Let it flow – Paradies: Liebe

Männlicher Sextourismus nach Thailand und allgemein Asien ist ein alt bekannter Hut – dass sich auch Frauen Betthupferl in Afrika suchen ist nicht unbedingt common knowledge. Doch sie tun es und exakt von dieser Begebenheit handelt der neue Film Paradies: Liebe von Ulrich Seidl. Der Film bildet dabei den Auftakt zu seiner Triologie, die mit Paradies: Glaube und Paradies: Hoffnung weitergeführt wird. Die Reihe zeigt, wie drei Frauen einer Familie ihren Urlaub verbringen. Die erste, Teresa, gespielt von Margarethe Tiesel, fährt dabei nach Kenia – vordergründig um die Sonne und das Meer zu geniessen, hintergründig aber sucht sie etwas anderes… Sex, Leidenschaft, vielleicht Gefühle.

Ihre Freundin Inge ist bereits seit längerem in Kenia in den Ferien und hat schon so ihre Erfahrungen gemacht. “Süchtig wirst du, nach dem Duft von deren Haut…”, schwärmt sie Teresa vor. Wie toll der Sex  mit den “Negern” sei, dass man sich nicht zu kümmern braucht, wie man ausschaut, nicht mal rasieren muss sie sich, erzählt sie ihrer Freundin. Irgendwie peinlich berührt sitzt man im Saal und hat Mitleid mit Teresa, wirkt sie doch derart naiv und unbeholfen, wie sie in ihren Flipflops über den Strand watschelt und nett lächelnd versucht die Strandverkäufer abzuwimmeln. Doch einer lässt sich nicht abwimmeln und scheint ihr Interesse zu wecken; er könnte mehr sein – Gabriel. Und so verwandelt sich Teresa, einen watschelnden Schritt nach dem anderen, von der schüchternen Touristin in ein herrische, sexsüchtige Hexe.

Je länger der Film dauert, je mehr Männer sie sich sucht, umso kleiner wird das Mitleid, das man ihr gegenüber empfindet, bis es sich schliesslich komplett in Luft auflöst, irgendwo verloren gegangen unter dem blauen Moskitonetz. Es kommt Abscheu und Scham, darüber, dass Frauen offensichtlich keinen Deut besser sind als Männer, wenn es darum geht, sich ein exotisches Abenteuer zu suchen und sich befriedigen zu lassen. “Fleischbeschau” trifft es wohl am besten.

Dass Geld auch hier eine Rolle spielt, und nicht die grosse Liebe, wie es immer wieder beteuert wird, ist für alle offensichtlich – ausser für Teresa. Jedes Mal scheint sie aufs Neue überrascht, wenn sie angebettelt und beinahe gezwungen wird, ihren Geldbeutel zu zücken. Genau das macht einen als Zuschauer noch wütender – überraschend, dass sie bezahlen soll, dafür, dass junge Männer, vielleicht halb so alt wie sie, mit ihr schlafen; man möchte sie schütteln, um die Bausteine in ihrem Kopf an die richtigen Stellen fallen zu lassen.

Seidl schafft in Paradies: Liebe eine sehr natürliche Atmosphäre, man ist sich nicht sicher, ob man sich gerade in einem Spiel- oder einem Dokumentarfilm befindet, ob Teresa wirklich nur gespielt oder doch eine reale Figur ist. Begünstigt wird diese Stimmung durch die Dialoge zwischen den Freundinnen, alle in Dialekt gesprochen, alle authentisch, wenn es um ihren Inhalt geht. Hat nicht jede Mutter schon mal darüber gejammert, dass sie Falten um die Augen kriegt? Machen wir uns nicht alle Sorgen, dass die Schwerkraft früher oder später ihren Tribut fordert? Man kann sich mit den Darstellerinnen bis zu einem gewissen Punkt identifizieren und ist doch verwundert, was nach diesem Punkt noch alles kommt, zu was man vielleicht selber einmal wird, wenn nur die Vorzeichen stimmen oder eben nicht.

So ist Paradies: Liebe: irritierend, verstörend, aber trotz allem ehrlich, ehrlich und authentisch und gerade deswegen empfehlenswert. Manche Szenen ziehen sich zwar über die zwei Stunden Filmdauer, aber so zieht sich wohl auch Teresas Urlaub in Kenia, weshalb dies Seidl verziehen sei.

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