Ein Plädoyer von Lukas Tanner gegen Karriereplanung, Konsequenz und Kontinuität.
Muss ich B machen, weil ich vorhin A sagte? Für Menschen mit Rückgrat wohl keine Frage. Man soll schliesslich die Konsequenzen für das eigene Handeln übernehmen. Selbst in der Erkenntnis, dass B vielleicht falsch ist? Was ist, wenn ich in der Zwischenzeit erkenne, dass C vielleicht besser wäre, ja mich und meine Umgebung glücklicher macht? Für Menschen mit Herz wohl keine Frage.
Rückgrat versus Herz
Tja, Rückgrat versus Herz… Da sollte vielleicht das Hirn das Kommando übernehmen oder vielleicht doch besser der Bauch?
Die menschliche Entwicklung lässt uns – meiner Meinung nach – nur diese zwei Möglichkeiten offen: Rückgrat oder Herz. Wir können entscheiden, ob wir Stehvermögen, äusseren Erfolg, Geld und Macht wollen oder ob wir uns für die Schwäche, das Herz und die Liebe entscheiden. Mit Liebe meine ich das Erkennen der eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Dieses Erkennen befähigt mich, dauerhafte Freundschaften einzugehen.
Die Macht glänzt verführerisch
Unsere Gesellschaft (lies: Wirtschaft, Eltern, Lehrer, Freunde, wir selbst) macht es uns nicht leicht, uns für die Liebe zu entscheiden. Das Sichtbare, Äusserliche ist ubiquitär, die Macht glänzt verführerisch und ohne Geld läuft eh’ nix.
An der HSG lernen wir die Mechanismen des Geldes, der Macht und des Erfolges kennen. Verständlich, dass wir sie ausprobieren wollen. Eine konsequente Karriereplanung geschmiert mit einigen Tropfen Konformität hat schon vielen geholfen, den viel versprechenden Managerjob zu finden. Und gut bezahlt ist er ja obendrein.
Seele verkümmert, Bauch verstummt
Da ist ja auch nichts dagegen einzuwenden. Die Gefahr ist nur, wenn vor lauter «managen» die Seele verkümmert und der Bauch verstummt und das Herz stressbedingt müde wird. Schlimm ist’s nur, wenn wir uns in der Rolle des Zauberlehrlings wiederfinden und wir in unserem Machtrausch ersaufen.
Wenn wir uns ständig beweisen müssen, wie gut und klug, wie stark und überlegen, wie toll und reich wir sind, dann haben wir wohl eine gewisse (finanzielle) Unabhängigkeit erreicht. Aber diese vermeintliche Autonomie versperrt uns den Zugang zu unseren Gefühlen, zu unserer Freude, zu unserem Traurigsein, ja zu unserem Lebendigsein.
Konforme Managerlemminge
Diese «Autonomie» macht uns zu Lemmingen, die einem Führer hinterher vorauseilend ins Verderben hasten. Auch Manager können zu Lemmingen werden, wenn sie ihre innere Stimme oder ihr Bauchgefühl nicht beachten. Wenn Management-Modelle die alleinigen Stützen sind und klangvolle Firmennamen Halt geben, dann versinken die konformen Managerlemminge in den Schuldenmeeren à la Enron oder Swissair.
Handle nie gegen dein Herz
Ein probates Gegenmittel wäre, das eigene Denken und Fühlen nicht durch fremdes Denken und Wollen ersetzen zu lassen. Dies bedingt aber, das eigene Denken und Fühlen zu erkennen. Auch die Alten Griechen kannten diese schwierige Aufgabe. Auf dem Apollotempel zu Delphi steht: «Erkenne dich selbst» und «Nichts im Übermass».
Also doch ein Plädoyer gegen Karriereplanung, Konsequenz und Kontinuität? Aber nein! Karriereplanung, Konsequenz und Kontinuität können positive Werte sein, aber nur unter dem Vorzeichen: «Handle nie gegen dein Herz!». Aber das konsequent.
In eigener Sache: Ich habe vor 20 Jahren mein Studium abgebrochen, weil ich lieber Reiseleiter war als Student. Die Entscheidung dazu ist mir aus Pflichtbewusstsein nicht leicht gefallen, bis mir ein väterlicher Freund den Rat gab: «Mached Sie nie öppis gäge Ihres Härz!» – Ich bin jetzt im 7. Semester an der HSG. Mit vollem Herzen.