Kaffee mit dem Rektor der Universität St. Gallen

Andere zu kritisieren ist leicht. prisma wollte erfahren wie es wirklich um das digitale Zukunftskonzept der HSG steht und traf sich mit dem Rektor, Prof. Dr. Thomas Bieger, zu einem interessanten Gespräch über MOOCs, classroom experience, e-democracy und James Bond.

Herr Bieger, was bietet die HSG im Bereich e-learning bereits heute an?

Auf der einen Seite unterstützt die Universität Projekte, welche den Bildungsauftrag der HSG gegenüber der Öffentlichkeit erfüllen. Beispiele dafür wären unter anderem die RoCC-Videoreihe oder die, von Ethikprofessor Thomas Beschorner initiierten, „Little Green Bags“, welche wirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Themen auf verständliche Weise erklären und sich mit bereits über 170‘000 Aufrufen grosser Beliebtheit erfreuen. Auf der anderen Seite gehörte die HSG nach der Bologna-Reform zu den ersten Universitäten, welche ihren Studenten zum Selbststudium eine „state-of-the-art“-Lernplattform anbot. Diese Plattform wird je nach Dozent intensiv für interaktive Unterrichts- und Lehrformen genutzt.

Gibt die Universität St. Gallen ihren Dozenten bezüglich des Umgangs mit StudyNet keine Leitlinien vor?

Die Universitätsleitung verzichtet darauf, ihren Dozenten dazu Vorgaben zu machen. Allerdings werden didaktische Innovationen durch das Institut für Wirtschaftspädagogik, unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Euler, gezielt gefördert. Wir bieten unseren Dozenten unter anderem Weiterbildungen im Bereich von „blended learning“ an, um sie in der Integration von interaktiven und innovativen Lernformen in den Unterricht zu schulen.

Was explizit NICHT unser Ziel ist, ist Vorlesungen in Zukunft durch ein flächendeckendes Angebot an Podcasts zu ersetzen. Eine mögliche Einführung von Podcasts stand einmal zur Debatte, weil es nur eine Assessmentvorlesung für alle Studenten gab und diese daher ohnehin in andere Säle übertragen werden musste. Wir haben uns jedoch für eine gegenteilige Strategie entschieden und die Assessmentstufe in drei Kohorten geteilt, welche nun jeweils ihre eigenen Vorlesungen haben. Ich bin vor kurzem selbst in zwei dieser Vorlesungen gesessen und habe zufrieden festgestellt, dass die mentale Präsenz der Studenten seither um einiges höher ist.

Wie sieht die langfristige Strategie der HSG im Bereich e-learning aus? Wird die Universität in Zukunft auch MOOCs anbieten?

Die Zukunftsstrategie der HSG basiert auf zwei Grundprämissen:

Erstens: Die Universität St. Gallen ist eine Campus-Universität und wird dies auch immer bleiben. Abgesehen von den  Grundlagen beispielsweise in Mathematik, kann im Bereich der „Social Sciences“ nur durch den persönlichen Austausch von Ideen  ein wirklicher Mehrwert geschaffen werden. Schliesslich ist auch der Austausch unter den Studierenden, zum Beispiel an der der Kaffeebar, ein integraler Bestandteil des Studiums. Diese Grundsatzstrategie hat die HSG bereits vor drei Jahren in Übereinstimmung mit allen führenden Wirtschaftsuniversitäten innerhalb des CEMS festgelegt. Ich bin der festen Überzeugung, dass „classroom teaching“ für den langfristigen Erfolg einer Universität notwendig ist. Nur so kann auch die angestrebte lebenslange Bindung der Studierenden an die Universität erreicht werden, welche sich später in einem lebendigen Alumninetzwerk, und nicht zuletzt auch in Donationen, widerspiegelt.

Zweitens: In der Netzökonomie gilt „The winner takes it all“ – und e-learning-Programme auf dem Internet, vor allem MOOCs sind Netzprodukte. Wir können schon heute einen oligopolistischen Verdrängungswettbewerb zwischen den verschiedenen Plattformen im Bereich von MOOCs beobachten. Dieser läuft klassischerweise auf ein natürliches Monopol heraus. Als kleine bis mittelgrosse Universität aus einem Land mit einem kleinen Heimmarkt fehlen uns realistischerweise schlichtweg die Mittel, um aus eigenem Antrieb zu unabhängigen Hauptlieferanten in diesem Bereich zu werden.

Nichtsdestotrotz sind MOOCs an der HSG in Planung. Die „School of Management“ hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche den Auftrag hat in den nächsten ein bis zwei Jahren, zwei bis drei MOOCs zu entwickeln. Ähnliche Überlegungen laufen auch in unserer Executive School. Damit verfolgen wir zwei Ziele. Einerseits kann die HSG damit wertvolle Erfahrungen im Umgang mit den neuen Medien sammeln, welche wiederum in das „classroom teaching“ einfliessen können. Andererseits erlaubt es uns einzelne Bereiche, in denen die HSG führend ist, stärker nach aussen zu kommunizieren und damit unsere globalen Profilbereiche zu stärken.

Den eigentlichen Fokus legen wir jedoch auf „blended learning“. Das Lernerlebnis im Unterrichtszimmer soll durch Innovationen der klassischen Lehre verbessert werden. In Kursen soll die Wissensvermittlung nicht mehr wie bisher in vielen Fällen im Präsenzunterricht sondern vermehrt per Selbststudium geschehen, im Präsenzunterricht werden dann zur Vertiefung interaktive Unterrichtselemente wie Fallstudien, Diskursgespräche oder Rollenspiele durchgeführt. Dieser Wechsel des Inhaltes des Präsenzunterrichtes wird auch als “Flipping” bezeichnet. Um dies zu ermöglichen müssen wir auch in Infrastruktur investieren: Unterrichtsräume in “Theaterbestuhlung”, eigentlichen Arenen, erleichtern kontroverse Diskussionen.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für eine solche verbesserte „classroom experience“ geben?

