Die Zeit, zumindest die vorlesungsfreie, vergeht wie im Fluge und das Jahr 2014 neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu. Klassischerweise wird dies genutzt, um das vergangene Jahr noch einmal Revue zu passieren ( YouTube Rewind, Google Search, SRF, Blick, Überraschung ). 2014, das Jahr als der Gripen trotz der Unterstützung der prisma Leserschaft abstürzte (1,2) und Sepp Blatter die Fussball-WM skandalöserweise während der Prüfungsphase ansetzte (1,2). Ein Jahr voller (Nicht-)Debatten über das studentische Nachtleben (1,2), die „Skandalfliege“ Erika (1,2) oder genderneutrale Bezeichnungen. Doch widmen ihr uns doch für einmal nicht dem Inhalt sondern dem Jahr selbst. Was bedeutet es wenn wir heute Abend auf das Jahr 2015 anstossen?
Warum 2015?
Der überwiegenden Mehrheit der Menschen ist klar, dass wir nicht das Alter der Erde oder gar des Universums zählen, auch wenn dies im Judentum und Frühchristentum tatsächlich der Fall ist/war. Gemäss dem hebräischen Kalender befinden wir uns momentan im Anno Mundi 5775.
Der heute weltweit angewandte gregorianische Kalender, zählt natürlich die Jahre vor und nach Christi. Doch damit kommt es bereits zur ersten Unstimmigkeit, denn den Geburtstag von Jesus haben wir ja bereits vor rund einer Woche gefeiert (mit Geschenken für alle ausser für das Geburtstagskind, nicht einmal ein aramäisches „Happy Birthday“ wurde gesungen, #worstbirthdayever). Da es im christlichen Kalender kein Jahr 0 gibt, wäre Jesus nach religiöser Lehre also bereits am 24./25. Dezember des Jahre 1 vor Christus geboren. Es bleibt jedoch beim Konjunktiv. Spätestens seit Sheldon sollte es zum Allgemeinwissen gehören, dass sein Geburtsdatum vermutlich vor allem eine christlicher Marketingstrategie war, um Marktanteile von heidnischen Konkurrenten zu gewinnen. Auch das angebliche Geburtsjahr Jesu wird von Historikern stark bezweifelt und in der Regel zwischen 6 und 4 v. Chr. angesetzt. Ob die Kirche den Messias allerdings auch mit Absicht verjüngt hat, darf in Frage gestellt werden.
Warum der 1. Januar?
Eine noch grössere Knacknuss als die Anzahl Jahre stellt das Datum dar. Ein Jahr ist grundsätzlich eine Revolution, eine Umdrehung der Erde um die Sonne (die Wahrheit ist noch etwas komplizierter). Natürlich hat diese Bewegung nicht wirklich einen eindeutigen Anfang, doch es gäbe zumindest logische Ansatzpunkte wie z.B. Sonnenwenden resp. der Beginn der Jahreszeiten. Der 1. Januar ist aus astronomischer Sicht unbedeutend. Die Gründe warum er zum Jahresbeginn auserkoren wurde liegen anderweitig. Früher würde Neujahr an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten gefeiert, im alten Rom, wo viele der Wurzeln des heutigen gregorianischen Kalender liegen, begann das Jahr bis 153 v. Chr. mit dem Amtsantritt der Konsuln am 1. März. Dann wurde dieser auf den 1. Januar vorverlegt, weil Rom einen Feldzug in Spanien führen wollte und aufgrund der weiten physischen Distanz Angst hatte bei normalem Amtsantritt einen Teil der für Krieg geeigneten Jahreszeit zu verpassen (in dem Feldzug wurden die Römer übrigens später vernichtend geschlagen). Der Jahresanfang blieb und die Umstellung vom März auf den Januar erklärt auch so einiges in unserem heutigen Kalender, wie etwa, weshalb der Schalttag, als Überbleibsel des