Von Zug zu Zug zum Lungenzug

Die häufigste vermeidbare Todesursache der Welt und doch wenig straffen Regelungen in der Schweiz unterstellt. Vom Tabakkonzern zum Genussraucher bis hin zur Prävention: Wer redet mit, wenn es ums Rauchen geht?

Hesch mer e Zigi?» ist nicht nur eine Frage, sondern ein soziales Phänomen. Wenig andere Fragen verleiten Leute dazu, in Minusgraden sich freiwillig auf den Balkon zu stellen und sich die Finger im warmen Lichte eines Glimmstängels abzufrieren. Eine kleine Frage führt zu neuen Bekanntschaften, welche sich alsbald zu Freundschaften entwickeln. Ein Eisbrecher, welcher seinesgleichen sucht, der erste Wortwechsel in einer durchtanzten Nacht.

Sozial akzeptierte Droge

Die erste Zigarette hätte ihn damals in der Lernphase runtergebracht, erzählt ein Student beim Kaffeetrinken. «Und dann wird es zur Gewohnheit, wie Zähneputzen vor dem Schlafengehen, wie Händewaschen nach dem WC.» Auf die Frage, ob das jetzt eine Form der Abhängigkeit sei, verneint er und rudert gleich darauf wieder zurück: «Dieses Verleugnen, dass man nicht abhängig sei, ist ja eigentlich ein starker Indikator, dass man abhängig ist.» Auch im Ausgang, denn ein Bier geht mit Zigarette Hand in Hand, das Rauchen ist zudem ein Katalysator für Konversationen. Das Problem sei, dass es ein so einfaches Laster sei, weil man nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen könne, eine sozial akzeptierte Droge, welche allgegenwärtig ist.

Vermeidbarer Tod

Tabak fand seinen Ursprung auf den beiden amerikanischen Kontinenten, ist aber mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet. 22 Prozent der Weltbevölkerung rauchen gemäss der WHO und 12 Prozent der Weltbevölkerung stirbt daran. Tabakkonsum ist der häufigste vermeidbare Todesgrund auf der ganzen Welt. HSG-gerecht aufbereitet bedeuten diese Zahlen, dass sich die globalen wirtschaftlichen Schäden des Tabakkonsums auf 1.4 Billionen US-Dollar pro Jahr belaufen.
Dass Rauchen schlecht ist, dessen sind sich die meisten Konsumenten bewusst. Doch ganz unterschiedliche Gründe führen die Leute immer wieder dazu, zu der Zigarette zu greifen. Im frühen Jugendalter sei Prävention am wichtigsten, meint Bruno Eberle, Geschäftsführer der Lungenliga St. Gallen-Appenzell. In der fünften bis neunten Schulklasse werden interaktive Workshops kostenlos angeboten, welche aufzeigen, wie beim Rauchen eine Abhängigkeit entsteht und Kinder und Jugendliche über die Risiken aufgeklärt werden.

David gegen Goliath

Eberle weist darauf hin, dass sie im Kampf gegen die Tabakindustrie kein einfaches Los gezogen haben. Dem grössten national durchgeführten Projekt der Lungenliga St. Gallen-Appenzell wurde ab Juni 2015 die Zuschüsse vom Tabakpräventionsfonds des BAG gestrichen: Nächstes Jahr wird das Projekt «Rauchfreie Lehre» eingestellt, welches in Höchstzeiten bis zu 16 000 Teilnehmende hatte. Mit einem nun jährlichen Budget von etwa 120 000 Franken (Geschäftsjahr 2016) für Projekt- und Werbeaufwand ist es ein kleiner, wenn auch benötigter Gegenpol zu den mächtigen Tabakkonzernen, welche in der Schweiz eine starke politische Stimme besitzen. Japan Tobacco, Philip Morris und British American Tobacco, drei der fünf grössten Tabakkonzerne sitzen in der Westschweiz. Durch lockere Tabakregulierungen hat sich die helvetische Enklave in der supranationalen EU einen klaren Wettbewerbsvorteil verschafft.