Kontroverse Diskussionen können beispielsweise durch Abstimmungen stimuliert werden. Bei meinen Assessmentvorlesungen werde ich versuchen, die Studierenden  interaktiver in den Unterricht einzubeziehen, in dem ich elektronische Live-Abstimmungen zu Themen durchführe und die Resultate anschliessend diskutiere.

Als normaler Student kriegt man von diesen geplanten Veränderungen noch nicht allzu viel mit. Ich habe bisher noch nichts von Podiumsdiskussionen, Workshops oder Wettbewerben bezüglich der Zukunft der Universität gesehen oder gehört. Werden die Studenten auch auf eine Weise in die strategische Planung der HSG einbezogen?

Die Studenten sind bei uns sehr wohl in die Diskussion einbezogen. Im Gegensatz zu anderen Universitäten haben wir sehr fein gestaltete, institutionalisierte Möglichkeiten durch welche die Studenten automatisch am Entscheidungsprozess teilhaben können. Beispielsweise durch den SHSG-Vorstand oder die Studentenvertreter im Senat.

Apropos Studentenvertreter: Die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts machen es zum ersten Mal in der Geschichte möglich eine „echte“ anstelle einer repräsentativen Demokratie zu haben. Die Volksvertreter in der Legislative könnten theoretisch durch das Volk ersetzt werden. Wäre eine Universität nicht ein geeignetes Biotop, um eine solche e-democracy in Praxis auszutesten?

Im Senat haben wir schon seit einigen Jahren ein elektronisches Abstimmungssystem. Die Initiative für ein System der elektronischen Fernabstimmung in der Studentenschaft müsste aus der Studentenschaft selbst kommen. Ich persönlich sehe in Sachen e-voting zwei Seiten der Medaille. Einerseits lässt es mehr Personen an der demokratischen Willensbildung teilnehmen. Andererseits habe ich aber auch die Befürchtung, dass eine Demokratie per Klick zu mangelnder Reflexion und Auseinandersetzung mit Meinungen und Erkenntnissen vor Entscheiden führen könnte. Am klügsten wäre wohl ein situativer Ansatz. Bei komplexen Fragen halte ich eine Diskussion unter den Beteiligten und damit eine persönliche Stimmabgabe in einem Forum noch immer für das Optimum.

Eine weitere Folge einer stärker vernetzten Welt ist die Entwicklung einer globalen Sprache. Schon heute machen rund ein Drittel aller Studenten das Assessmentjahr auf Englisch. Wird sich Englisch in Zukunft zur Leitsprache der Universität St. Gallen entwickeln?

Die Strategie der HSG ist es eine zweisprachige Universität zu sein.  Die Lingua Franca der akademischen Welt ist Englisch. Es gibt heute kaum noch Kollegen, die ihre Forschung nicht auf Englisch publizieren. Die Universität hat das Angebot an englischen Programmen in den letzten zehn Jahren systematisch erhöht und die Nachfrage danach ist weiterhin sehr hoch. Gerade jene Studierenden, welche auf dem Gymnasium eine Immersionsklasse besucht haben, wollen nicht auf einen rein deutschen Unterricht zurückwechseln. Von daher nimmt der Englischanteil automatisch zu.  Andererseits sind wir eine Universität im deutschsprachigen Raum und gerade ausländische Studierende erhalten nur dann einen Mehrwert an einer deutschsprachigen Universität studiert zu haben, wenn sie auch zu einem Kontakt mit der deutschen Sprache kommen. Deshalb verpflichten wir all jene Studierenden, welche nicht deutschsprachig sind, in jedem Programm mindestens ein Element auf Deutsch zu machen. Die Sprachkenntnis, welche immer auch mit einer gewissen Kulturkenntnis verbunden ist, wird auch in einer globalisierten Welt weiterhin eine grosse Rolle spielen. Davon bin ich fest überzeugt.

MOOCs ermöglichen es Studenten in Zukunft unabhängig von Leistung, Ort oder Geld in den Genuss von Bildung an Top-Universitäten zu kommen. Könnte der gesteigerte Konkurrenzkampf dazu führen, dass die Kommunikationsstrategie der Uni in Zukunft stärker an die Zielgruppe angepasst werden muss? Gerade im Internet gilt das Axiom „Kompetent≠unterhaltsam“ schlicht nicht mehr. Könnte die Bildungsbranche eine ähnliche Entwicklung wie Airlines erwarten? Werden wir Sie im nächsten HSG Willkommensvideo eventuell als James Bond sehen?

(schmunzelt) Obwohl man natürlich nie genug machen kann, habe ich ein gutes Gefühl bezüglich des derzeitigen Marketings der HSG. Wir setzen regelmässig Benchmarks, was unser e-Marketing anbelangt und wir evaluieren auch die Entwicklung der Anzahl Studieninteressierter stetig. Bei meinem kürzlichen USA-Besuch habe ich allerdings schon festgestellt, dass dort aggressiv um Studenten geworben wird. Nicht zuletzt, weil die Zahl der High School-Absolventen aus demografischen Gründen abnimmt. Amerikanische Universitäten zahlen bis zu 1000 Dollar alleine dafür, dass Studenten ihren Campus besichtigen. Solche Instrumente halte ich im öffentlichen Kontext jedoch für grenzwertig. Als eine führende europäische Universität sind wir nicht auf solche Instrumente angewiesen.


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