«We Are Not Preaching to the Choir»

Im Gespräch mit Scott Loren erfahren wir dieses Mal, wie man vom Buchhalter und Piloten zum Kulturwissenschaftler wird. Ein abwechslungsreicher und spannender Prof im Fokus.

Es ist Winter. Das merkt man nicht bloss an den gefallenen Temperaturen oder am liegenbleibenden Schnee, sondern auch an der steigenden Zahl der Absenzen an der Uni. Ein kuscheliges Bett und heis-ser Tee werden wieder zur Wunderwaffe gegen Erkältungen. Auch Scott Loren, Dozent für Kulturwissenschaften, blieb nicht verschont und musste unser Interview kurzfristig verschieben. Die Anfälligkeit auf das kühle Wetter ist nicht weiter verwunderlich, schliesslich lebte er lange Zeit in Kalifornien und durfte den immerwährenden Sonnenschein des Golden States geniessen – zumindest wenn man den amerikanischen Fernsehsendungen Glauben schenken darf. Dafür stellt er sich nun, mit neu gewonnener Stärke, unseren Fragen.

«Ich habe irgendwie eine Verbindung mit Zürich»

Vor zwölf Jahren zog es Scott Loren dann aber in die Schweiz, wo er seine Frau kennen lernte und vor sechs Jahren heiratete. Seitdem lebt das Paar zusammen mit ihrem Kind in Zürich, der ersten Stadt, die Loren in der Schweiz besuchte. Besonders angetan hat es ihm der gute «Landschaften-Mix», den die Limmatstadt bietet. Man sei sehr schnell im Grünen und am Wasser und gleichzeitig an zentraler Lage, lobt der Filmwissenschaftler. Aber auch die familiäre Bindung an die Stadt ist stark. So kommt seine Schwiegermutter aus einer kinderreichen Zürcher Familie und hat neun Geschwister. Das erklärt auch die Verwunderung von Scott Loren, als er seine heutige Frau kennen lernte und mit ihr durch Zürich ging: An etwa sechs oder sieben Orten habe sie gesagt, hier wohne eine Tante oder ein Onkel von ihr. «Irgendwann habe ich mich gefragt, was das soll, bis ich erfuhr, dass ihre Mutter eins von zehn Geschwistern ist.»

Zu seinen Leidenschaften zählt Loren vor allem die Musik und den Film. Er selbst spielt Schlagzeug und bildet zusammen mit drei Kollegen eine Band, obwohl ihm dazu manchmal die Zeit fehlt. Das sind jedoch noch die weniger gefährlichen Hobbys des Dozenten: Ein Artefakt aus seinen Zeiten in den USA ist das Motorradfahren, dem er auch in der Schweiz noch lange nachging. Mit einem Lachen meint er jedoch: «Seit zwei Jahren steht die Maschine in der Garage meines Schwiegervaters, nachdem sich meine Frau über die Gefährlichkeit beklagt hat.» Als Familienvater beginne man sich zu überlegen, welche Risiken man noch eingehen wolle oder könne, erklärt der smarte Amerikaner. Trotzdem erkenne ich ein leichtes Funkeln in den Augen, als er mir verrät, dass es eine «wunderschöne Motoguzzi V11» sei, die in der Garage steht.

Psychologie, Soziologie, Literatur

Als Nächstes will ich wissen, wie Scott Loren zu seinem Beruf gekommen ist. Er erklärt mir, dass man in den Vereinigten Staaten ziemlich lange eine Ausbildung absolvieren kann, ohne sich genau festzulegen, in welche Richtung der Beruf schliesslich gehen soll. So verwundert es auch nicht, dass sein Lebenslauf ziemlich alles aufweist, was man sich vorstellen kann: Neben Psychologie, Soziologie und Literaturwissenschaften hat er alles ausprobiert. Während seines Grundlagenstudiums zog es ihn insbesondere durch den engagierten Austausch mit seinen Dozenten zu den Literaturwissenschaften hin, welche auch seinen weiteren Weg massgeblich beeinflussten. So doktorierte er in Zürich in diesem Fach, bevor er seine Lehrtätigkeit an der Universität St. Gallen aufnahm. Zunächst unterrichtete Loren an der HSG Englisch, bevor er sich dann den Fächern der Reflexionskompetenz zuwendete. Vergangenes Jahr referierte er in einem Kurs zum Thema Posthumanismus und widmete sich nun weiterhin länger den Kulturwissenschaften. «Seit diesem Jahr leite ich zudem mit einem Kollegen ein Projekt zum Thema Film- und Bildwissenschaft. Dabei spielen auch Soziologie und Philosophie eine grosse Rolle», erklärt der Dozent seinen Auftrag. Nebst seinem Engagement an der Universität lehrt Loren auch an der Pädagogischen Hochschule in St. Gallen.

