Kurdische Revolution im Nahen Osten

In den Wirren des syrischen Bürgerkriegs erweist sich ein demokratisches Experiment als Hoffnungsschimmer. Doch wird sich dieses behaupten können?

Nieder mit dem Präsidenten!» Was als harmloser Protest von Jugendlichen begann, endete in Foltergefängnissen. Auf Forderungen zur Freilassung der Kinder entgegnete Assad bloss spöttisch: ,,Macht neue‘‘. Nach fünf Jahren ist in Syrien immer noch kein Ende des Kriegs in Sicht. Der Westen und seine Verbündeten sind sich einig: Assad muss weg! Russland und der Iran hingegen wollen mit seiner Hilfe ihren Einfluss im Land verstärken. Doch welche Alternativen gibt es im vom Bürgerkrieg zerrissenen Land eigentlich?

Hoffnung für die Zukunft
In diesem Moment entsteht ein interessantes, demokratisches Experiment im faktisch autonomen Rojava, einem Gebiet, das sich rund vierhundert Kilometer entlang der türkischen Grenze erstreckt. Es steht unter Einfluss der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Die triumphierenden Verteidiger von Kobane, allen voran die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zusammen mit ihren Frauenkampfverbänden (YPJ), sorgten letztes Jahr für ein Medienspektakel im Kampf gegen den IS. An der Verteidigung waren auch christliche und arabische Verbände beteiligt. Die 2.5 Millionen Einwohner der Region setzen sich aus einer ethnischen und kulturellen Vielfalt zusammen: Neben den Kurden gibt es arabische, turkmenische, armenische und assyrische Minderheiten.

Kurswechsel der PKK
Laut verschiedenen kurdischen Infoportalen ist das nordsyrische Rojava darum bemüht, Vorzeigemodell für ganz Syrien zu werden. Eine direkte, kommunale Demokratie soll entstehen, in welcher die neu aufgebauten, basisdemokratischen Institutionen alle ethnischen und religiösen Minderheiten miteinbeziehen. Jeder könnte am politischen Geschehen beteiligt werden. Es werden sogar Frauenquoten angedacht. Für den Nahen Osten klingt das nach einer Revolution. Doch warum wird dieses Experiment vom Westen und seinen Verbündeten weitgehend ignoriert? Immerhin haben sich die syrischen Kurden unter der PYD als wichtigster Verbündeter im Kampf gegen den IS bewiesen. Trotzdem sind sie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ein Dorn im Auge. Denn dieser befürchtet, dass ein erfolgreiches Rojava an der türkischen Grenze die Autonomiebestrebungen im eigenen Land in der ohnehin schon angespannten Lage stärker beflügeln wird. Für Erdoğan ist die PYD ausserdem nur ein weiterer Ableger der PKK, mit welcher sich die Türkei bereits seit Jahrzehnten einen erbitterten Kampf liefert und die im Land bereits Dutzende Terroranschläge verübt hat.
Beobachter sind sich jedoch einig, dass PKK-Führer Abdullah Öcalan von seiner autoritär-marxistischen Parteihaltung abgelassen hat. Stattdessen sollen er und seine Partei nun anstelle eines eigenen Kurdenstaats die Demokratie und Autonomie in einem föderalistischen System fordern. Das Problem hierbei ist, dass die PKK von der Türkei und vom Westen immer noch als Terrororganisation eingestuft wird und Erdoğan die Verhandlungen für den Friedensprozess abgebrochen hat.
Die Kämpfer der PYD konnten durch die Rettung der Jesiden vor dem IS ihr Ansehen international steigern: Der Westen hat sie fortan unterstützt. Doch nun bombardiert die Türkei neben dem IS auch kurdische Stellungen: Sie will verhindern, dass auch das Gebiet westlich des Euphrats zurückerobert wird und somit alle Kurdengebiete in Rojava miteinander verbunden werden können. Der Westn steht hier vor einem Dilemma, da sie trotz Unterstützung für die syrischen Kurden ihren Bündnispartner in Ankara nicht vor den Kopf stossen wollen.

Die Realität sieht meist anders aus
Nicht alles läuft in Rojava nach Plan: Die unabhängige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) beispielsweise erhebt schwere Vorwürfe gegen die PYD und YPG und spricht von willkürlichen Festnahmen politischer Gegner, Entführungs- und Mordfällen, sowie Misshandlung von Häftlingen. Ein liberaler, kurdischer Radiosender sah sich gezwungen, sein Programm aufgrund von Drohungen einzustellen. Die Türkei und Amnesty International (AI) unterstellen der YPG zudem Kriegsverbrechen in Form von Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen turkmenischer und arabischer Minderheiten. Die YPD hat die Anschuldigungen durch die Menschenrechtsorganisationen zurückgewiesen und wirft ihnen im Gegenzug vor ethnische Spannungen zwischen Kurden und Arabern anzufachen.

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Viele sind dagegen
In einem ethnisch und kulturell vielfältigen Land wie Syrien könnte das Modell Rojava eine langfristige Lösung für den seit Jahren andauernden Konflikt bieten. Föderalismus, Einbezug aller Minderheiten, sowie Selbstverwaltung stellen in einer im Chaos versinkenden Region stabilisierende Grundpfeiler dar. Doch die Zukunft des Projekts steht auf wackligen Beinen. Neben Korruption und Spannungen in der eigenen Bevölkerung stellen sich auch die syrische Regierung und ihre Opposition vehement gegen ein autonomes Kurdistan in Nordsyrien. An den Verhandlungstisch in Genf ist die PYD bisher nicht eingeladen worden, obwohl gerade Russland dies befürworten würde und sich offen für eine Föderalisierung Syriens zeigt. Eine Zukunft Syriens ohne PYD wird jedoch schwierig zu gestalten sein.
Bisher konnte ihr militärischer Arm Rojava vor den Wirren des Kriegs bewahren. Es bleibt zu hoffen, dass das dort stattfindende Experiment nicht in internen Streitigkeiten untergeht. Erweist es sich als erfolgreich, könnte die Region als Demokratie im Nahen Osten so weitere westliche Unterstützung erhalten. Legitimation in der internationalen Staatengemeinschaft wird in Zukunft von Nöten sein, um sich auch politisch abzusichern. Ansonsten werden weder die Türkei, noch Assad oder die Oppositionellen den Status quo als gegeben hinnehmen, da er ihren eigenen Interessen widerspricht.

Bilder zvg


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