Schaltmonates „Mensis intercalaris“, Ende Februar und nicht Ende Dezember angehängt wird oder wieso die letzten vier Monate im Jahr so heissen wie sie heissen: September, Oktober, November, und Dezember. Selbst mit rudimentären etymologischen Kenntnissen sollte einem auffallen, dass die Römer hier gezählt haben. Doch diese Monatsnamen sind nicht nur langweilige Platzhalter, wie man sie etwa bei noch nicht entdeckten oder einheitlich benannten Elementen kennt, sie sind auch eindeutige „Misnomer“. Der „Siebte“ ist in Wahrheit der Neunte, der „Achte“ der Zehnte und so weiter. Die Namen wurden wohl aus praktischen Gründen nicht angepasst. Undezimber und Duodezimber sind zwar hässliche Namen, doch das wahre Problem hätten natürlich der neue November (alter September) und der neue Dezember (alter Oktober) aufgrund ihrer Verwechslungsgefahr mit den alten existierenden Monaten dargestellt. Nichtsdestotrotz, es gäbe zweifellos genügend Götter, Personen oder Ausdrücke, um diesen Monaten einen besseren Namen zu geben.
Reformgelüste
Zusammengefasst feiern wir also verspätet den falschen Geburtstag einer religiösen Figur, weil vor noch mehr Jahren Italiener Bock darauf hatten bei gutem Wetter Krieg gegen Spanier zu führen. Selbst aus westlicher resp. christlicher Perspektive erscheint dies, wie so vieles in Bezug auf Zeiteinteilungen, nicht unbedingt „pareto-optimal“. Doch was wären die nicht-religiösen Alternativen? Einerseits könnte man zur vorchristlichen römischen Zählweise „ab urbe condita“ (seit Gründung Roms) zurückkehren. Eine solch eurozentrische Zählweise hätte in einer zunehmends multipolaren Welt realistischerweise zwar wenig Chancen, doch sie hätte zumindest den psychologischen Vorteil, dass die Jahreszahl sprunghaft wachsen würde. Bigger is better oder wie man an der HSG sagt Bieger is better. Nach einem Nimbus 2000 kann sich doch niemand für einen Nimbus 200 begeistern. Wenn wir einen Nachfolger für 2015 n. Chr. suchen, scheint 2768 auch einfach sexier als etwa Anno Fordi 107. Nichtsdestotrotz würde eine Kalenderreform wohl mit einem Schrumpfen der Jahreszahlen einhergehen, einfach weil alle eindeutig bestimmbaren Nullpunktereignisse in der näheren Vergangenheit liegen. Den vermutlich ernsthaftesten Versuch einer auf Verstand basierenden Kalenderreform unternahmen die französischen Revolutionäre. Nach ihrem Kalender befinden wir uns nicht nur im Jahr 223 der Republik, sondern haben auch Wochen aus 10 Tagen à 10 Stunden à 100 Minuten à 100 Sekunden. Dass diese Reform nur für sehr kurze Zeit anhielt hat nebst religiösen vor allem praktische Gründe. Einerseits führte die Zehntageswoche zu weniger freien Tagen für Arbeiter und andererseits konnten es sich die wenigsten leisten eine neue Uhr mit dem neuen System zu kaufen. Analog dazu werden die Macht der Gewohnheit und Umstellungskosten wohl auch in Zukunft verhindern, dass wir uns aus dem heutigen „Nash Equilibrium“ bewegen und Neujahr zu einem logischeren Zeitpunkt mit einer logischeren Jahreszahl feiern.
Doch im Endeffekt geht es ja auch nicht um Logik. Neujahr ist schlichtweg eine gigantische (Selbst-)Feier der Menschheit, von Neuseeland bis Alaska. Und wenn wir schon nichts Logisches feiern, so beginnt zumindest endlich wieder ein Monat mit einem anständigen Namen. Ein frohes neues Jahr!