Kultur- und Wirtschaftswissenschaften passen gut zusammen, meint der New Yorker. «Es geht bei beiden im Grunde darum, wie Menschen in Gruppen und in der Masse miteinander agieren.» Mit einem Schmunzeln fügt er zwar an, dass man an der HSG ziemlich häufig Stimmen hört, die sich über den Nutzen der Kulturwissenschaftlichen Abteilung streiten. Letzten Endes ist er aber der Überzeugung, dass es dieses Angebot braucht: «Es gehört zu einem Studium an der Universität, dass man lernen kann, auf verschiedene Arten zu reflektieren, zu überlegen und sich mit Fragen des Zusammenlebens auseinanderzusetzen.»

Auch Dozenten nicken ein

Auf die Frage, was der amüsanteste Moment in seiner Karriere war, erklärt Loren mit etwas schelmischem Grinsen, dass dies wohl auch der peinlichste gewesen sei. Es geschah während dem Verfassen seiner Dissertation. Er arbeitete bis spät in die Nacht an seiner Doktorarbeit, gleichzeitig unterrichtete er Englisch an einer privaten Sprachschule. Irgendwann wurde das Schlafmanko wohl zu gross: «Jemand hat im Unterricht gerade gesprochen und da bin ich eingeschlafen», erinnert er sich, «ich glaube nicht, dass ich lange weg war, aber als ich die Augen wieder öffnete, haben alle gelacht.»

Damit ihm so etwas während seiner Vorlesungen an der HSG nicht wieder passiert, entspannt er sich am Abend und am Wochenende vor allem mit seiner Familie. Eigentlich habe er zu wenig Zeit, um sich nach der Arbeit zu erholen, meint er mit einem Lachen. «Ich schaue aber immer, dass ich zum ‹Znacht› zuhause bin.» Normalerweise geht Familie Loren dann zusammen wandern oder richtet das Programm nach dem jüngsten Familienmitglied. Obwohl erst zweieinhalb Jahre alt, geht dieses gerne ins Museum oder in den Zoo.

Zum Abschluss wollte ich noch wissen, wo der Kulturwissenschaftler seine grösste Stärke und Schwäche sieht. «Ich kann sehr gut assoziativ denken», führt Loren seine charakterlichen Vorteile aus und lacht. Bei der Analyse von Literatur und Filmen komme ihm diese Gabe sehr entgegen. So kann er mehrere verschiedene Ideen sehr gut zusammenbringen. Was seine Macke angeht, hat er sich wohl ziemlich gut an das Klischee der schweizerischen Pünktlichkeit angepasst. «Ich habe immer das Gefühl, gegen die Zeit kämpfen zu müssen. Es gibt diesen ewigen Kampf gegen den Berg an Pendenzen», erklärt Loren. Aber wenn wir mal ehrlich sind – egal ob Winter oder Sommer, krank oder quietschfidel – genauso geht es mir auch jeden Tag.

Zur Person
Geboren am 2. Januar 1971 in New York
Lieblingslektüre: The Crying of Lot 49 oder Die Brüder Karamasow
Lieblingsfilm: 2001: A Space Odyssee, Mulholland Drive oder Hable con Ella
Lieblingsessen: Chinesisch oder Mexikanisch, mangels Angebot auch Italienisch-Schweizerisch
Lieblingsorte: Zürich, Paris und San Francisco

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