Wie viel Lärm erträgt der Bib-Gänger?

In der Bibliothek werden selbst Meister der Prokrastination durch die vorherrschende Ruhe zu einer effizienten Arbeitsweise gedrängt. Wie reagieren wir, wenn jemand diese Ruhe stört?

Donnerstagnachmittag, 15 Uhr: ein gewisser Grundlärm herrscht bereits. Die Symposiumsmitarbeiter wirbeln im unteren Stock wie Arbeitsbienen umher und stellen für einen Vortrag Stühle auf. Unauffällig mischt sich eine unschuldig wirkende prisma-Redaktorin unter die ruhig arbeitenden Studenten. Lauthals beginnt sie mit einem Sitznachbarn eine Unterhaltung über das verrückte Wetter in St. Gallen zu führen. Anders als erwartet, reagieren ihre Kommilitonen aber nicht mit einer Beschwerde, sondern drehen sich einfach zu ihr um und blicken sie schmallippig an, ohne etwas zu sagen.
Die für den Schweizer typisch passiv-aggressive Art, mit solchen Querulanten umzugehen, ist ein Phänomen, welches wir allzu gut kennen. Wie viel braucht es jedoch, bis selbst dem ruhigen Eidgenossen der Kragen platzt? Nichts geht über ein Feldexperiment, weshalb die plötzlich als Forscherin agierende Journalistin in ein weitum hörbares Husten einsetzt, das nach und nach zu einem fast schon verzweifelten Lachanfall mutiert – für die stetigen Bib-Gänger kein unüblicher Vorfall. Doch selbst als der Körper in einer vermeintlich unkontrollierbaren Lachekstase zu beben beginnt, bewegt sich bei den Studiengenossen nichts. Zwar strecken einige ihre Köpfe genervt hinter den Sichtschutzvorrichtungen hervor, tolerieren aber die Demolierung der Lernatmosphäre in den geheiligten Hallen akademischen Lernens.

Mit Musik zur Weissglut

Da es mit lauten Unterhaltungen nicht funktionierte und auch das Lachen keine Beschwerden hervorzulocken wusste, setzt sich die dickköpfige Feldforscherin wieder an ihren Laptop und lässt erstmals von Rick und Morty «Get Schwifty» laufen. Damit ist der Bogen wahrscheinlich endlich überspannt, denn tatsächlich beginnt sich ein Sitznachbar über die Störungen zu echauffieren und meint etwas genervt, wenn jemand schon nichts zu lernen hätte, solle er doch einfach nach Hause gehen. Er selber hätte nämlich sehr wohl etwas zu tun.
Nun ja, es ist ja nicht so, als hätte die gewöhnliche Feldforscherin nicht noch andere Beobachtungen im «natürlichen Habitat des Akademikers» zu erledigen. Von Zeit zu Zeit muss auch diese manchmal in Ruhe über die Bücher gehen. Die Erhebung empirischer Daten mittels Beobachtung ist jedoch noch lange nicht vorbei. Da die Forscherin jedoch entdeckt wurde, wechselt sie den Standort und platziert sich an einem anderen Ort in der Bib.

Lautes Telefonieren hat noch jedem den Schnuller aus dem Mund gejagt

Man kennt es aus den Vorlesungen: Plötzlich geht das Mobiltelefon vom Studenten aus der dritten Reihe los und spielt den Themensong von «Game of Thrones». Von einer Lautlosfunktion haben manche Individuen scheinbar noch nie etwas gehört. Normalerweise reagiert der ertappte Sünder ziemlich schnell und schaltet den Fernsprechapparat aus, doch was ist, wenn man es einfach überhört?
Der Versuch startet und das Mobiltelefon beginnt zu klingeln. Die einsetzenden Blicke werden gar nicht beachtet. Nach dem ersten Mal durchklingeln, hat sich immer noch niemand beschwert. Mit der geduldigen Forscherin hat sich das jedoch noch nicht erledigt und so klingelt das Telefon nochmals und nochmals. Erst nach dem vierten Mal meint jemand ganz freundlich: «Sorry, dein Telefon klingelt die ganze Zeit, könntest du es bitte auf lautlos stellen?»

Freundlichkeit erleichtert das Leben

Dieser Versuch hat zweifellos gezeigt, dass, wenn man sich normal verhält, alle Kommilitonen in der Bib einigermassen Verständnis dafür aufbringen können, falls jemand etwas zu laut sein sollte. Die Grenze ziehen viele vor allem da, wo nicht mehr von gesittetem Verhalten gesprochen werden kann.
So haben sich die Leute lediglich über das Musikhören ohne Kopfhörer und über das klingelnde Smartphone beschwert. Freundlich wiesen sie mit einem passiv-aggressiven Unterton darauf hin, dass der Krach in diesem Ambiente eher unangebracht sei. Benimmt man sich wahrhaftig daneben, geht es zwar eine Weile bis sich der gewöhnliche Schweizer beschwert, aber wenn, dann richtig. Vielleicht waren es aber auch nur die Deutschen, die auf das nervige Feldexperiment reagiert haben.


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