder, deren Zustände sowohl sie als auch Herr Sigg nur zu gut kennen sollten dank ihrer Entwicklungsarbeit.

Feri entgegnet, dass Entwicklungsländer nicht als Referenzpunkt dienen können, da sie eine andere Auslegung von Menschenwürde hätten, und Sigg ergänzt, dass sich der Stand der Menschenwürde in der Schweiz anhand der inländischen Unterprivilegierten definiere. (Ob eine derartige Scheuklappen-Argumentation in einer globalisierten Welt Stand hält, sei jetzt mal dahin gestellt.) In der Schweiz hätten 0,5 Millionen Menschen ein Anrecht auf Sozialhilfe, wovon rund die Hälfte dieses Recht aufgrund von Schamgefühl nicht einfordere. Mit dem BGE soll ein Versuch unternommen werden, die vorherrschende, verpönende Haltung gegenüber Sozialhilfe zu eliminieren.

Werden wir noch arbeiten?

Es ist längst klar, dass die Meinung über das BGE von der individuellen Auslegung des philosophischen Menschenbildes abhängig ist. Während Fiala zum Ausdruck gibt, dass die Einführung eines BGE nicht zur Steigerung der Arbeitsmotivation beitragen würde, prognostiziert Weibel den Zerfall von Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe. Weibel, der von der Atmosphäre unserer Alma Mater augenscheinlich in den Bann gezogen ist und eigentlich nur das Wort ergreift, wenn direkt angesprochen, versucht die, im menschlichen Charakter verankerte, egozentrische Tendenz mit historischem Bezug, nämlich dem Staatssozialismus in der DDR, zu belegen. Feri betont währenddessen die intrinsische Motivation der Mehrheit der Menschen und die frei werdenden menschlichen Ressourcen für Freiwilligenarbeit. Nach Siggs Ansicht wird sich «Faulheit nicht epidemisch ausbreiten».

Aus dem Publikum kommt alsbald die Frage, worin denn noch die Motivation bestünde zu arbeiten und nicht einfach ein zweites, drittes, viertes Studium zu beginnen. Denn auch wenn ein Studium Arbeit bedeutet, so leistet es dennoch keinen Beitrag zur Gesellschaft. Sigg erwidert, dass mit jedem erworbenen Stück an Wissen und jedem abgeschlossenen Studium ein Beitrag an die Gesellschaft geleistet werde. Eine Aussage, die ihm von Seiten der Studenten – welch Zufall – tosenden Applaus einbringt und wohl auch von Humboldt grösste Anerkennung erhalten hätte.

Praktikabilität und Alternativen

Als eines der Hauptprobleme wird von der Gegenseite genannt, dass keine konkreten Vorschläge zur Umsetzung aus dem Initiativtext zu entnehmen sind. Die Finanzierung ist über eine Mikrosteuer (0,2 Prozent) auf den Gesamtzahlungsverkehr angedacht, konkrete Aussagen über die Höhe der Auszahlungen werden allerdings nicht gemacht. Des Weiteren stellen sich Fragen bezüglich einer eventuellen Zementierung des Frauenbildes (Feri) und einer übersteigerten Attraktivität des Standortes Schweiz für Einwanderer. Der Zuwanderung würde Feri mittels Übergangsbestimmungen entgegenwirken wollen, während Sigg das Problem behoben sehen würde, wenn einfach alle umliegenden Länder auch ein BGE einführen.

Glättli, welcher in der Runde wohl mit der überzeugendsten Balance zwischen progressiv-sozialem und pragmatischem Denken brilliert, wirft ein, dass eine Ausweitung des Service Public anstelle eines BGE wohl weniger Widerspruch mit ausländischen Sozialstaaten herstellen würde. Von ihm stammt auch der Input, dass das bestehende Lohnsystem einer Adaption bedürfe, sodass die Jobs mit der höchsten intrinsischen Motivation nicht auch noch die höchste extrinsische (monetäre) Motivation böten. Abschliessend kann gesagt werden, dass die Initiative nicht primär auf die tatsächliche Umsetzung fokussiert ist, sondern zuallererst einmal einen Denkanstoss zur gesellschaftlichen Neugestaltung liefern will. Sigg rechnet entsprechend wenig optimistisch mit zwölf bis fünfzehn Prozent Ja-Stimmen am 5. Juni, sieht er die Funktion und Wichtigkeit der Initiative doch schlussendlich vielmehr in ihrer Signalwirkung.

Bilder Fabienne Steinemann


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