Rauchfreie Bahnhöfe

Nach dem 2008 erlassenen Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen in öffentlich zugänglichen Räumen und an Arbeitsplätzen konnte 2009 die Lungenliga mit der Unterstützung der Krebsliga Kanton St. Gallen einen Erfolg verbuchen: die Durchsetzung eines verschärften Passivrauchschutzes in Gastronomiebetrieben. Neu prüft nun die SBB die Option der rauchfreien Bahnhöfe auf 2018. Eberle amüsiert sich über die hehren Ziele: «Auch wenn das Rauchverbot aus Gründen der Einsparung der Reinigungskosten erlassen wird, uns freut das natürlich und es ist längst überfällig.»
2016 muss die Tabakprävention einen bitteren Rückschlag einstecken mit der Zurückweisung des ersten Tabakproduktegesetzes. Tabakkonzerne sahen darin ihre Wirtschaftsfreiheit eingeschränkt, wohingegen Präventionsorganisationen für mehr Regelungen plädieren. Die überarbeitete zweite Version wird sich auf ein Verkaufsverbot für Minderjährige konzentrieren und die Werbeeinschränkungen für die Tabakkonzerne lockern. Möglicherweise wird deswegen Ende 2017 eine eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» lanciert, die von der Lungenliga St. Gallen-Appenzell unterstützt wird.

Tabakmissbrauch 2.0

Immer wieder werden Alternativen zum Rauchen oder zur Rauchentwöhnung diskutiert. Hochkontrovers sind E-Zigaretten: Konzerne wollen weniger strenge Regelungen dafür und wähnen eine Möglichkeit, Nichtkonsumenten so an das Rauchen heranzuführen, während die medizinische Unbedenklichkeit der E-Zigarette noch nicht abschliessend geklärt wurde.
In Skandinavien hat der Mundtabak Snus eine lange Tradition: Ursprünglich loser Tabak, den man sich komprimiert zu einer Kugel unter die Oberlippe klemmt. Sehr unhygienisch und verbunden mit dem Image der Arbeiterklasse kam immer mehr das Rauchen auf, bis in den 70er-Jahren Portionssnus auf den Markt kamen, Tabak abgepackt in kleine Papiersäckchen. Zwei skandinavische Austauschstudenten erzählen über die Snus-Kultur in ihrer Heimat: «Es ist schön, dass wir eine eigene Variante von Tabakmissbrauch haben.» Eine von Schwedens Bedingung für den EU-Beitritt war, dass Snus durch seinen Stand als Kulturgut weiterhin gewerblich vertrieben werden darf. Snus gilt als tendenziell weniger gesundheitsschädigend als andere Mundtabakformen: Schweden konsumiert nicht weniger Tabak, hat jedoch eine tiefere Krebsrate. Experten stehen einer Legalisierung des nikotinhaltigen Snus kritisch gegenüber, und nach wie vor bleibt in der Schweiz, wie auch in der EU, der Vertrieb von pulverartigem Snus verboten.

Schlaue Schachzüge

Der Student, welcher zuvor über seine Anfänge des Rauchens geredet hat, blickt auf seine leere Kaffeetasse, seufzt und sagt: «Jetzt eine Zigarette…» Die hat er allerdings nicht dabei, denn er hat beschlossen, seinen Zigarettenkonsum runterzufahren. Natürlich sei ihm bewusst, welche negativen Folgen das Rauchen auf ihn habe und auch wie es sein Leben kontrolliert. Diese Gewohnheit des Rauchens möchte er nun eliminieren.
Die gesundheitsbewusste westliche Welt greift immer weniger zu Zigaretten und dies sehen Tabakkonzerne als Anlass in Länder zu expandieren, welche wenige Regulierungen zu Tabakwerbung haben. Lange Zeit zählten Subsahara-Staaten zu Nichtrauchernationen. Geschickt umgehen Konzerne die dort bestehenden seichten Verbote und greifen zu drastischen Mitteln, um die tiefen Raucherquoten in die Höhe zu treiben.
Jeder Mensch hat die Freiheit, selber zu entscheiden, ob er rauchen möchte oder nicht. Diese Freiheit zur eigenen Entscheidung wird eingeschränkt durch Werbung und Verbote und die Diskussion über die notwendige Regulierungsdichte in diesen Belangen wird unsere Generation weiter beschäftigen.


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