Gastbeitrag von: Valerio Signorelli
Seit nun mehr als einem halben Jahrzehnt lege ich mir am 6. Dezember den rot-goldenen Mantel um, der mich stets fast erfrieren lässt in der anfänglichen Winterzeit. Ich quäle mich mit irgendwelchen verbrauchten und nach letztjährig-spendiertem Schnaps riechenden „Samichlausbärten“, stelle meine Stimme auf tief, um nebst dem ganzen Kostüm die Rolle noch wirklicher spielen zu können, und versuche den vielen gespannten und angespannten Kindern an meinem ursprünglichen Wohnort eine Freude als St. Nikolaus zu bereiten. Viel habe ich seit meinem ersten Einsatz als Knecht Ruprecht („Schmutzli“) für einen gelungenen Samichlausbesuch dazugelernt. Zum Beispiel, dass man nichts abgefahrenes bringen muss, um die Kinder zu erfreuen, nicht gezwungen ist, den Superwitz des Abends zu reissen, um alle zum Lachen zu bringen. Denn es scheint, als wäre man allein durch die Rolle des Samichlauses wie dazu bestimmt, dass sich alles stets zum Guten wendet. So einfach ist es.
In den Tagen danach vermisse ich oftmals die Stimmung, die in der Luft mitschwingt, wenn man unterwegs ist, mit Schmutzli an seiner Seite, der nach Zigaretten stöhnt und sich über die vereisten Gehwege beschwert. Wenn man den Kindern vom Esel erzählen darf, der angeblich alt sei und nicht mehr den langen Weg vom einsamen Walde ins heimische Dorfe auf sich nehmen könne. Dann, wenn die Welt so einfach erscheint, so stimmig in sich selbst, da sie an dem Abend nur dem Zwecke zu dienen scheint, den Kindern eine Freude zu bereiten, ihre Wünsche und Ängste anzuhören und ihre grossen Augen mit adventlichen Geschenken zum Strahlen zu bringen – dann lernt man die Rolle des Samichlauses lieben.
Nach den zahlreichen Kinderbesuchen werden in Bauernstuben bei Fondue und reichlich Weisswein die Anekdoten des langen Abends zusammengetragen. So erzählt der eine Samichlaus, wie ein Dreikäsehoch sich über die zu wünschen übrig lassenden Kochkünste seiner Mutter beschwerte, die angeblich täglich Makkaroni kochen soll. Ein anderer Samichlaus schildert, wie schräg und schrill er das Trompetenspiel eines Geschwisterpaares empfunden habe, obgleich er zuvor als „Ersttester“ des selbstgebrannten Hausschnaps fungiert hatte. In einer anderen Wohnstube sind dem Samichlaus und Schmutzli halsbrecherische Bodenturnübungen vorgeführt worden, wohingegen andere von rührend vorgetragenen Adventsgedichten schwärmen. Die Samichläuse sind froh darüber, dass sie so manches Unangenehmes an ihren Knecht delegieren konnten – zum Beispiel die Mitnahme der ausgelutschten Schnuller der nun ein wenig reiferen Kinder. Nach ein bisschen mehr Wein und sogenanntem „Kaffee mit Schuss“ wird in der Bauernstube darüber sinniert, ob noch ein Plätzchen an den eigenen vier Wänden frei ist, um diese mit den liebevoll gemalten Kinderzeichnungen tapezieren zu können. Auf jenen Bildern soll ja angeblich man selbst dargestellt sein, als Samichlaus – vielleicht braucht es dazu noch einige Jahre mehr an Erfahrung, um diese Zeichnungen in ihrer vollen Blüte auch wirklich schätzen zu können.
In der Bauernstube wird das letzte Weinglas geleert, der mittlerweile wieder aufgetaute rot-goldene Mantel in die Kiste verstaut, die Bärte mit den neuen Schnapsspuren werden mit Genuss zu den Mänteln gelegt und die Stimme findet ihren ursprünglichen Klang wieder. So verabschieden sich die Rollenspieler in der Bauernstube, ein bisschen wehmütig, und doch freudig über den gelungen Abend und so kehren sie zurück in die Welt ohne Samichlaus und ohne Schmutzli. Sie alle, sie alle lieben diese Rolle.
______________________________________________
MEHR DAZU
- Blog: prisma Adventskalender 2011
- Blog: Ein Rundgang über den Campus
- Blog: Kamakura