Endlich zurück – Gedanken zur Kunst im «neuen» A-Gebäude

Nach den abgeschlossenen Renovationsarbeiten erstrahlt das A-Gebäude in neuem Glanz. Das monumentale Bauwerk verschmilzt mit den hochkarätigen Kunstwerken zu einem einzigartigen Ort der Symbiose von Wissenschaft, Kunst und Architektur.

Der Hauptbau des Gebäudekomplexes tritt einem als erhabene, den Hügelzug krönende Tempelanlage, an eine Akropolis des Wissens erinnernd, entgegen. Der Architekt, Walter Förderer, nannte diesen Eindruck «klassizistische Monumentalität», als er das Gebäude konzipierte. Die konsequente Verwendung roher Materialien, die Betonung der Schwere, deren Expressivität und die nach aussen hin sichtbare Funktion lassen jedes Gebäude – als skulpturale Trennung zwischen dem funktionalen Nutzen der einzelnen Bauwerke – zu einem der bedeutendsten Beispiele des Brutalismus werden. Diese Anschauung lässt sich gleichermassen auf die Gesamtkomposition aus Kuben, verteilt über das Areal, übertragen. Die freistehende Betontreppe war die weltweit erste ihrer Art. Deren Treppenstufen werden mit jedem Schritt nach oben etwas kleiner, eine spielerische Analogie zwischen Architektur und dem Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts. Im obersten Stockwerk, der «Tête», befindet sich ein fensterloser Kubus – die ehemalige Bibliothek, in welcher auch jetzt wieder studiert wird –, der durch seine puristische Strenge zur Förderung der geistigen Konzentration beiträgt.

Einzigartige Atmosphäre

Nicht trocken museal präsentiert sich die Kunst, welche über den gesamten Campus verteilt ist, sondern vielmehr sind die Kunstwerke in die Architektur und den studentischen Alltag integriert. Fast alle Werke wurden von den Künstlern speziell für den jeweiligen Aufstellungsort geschaffen und nicht erst nachträglich angebracht. Dies fällt schon auf, wenn man von der Stadt her die letzten Treppenstufen hinauf zum Vorplatz des Hauptgebäudes hochsteigt; man wird von einer Skulpturengruppe empfangen, die von Weitem in spielerischer Leichtigkeit auf der hügeligen Wiese arrangiert ist – als wären die einzelnen Werke mehr zufällig gestreut als platziert worden. Doch das Material, das die Künstlerin Alicia Penalba 1963 dafür auswählte, ist von Nahem betrachtet verwandter mit seiner Umgebung, als man anfänglich zu glauben scheint.Natürlich ist es kein Zufall, dass der einzige Lichtschacht in der «Tête» die «Stehende» von Alberto Giacometti beleuchtet. Licht, Raum und Skulptur interagieren so zusammen, dass diese Konstellation eine Art sakrale Atmosphäre erzeugt. Gleichzeitig wurde die seltene, weil weibliche Figur vom Schweizer Vertreter des Surreal- und Konstruktivismus so modelliert, dass deren Erscheinung wie eine flüchtige Impression wirkt, wie ein erster Eindruck, der Moment unverfälschter Wahrnehmung. Ein Stockwerk darunter befinden sich eine Leseecke und ein Wandteppich von Pierre Soulage. Energisch und austobend wirken die vermeintlichen Pinselstriche, an den abstrakten Expressionismus eines Franz Kline erinnernd, oder meint man vielleicht ein fernöstliches Schriftzeichen zu erkennen? Bei näherer Betrachtung wird aber klar: Nichts wurde zugunsten eines starken Ausdrucks dem Zufall überlassen, alles wurde strengstens im Raster jedes Knopfes des Teppichs kalkuliert. Die Lebendigkeit ist eine minutiöse Planung, jede Schattierung hat ihren festen Platz.

Mehr als ein Ort des Lernens

Neben dem letzten Werk von George Braque, einem Mobile von Alexander Calder oder dem Schalenbaum von Jean Arp ist besonders ein etwas versteckter, 29 Meter langer Miro hervorzuheben. Dieses Werk besteht aus 435 einzeln gebrannten Platten und gehört zu einer 5er-Werkgruppe. Die anderen Teile sind im Kunsthaus Zürich, an der Harvard University, im Guggenheim Museum in NY und im UNICEF-Hauptsitz in Paris zu betrachten, die Keramikplatten befinden sich also in guter Gesellschaft.Die Universität St. Gallen ist mehr als ein Ort des Lernens. Nach dem Umbau zeigt sich: Die HSG ist auch ein Ort des Lebens. Auf dem gesamten Gelände sind viele bedeutende Kunstwerke beheimatet, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Die bewusste Auseinandersetzung mit ihnen und ihrem zu Grunde liegenden Konzept eröffnet einem neue, auch kritische Perspektiven. Schliesslich kann der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft auch einen wertvollen Beitrag zu einer Bildung, die Werte wie Selbstreflexion, kulturelle Offenheit oder Kreativität hochhält und dadurch auch unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein fördert, leisten. Deshalb würde es jedem Professor, jedem Studenten, einfach jeder Person, die einen Teil ihrer Zeit auf dem Campus verbringt, gut tun, sich, wenn auch nur für einen kurzen Moment der Musse, der Reinheit der ästhetischen Kraft dieses Ortes hinzugeben oder diese zu suchen.


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