Auf dem Schreibtisch von Ansuhman Jain, Co-Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Bank, steht ein Foto von einem Mann, der kaum bekannt ist: Edson Mitchell. Dieser Investmentbanker starb im Jahr 2000 so schnell und spektakulär, wie er lebte. „Tod eines Investmentbankers“ erzählt vom Leben und Tod jenes Bankers, der die Deutsche Bank von einem risikoscheuen Bankhaus zu einem aggressiven Player im Investmentbanking machte – und die Kultur der Deutschen Bank bis heute prägt.
Am Beispiel von Mitchell zeigt der Autor des Buches auf kreative Weise, wie Beziehungen im Investmentbanking funktionieren – nämlich wie Söldner-Beziehungen. Ein Häuptling – in diesem Fall Mitchell – versammelt eine Gruppe von Indianern um sich und die ganze Kampftruppe verkauft ihre Arbeitskraft nur auf Zeit an eine Investmentbank. Loyal ist man auf Dauer nur gegenüber dem Häuptling – niemals gegenüber der Bank. So zumindest die These des Autors, der eigentlich Theologe ist, aber auch mehrere Jahre für die Boston Consulting Group Banken beraten und für dieses Buch mit zahlreichen Weggefährten von Mitchell Interviews geführt hat, unter anderem auch mit Joe Ackermann.
Ganz in der Logik der Häuptling-Indianer-Beziehung nahm Mitchell sein ganzes Team von Meryll Lynch mit, als er 1995 zu „The Deutsche“ wechselte – unter anderem Jain. In den folgenden Jahren erarbeitete Mitchells Abteilung den Grossteil des Gewinns der Deutschen Bank und Mitchell wurde in den Vorstand berufen. Das führte zu Kultur-Konflikten im traditionsreichen Bankhaus: Plötzlich wurde Englisch die Vorstands-Sprache und rauschende Feste in Londoner Nobel-Hotels mit anschliessendem Herrenprogramm – das Investment-Banking ist stark von Testosteron gesteuert – wurden Teil der Fringe Benefits.
Auf dem Rückweg von einem dieser rauschenden Feste stürzte der Privatjet von Mitchell ab – aber wie der Autor des Buches zeigt lebt sein Erbe bis heute weiter. Das Buch bietet somit auch einen unterhaltsamen Beitrag zum Verständnis des aktuellen Geschehens in der deutschen Banken-Szene.
Tod eines Investmentbankers – eine Sittengeschichte der Finanzbranche
Nils Ore Oermann
Herder-Verlag, Freiburg