Challenge the Best: Interview mit Koos Richelle

Das Interview entstand im Rahmen der Challange the Best Konferenz an der HSG. Den Artikel zu der Konferenz finden Sie hier. Koos Richelle ist Generaldirekor der Generaldirektion für Arbeit, Soziales und Inklusion der Europäischen Union.

prisma: Was hat Sie motiviert oder bewegt, an dieser Konferenz teilzunehmen, bei der die studentischen Teilnehmer ganz bewusst darauf vorbereitet werden, die anderen Gäste und Sie herauszufordern?

Koos Richelle: Zunächst einmal habe ich es mir im Laufe meiner Karriere durchgehend zum Ziel gesetzt, mit der jüngeren Generation in Dialog zu treten. Ich denke, es ist wichtig, dass sie wissen, was Europa ist und was es leistet – aber auch, wo seine Grenzen sind. Wenn man wie hier zusätzlich die Gelegenheit bekommt, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die thematisch für den eigenen Job relevant ist, die gesteigerten Wert auf eine gute Vorbereitung legt und zu der die Studenten nicht einfach nur hingehen und zuhören und dann wieder nach Hause gehen, ist das zusätzlich motivierend.

Die Teilnehmer sind alle noch Studenten, deswegen wird sie das Thema „the future of work“ in ein paar Jahren ganz direkt betreffen, wenn sie anfangen zu arbeiten. Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen?

R: Vieles deutet darauf hin, dass Ihre Generation eine lange Arbeitszeit und Karriere vor sich hat. Die Politik vieler Länder zeigt, dass die Menschen generell länger arbeiten sollten und das es nicht nachhaltig ist, dass so viele Leute so früh in Ruhestand gehen wie bisher. Außerdem werden die Arbeitsmuster flexibler werden: die Idee, dass jemand einen Job annimmt und dort 20, 30 Jahre lang bleibt scheint nicht das dominante Zukunftsmodell zu sein. Flexibilität wird von jedem erwartet werden, es geht dabei um die Bereitschaft, sich zu verändern, vielleicht sogar den Arbeitsbereich komplett zu wechseln, weil die Umstände es verlangen. Dadurch wird es wichtiger, das Arbeitsleben von Beginn an besser zu planen, was auch ein gutes Gleichgewicht mit dem Privatleben umfasst. Wenn man länger arbeiten muss, ist es notwendig, diese Tätigkeit gut auf die Jahre zu verteilen, damit es nicht schon zu Beginn der Karriere zu Burn-Outs kommt.

Die EU hat sich sehr hohe Ziele gesetzt, um die Jugendarbeitslosigkeit zu reduzieren und die Zahl der Beschäftigten insgesamt zu erhöhen. Welche Massnahmen wurden konkret ergriffen?

R: Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, dass bis 2020 mindestens 75% der 15-65- Jährigen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben, einen Arbeitsplatz auf dem formellen Arbeitsmarkt haben sollen. Bedauerlicherweise gibt es bei der Umsetzung einen Rückstand. Nicht alle nehmen am Arbeitsmarkt teil, es gibt immer noch einen grossen Anteil an Frauen und Menschen mit Behinderungen, die
das nicht tun. Dazu kommt, dass diejenigen, die einen Job hatten, ihn zum Teil verloren haben und arbeitslos wurden. Wir beobachten zur Zeit eine sehr hohe Jugendarbeitslosenquote, die
innerhalb der EU doppelt so hoch ist wie die der allgemeinen Bevölkerung. In einigen Ländern, wie Griechenland oder Spanien, sind zwei von drei jungen Leuten arbeitslos. Wir haben das jetzt seit
zweieinhalb Jahren zum Thema gemacht und darauf bestanden, dass diese Länder Handlungspläne aufstellen, um den jungen Arbeitslosen zu helfen. Wir haben angefangen, mit den Mitgliedsstaaten
eine Umstrukturierung der Mittel, die ihnen aus dem Europäischen Sozialfonds zustehen zu diskutieren, und sie machen das. 16 Milliarden Euro wurden bereits aus dem Sozialfonds und dem
Fonds für regionale Entwicklung umprogrammiert, um Jugendliche zu unterstützen.

R: Wir müssen auf allen Ebenen, nicht nur auf der universitären, sondern auch bei Berufsausbildungen, sichergehen, dass die Qualifikationen Qualität besitzen und dass die Ausbildung zu Qualifikationen führt, die in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Das ist Aufgabe des Schulsystems. Wir sollten aber auch bessere Möglichkeuten entwickeln, junge Leuten bei der Entscheidung über ihre Ausbildung zu beraten. Denn wir können beobachten, dass es in Europa in naher Zukunft einen echten Mangel an in technischen Bereichen ausgebildeten Menschen geben wird. Wir werden versuchen müssen, die entsprechenden Fachkräfte aus anderen Teilen der Welt zu bekommen, was nicht nötig gewesen wäre, wenn man die Studenten besser über diese Möglichkeiten informiert hätte. Außerdem geht es natürlich auch darum, die Mobilität der EU-Bürger zu fördern. Derzeit gibt es ungefähr eine Million offene Stellen in Europa, die für fünf bis sechs Monate unbesetzt bleiben. Das ist ein Zeichen dafür, dass es schwer ist, die richtigen Kompetenzen und die Jobs zusammenzubringen. Wir wollen den internen Markt, der durch die EU erschaffen wurde, bestmöglich nutzen. Dazu gehört auch, die Mobilität und die Bereitschaft, mobil zu sein zu
stärken.

Europas Gesellschaften werden immer älter. Heute Morgen haben Sie in diesem Kontext den Begriff „active ageing“ verwendet. Was ist konkret damit gemeint?
R: Es hat verschiedene Bedeutungen. Zunächst einmal ist klar: Wenn Leute länger leben, sollten sie auch länger arbeiten. Deswegen versuchen wir unsere Mitgliedsstaaten zu ermutigen, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Zweitens ist es wichtig, dass die Leute sich bewusst werden, dass sie länger leben und dass sie sich nicht auf eine lange Zeitspanne vorbereiten, in der sie nichts tun, sondern versuchen, aktiv etwas zur Gesellschaft beizusteuern. Das kann Freiwilligenarbeit sein oder Hilfe in der Familie, solange sie Dinge tun, die sie am Alltagsgeschehen interessiert bleiben lassen. Es gibt noch eine dritte Bedeutung: Wenn wir alle länger leben, müssen wir darauf achten, während unserer Berufszeit eine gute Balance zwischen dem Job und dem Stress, dem wir dadurch ausgesetzt sind zu finden. Es gibt da ein passendes Sprichwort: Wenn du alt werden willst, musst du früh anfangen, dich darauf vorzubereiten. Natürlich sollten nicht alle schon mit 20 anfangen, sich Gedanken über ihren Ruhestand zu machen, aber zumindest sollte man sich im Berufsleben dafür vorbereiten, auch danach aktiv zu bleiben.

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