In den Nachrichten hören wir öfters von Nussschalen. Die meisten von uns wissen zumindest, dass es sie gibt. Hört man von den Schätzungen, dann will man sie erst nicht wahrhaben, so enorm gross ist die Zahl der zu uns strömenden Menschenmassen, oder man hat sich schon daran gewöhnt.
Die südlichste Insel Italiens ist durch die Medien sehr bekannt geworden. Zwar hat sie keine Sehenswürdigkeiten, aber dafür sehr schöne Strände und es ist immer warm auf dieser Mittelmeerinsel, auch wenn man im Rest von Italien schon frieren muss. Allerdings assoziiert man mit der Insel nicht die Schönheit der Strände. Nein, die Insel Lampedusa hat durch die Boatpeople aus Afrika eine starke Präsenz in den Medien erfahren.
Angekommen
Letztes Jahr kamen in Lampedusa auf einen Einwohner mehr als fünf Flüchtlinge. Im Flüchtlingslager müssen aufgrund der enormen Überfüllung schon fast barbarische Zustände herrschen, wenn man den Medienberichten glaubt. So scheint es dort regelmässig Aufstände zu geben. In absoluten Zahlen reden wir von 32’000 unerwünschten Neuankömmlingen, allein im Jahre 2008, allein auf Lampedusa. Und es werden immer mehr.
Dabei ist Lampedusa nur eines der Zentren dieser Völkerwanderung: Regelmässig liest man in den Nachrichten von Flüchtlingen, die vor Sizilien, Gibraltar und den Kanarischen Inseln aus dem Wasser gefischt werden. Die spanischen Exklaven auf dem afrikanischen Kontinent schaffen es hingegen nicht mehr oft in die Schlagzeilen, da ihre bewachten Zäune mittlerweile sechs Meter hoch sind und so fast niemanden mehr ungewollt durchlassen.
Wenn sie es dennoch auf Schengener Boden schaffen, werden die Flüchtlinge in Lager fernab der Öffentlichkeit gesperrt, wo ihnen die Abschiebung droht. Wenn es ihnen gelingt, an der Polizei vorbei weiter ins Land zu gelangen, dann leben sie in ständiger Furcht vor den Behörden und ohne Rechte. Aber nur die wenigsten schaffen es überhaupt nach Europa. Experten schätzen, dass auf einen Ankömmling drei Menschen kommen, die ihr Ziel gar nicht erreichen.
Frontex
Die Schengenländer koordinieren ihre Grenzsicherung durch die Organisation Frontex. Verschiedene Operationen mit heroischen Namen sichern die Grenzen Europas. «Hera» schützt beispielsweise die Kanarischen Inseln und «Nautilus» hauptsächlich Italien. In der Meerenge von Gibraltar hilft ein hochmodernes Radar, gezielt Boote abzufangen. So weit vertritt Europa seine legitimen Interessen der Einhaltung der Regeln des Schengenraums.
Interessant wird die Grenzsicherung Europas erst, wenn man sich die weitere Strategie von Frontex genauer anschaut: Man arbeitet mit den Flüchtlings-Transitländern zusammen. Der Grossteil der Flüchtlinge kommt aus weiter entfernt liegenden Regionen Afrikas, wie dem Sudan oder Somalia. Das bedeutet, dass schon Flüchtlingslager in der Wüste, fernab von der Küste, eingerichtet werden. Dafür gibt man Ländern wie Libyen Geld, in Form von direkten Finanzspritzen oder Wirtschaftsabkommen.
Länder wie Libyen unterstützen dann die Abwehr illegaler Flüchtlinge, indem sie bereitwillig Flüchtlinge schon in der Wüste abfangen oder von der Küste dorthin verbringen. Dass es dabei öfters nicht mit rechten Dingen zugeht, kann man sich bei diesen autokratischen Regimes sicherlich denken. So schaffen es die Flüchtlinge meist gar nicht erst bis zum Grenzzaun einer spanischen Exklave, wo ein Reporter eventuell darauf aufmerksam werden könnte, wie vor ein paar Jahren, als Melilla vor den laufenden Kameras von Flüchtlingen belagert wurde. Ständig müssen die Flüchtlinge fürchten, von afrikanischen Polizisten aufgegriffen und dann in der Wüste wieder ausgesetzt zu werden; manchmal auch ohne Wasser.
Um dieser Kooperation der Schengenstaaten und nordafrikanischen Regimes zu entgehen, setzen sich viele Flüchtlinge schon im Senegal in das Boot, das sie zu den 1’300 Kilometer entfernten Kanaren bringen soll.
Was man nicht weiss, macht einen nicht heiss
In den Schengenstaaten wird keine prominente Diskussion über den Umgang mit dieser Völkerwanderung geführt. Stattdessen arbeiten diese gemeinsam mit zweifelhaften Regierungen daran, nicht weiter mit den Folgen des grossen Ungleichgewichts von Afrika und Europa direkt konfrontiert zu werden. Unsere Staaten bauen Mauern, die Unangenehmes einfach ausblenden sollen. Ob dies ein Schritt ist, der von uns Bürgern so gewollt und langfristig sinnvoll ist, sollte diskutiert werden. Momentan verlagert die Politik das Problem in die Wüste, wo es verdursten soll, oder auf das offene Meer, wo das Meer ungesehen Menschen das Leben kostet; vom Leid nicht gesprochen.
Quelle ProAsyl14 Menschen starben im Herbst 2005 an den Stacheldrahtzäunen von Ceuta und Melilla. Viele weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Mittlerweile wurden die rasiermesserscharfen Klingen aufgrund von Protesten durch Hilfsorganisationen abmontiert.1’200 Schutzsuchende wurden im Herbst 2005 von der marokkanischen Polizei aneinandergekettet und ohne Verpflegung mitten in der Sahara ausgesetzt.
3 Flüchtlinge wurden im Juli 2006 am Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla erschossen. Laut Zeugenaussagen wurden die Schüsse von marokkanischen Grenzbeamten abgegeben.
3’500 Menschen wurden zwischen August und Dezember 2006 von den europäischen Frontex-Einsatzkräften in internationalen Gewässern aufgebracht und nach Senegal oder Mauretanien zurückgeschickt. Frontex-Chef Ikka Laitinen rechtfertigte die Aktionen wie folgt: «Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten.»
400 Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten aus dem südlichen Afrika wurden zwischen Weihnachten und Jahresende 2006 in Marokko festgenommen und an der algerischen Grenze ausgesetzt. Dabei kam es zu schweren Misshandlungen durch die marokkanischen und algerischen Sicherheitskräfte.
6’000 Personen kamen laut Schätzungen spanischer Behörden im Jahr 2006 allein auf der Flüchtlingsroute zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln im Atlantik ums Leben.