Im Vorfeld des diesjährigen Nikolausfestes – nach dem König(innen)tag der wichtigste Feiertag der Niederlande – erlebt das kleine Land einen lautstarken Kampf gegen den moralischen Zeigefinger der UNO. Ein Kommentar über die Auswüchse der Anti-Diskriminierungsregulierung.
Die Holländer sind in allem, was sie tun, etwas verrückter als der Rest der Welt: Fahrräder gibt es mehr als Einwohner; Sex und Marihuana kaufen sie wahrscheinlich genauso oft wie wir, nur sind sie stolz darauf; und die Weihnachtszeit kann sich in puncto Farben und Musik problemlos mit dem messen, was wir als Fasching bezeichnen. Dabei ist die Bezeichnung “Weihnachtszeit” bereits falsch, denn die Bedeutung der Heiligen Nacht – man erinnere sich: die Geburt Jesu Christi – kommt bei den Oranje unter “ferner liefen” auf der langen Liste der Gründe zum Feiern. Viel wichtiger ist “Sinterklaas” – zu Deutsch: Samichlaus. Am 5. Dezember reist der weissbärtige Sinterklaas mit purpurrotem Gewand traditionsgemäss aus Spanien an und fährt per Schiff (dem “Pakjesboot”) direkt in die niederländischen Provinzen, um dort in einer farbenfrohen Parade Nüsse, Früchte und Süssigkeiten an die Kinder zu verteilen.
Bei dieser wichtigen Arbeit – ein Handshake von Sinterklaas ist mindestens soviel Wert wie ein Gruss Ihrer Majestät oder ein Autogramm von Arjen Robben – wird Sinterklaas von einer Horde Helfer unterstützt. Das für uns übrige, auf Antirassismus und Gleichberechtigung getrimmte Westeuropäer so unübliche Detail: Sie sind schwarz. Die Farbe kommt allerdings nicht wie bei unserem Schmutzli vom Russ des Kamins, die “zwarte Pieten” (schwarze Peter) sind tatsächlich schwarze, kleine, flinke “Arbeitssklaven”, die den 16 Millionen (meist weissen, sehr weissen) Niederländern ihr schönstes Fest und wirtschaftlichen Aufschwung bringen – denn Sinterklaas wird kommerziell bis zum Letzten ausgeschlachtet. Dementsprechend ruft der “zwarte Piet” Kritiker auf den Plan – müsste man meinen! Gerade einmal 7’000 Fans erreichte eine Facebook-Gruppe zur Abschaffung der rassistisch anmutenden Figur innerhalb von zwei Jahren. Die Reaktionen vom Ausland hingegen reichen von Verwunderung über Spott bis Entrüstung. Eine Rassismus-Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen hat sich kürzlich darüber entrüstet, farbige Mitbürger in solch einer Weise zu degradieren und sie als dumme Knechte zu verunglimpfen. Der Brauch gehöre schlichtweg abgeschafft.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=bnfPhjfW3Yk[/youtube]Abgeschafft, liebe Rassismus-Arbeitsgruppe (Kleine Anmerkung: “Anti-Rassismus-Arbeitsgruppe” wäre wohl eher im Sinne der Sache), gehört lediglich diese neu aufkommende Unart, historisch gewachsenen, liberalen Gesellschaften vorzuschreiben, was, wann, mit wem und warum sie feiern dürfen! Der oder die Leserin – unabhängig der Hautfarbe – möge den zynischen Unterton bitte verzeihen, aber Herrgott: Im syrischen Bürgerkrieg sind in den vergangen zwei Jahren über 100’000 Menschen ums Leben gekommen – und die Regulierungswut der UNO erhebt den Zeigefinger gegen ein angeblich rassistisches Volksfest?! Zweifellos erinnert die Konstellation um Sinterklaas an glücklicherweise vergangene Zeiten. So fröhlich die Ankunft von Sinterklaas gefeiert wird, so schal blieb auch mir während meines Austauschs in Maastricht der Nachgeschmack beim Gedanken, dass der Sklavenhandel die Niederlande zu einer der wichtigsten Handelsnationen gemacht hat und erst im späten 19. Jahrhundert abgeschafft wurde.
Nichtsdestotrotz, es ist das Recht einer jeden Nation, ihre Feste auf ihre eigene Art zu feiern. Wer bereits an einem Sinterklaas-Fest war, weiss, dass der “zwarte Piet” keine ausgebeutete Arbeitskraft in der Knechtschafft des alten weissen Mannes ist, sondern eine farbige, gut gelaunte Figur. Ihre Hautfarbe soll kein rassistisches Gedankengut verbreiten und wird von kaum jemandem als solches interpretiert; der schwarze Teil der Bevölkerung hat jahrzehntelang fröhlich mitgefeiert. Der UNO-Arbeitsgruppe ist das offenbar egal. Sie wird nicht davor zurückschrecken, die Objektivierung der Frau am Münchner Oktoberfest oder ihre gänzliche Abwesenheit beim Rütlischwur am 1. August zu kritisieren. Als nächstes wird eine Kommission zum Schluss kommen, dass von allen westlichen Volksfesten eine erhebliche Gefahr der Alkohol- und Fettsucht ausgeht, vor der man den unmündigen Bürger schützen muss. Auch die Gefühle der Kürbisse, die wir dieser Tage mit Halloween wieder verletzen werden, schreien geradezu nach einer Resolution des UN-Sicherheitsrates… Und wer, um Himmels Willen, kämpft für die Rechte des Zürcher Bööggs, der ohne fairen Prozess jedes Jahr aufs Neue auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird?
Ein entschiedener Kampf gegen Diskriminierung und für die Rechte von Minderheiten ist unbedingt nötig. Aber man möge mit diesem Kampf doch bitte die tatsächlichen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt – derer gibt es genug – torpedieren, anstatt mit Aktenbergen und einer falsch verstandenen moralischen Mission ein unschuldiges Volksfest zerstören zu wollen. Die Diskriminierung hat ein Regulierungsmonster geweckt, das keine Grenzen kennt. Dieser Meinung ist im übrigen auch der überwiegende Teil der Niederländerinnen und Niederländer: Gemäss einer Umfrage der Zeitung Volkskrant sind 92 Prozent dafür, Sinterklaas unverändert zu belassen und die “Pieten” nicht – wie es ein Kompromissvorschlag will – in Zukunft grün einzufärben. (Zielführend ist die Forderung deshalb nur für Rechtspopulisten wie Geert Wilders, die damit ihren Kampf gegen offene Gesellschaften befeuern können.) Die Facebook-Gruppe mit dem passenden Namen Pietitie (Piet-ition) fand innerhalb von nur fünf Tagen über 2 Millionen Fans. Ein ganzes Land wehrt sich gegen das Moraldiktat der UNO.