Offener Brief an Petrus

St.Gallen, 30.11.2014

Lieber Petrus,

Wir schreiben Tag 7 unter der Nebelkuppel, die Stadt wirkt zunehmend entvölkert. Die Leute versuchen sich so effizient wie nur möglich durch die Urwaldpfade im Nebeldickicht in ihre klarsichtigen Refugien zu kämpfen. Wie viele sich allerdings tatsächlich in den Tiefen des Nebelmeeres aufhalten, ist schwer einzuschätzen. Die besten Freunde wirken aus 10 Metern Distanz wie Dementoren und allzu nahe an Lichtquellen zu gehen ist gefährlich, es könnte ja einer dieser vielen Anglerfische sein, die sich auf Bahnen durch die Stadt bewegen und einem überfahren, wenn man auf das Licht zugeht. Auch der Tag-Nacht-Rhythmus kommt etwas durcheinander, wenn es zu jeder Tageszeit gleich aussieht. Kurz, die Lage ist prekär.

Ich bin sicher, dass du dir bei dieser Nebelorgie durchaus etwas überlegt hast. Mit diesem Wetter hast du ja quasi ganz St. Gallen in den Farben des grauingrauen HSG-Campus geschmückt und der Dauernebel ist eine gute optische Simulation des Peking-Smog. Unsereins will ja vielleicht einmal bei der neuen Weltmacht anheuern und umgekehrt erleben Austauschstudenten aus der chinesischen Hauptstadt auf diese Art keinen Kulturschock.

Böse Zungen innerhalb des prismas behaupten wiederum, du würdest damit Native Advertising für den aktuellen Kinofilm „Interstellar“ machen, aber ich weiss, dass du dich nicht auf solche Deals einlassen würdest. Da würde ich dir schon eher eine himmlische Sensibilisierungskampagne für den Grauen Star zutrauen. Vielleicht soll das ganze auch einfach ein „Anstoss“ zur menschlichen Fortpflanzung sein. Unsere Fertilitätsrate liegt mit nicht nachhaltigen 1.5 Kindern pro Frau ja deutlich unter aller Sau (ca. 12 pro Wurf!) und viele Frauen begegnen dem chronischen Vitamin-D-Mangel ohne Sonne gerne mit einem anderen D. Dies mag ein schlechter Witz gewesen sein, aber schlechtes Wetter verbessert die schlechte Geburtenrate tatsächlich. Es ist auch durchaus verständlich, bei diesem Nebel möchte man sich ja am liebsten überhaupt nicht aus dem Bett bewegen.

Ich schätze also deine guten Intentionen, doch nach so vielen Tagen hatten wir doch langsam genug Zeit für Peking-Feeling, Kinobesuche und das Schwängern der Freundinnnen. Auch die postapokalyptische Romantik beim Joggen an den drei Weihern, wo man sich wahlweise in Twilight oder einem Teenie-Horror-Movie wähnen kann, hatte etwas für sich. Dennoch wäre es schön wieder einmal zu sehen auf wem oder was man gerade läuft. Wie wärs also wieder einmal mit etwas Sonne?

Liebe Grüsse

Kevin

P.S. Ich habe einmal angenommen, du wärst für den Nebel verantwortlich, falls es allerdings doch Elon Musk war, der im Matrix-Style der A.G.I. die Energie wegnehmen will noch bevor die Evolution ihre eigenen Kinder frisst, kannst du diesen Brief als gegenstandslos betrachten.


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