Burnout – oder «wenn wir an unsere eigenen Grenzen stossen»

Das Studium an der HSG ist kein Ponyhof. Das ist jedem bewusst, der das Assessment-Jahr hinter sich gebracht hat. Aber was, wenn sich der vermeintliche Ponyhof in ein Wildtiergehege verwandelt, das uns keine Ruhe mehr lässt? prisma berichtet zum Umgang mit Burnout an der Universität St.Gallen.

Meistens fängt es unbemerkt an: Man schläft weniger, arbeitet mehr, widmet sich voll und ganz dem Studium. Arbeiten tagaus, tagein. Das Studium wird zum primären Lebensinhalt, und plötzlich kann man nicht mehr. Nicht weil der Körper nicht will, sondern weil der Geist den Gehorsam versagt. Meistens hilft hier ein Tag Abstand, um die Batterien wieder aufzuladen, um sich dann mit neuem Elan in die Arbeit zu stürzen. Aber was, wenn auch am folgenden und am darauffolgenden Tag das Studium, anstatt zu intellektuellen Höhenflügen anzuspornen, uns, Betonschuhen gleich, zum Grund zieht?

Der Mythos Assessment

Burnout, auch als Erschöpfungsdepression bekannt, ist seit langem keine Seltenheit mehr unter Studierenden. Laut einer im Spiegel publizierten Umfrage leide jeder siebte Student in Deutschland unter depressiven Verstimmungen. Die am häufigsten angegebenen Ursachen sind Zeitstress und Hektik. Auch die Universität St.Gallen kennt diese Problematik: Ausgehend vom Assessment-Jahrgang 2009 konnte man einen Anstieg der psychologischen Beratungen um zehn Prozent im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnen. Dr. Dörte Resch vom Lehrstuhl für Organisationspsychologie (kurz OPSY), die seit 2000 ebenfalls die psychologische Beratungsstelle an der HSG betreut, begründet den prozentualen Anstieg mit der gestiegenen Zahl der Studierenden. Hinzu komme der so genannte «Mythos Assessment», ein überzeichnetes Leistungsprofil, das laut Dörte Resch durch die älteren Semester geprägt werde. Diese würden bei den Erfahrungsberichten aus ihrem eigenen Assessment-Jahr gerne übertreiben, um damit die eigene Leistung glänzender erscheinen zu lassen. Auch dadurch kann sich im Kollektivbewusstsein das Bild des unerbittlichen Leistungsapparates Assessment-Jahr zementieren. In der Realität präsentiert sich aber ein anderes Bild. Natürlich kann niemand abstreiten, dass das Assessment-Jahr anspruchsvoll ist, aber gerade das macht auch die Universität St. Gallen aus: ein klares Bekenntnis zum Leistungsgedanken. Der sei, so Dörte Resch, eines der kultur- und identitätsstiftenden Merkmale der Universität St.Gallen. Sie betont aber auch, dass die Studierenden dabei nicht nur aus einem Blickwinkel gesehen werden dürften. Vielmehr sehe die Universität den ganzen Studierenden, der sich während seines Studiums unterschiedlichen Anforderungen zu stellen hat.

Systematische Erschöpfung

Grundlegend nachdenkliche Töne zum HSG-Studium schlägt der evangelische Universitätspfarrer Markus Anker an. Auch er bestätigt zwar, dass der Nimbus der HSG untrennbar mit dem Leistungsgedanken verbunden sei, kritisiert aber zugleich, dass das Studium etwas mehr Platz zur persönlichen Entfaltung bieten könnte. Zeitlich wäre dies durchaus im Studium umsetzbar, wobei viele Studierende diesen Umstand gar nicht realisierten. Und das liegt nicht nur allein am «Mythos Assessment», sondern auch an der Universität St. Gallen: «Wenn Studierende gleich zu Beginn ihres Studiums mit einer bis in den letzten Winkel geplanten Startwoche konfrontiert werden und wenige Wochen später in LWA der Spoun‘sche Wochenplan vorgestellt wird, was für einen Eindruck bekommen da die Studenten?», fragt sich Markus Anker.

Das Studium an der HSG wird dadurch, zumindest in den Augen der Studierenden, zu einer Zweckveranstaltung degradiert. Die Weiterentwicklung des eigenen intellektuellen Habitus hin zu einer gereiften Persönlichkeit rückt dabei in den Hintergrund. Nicht zuletzt, weil das Studium aufgrund seines durchgeplanten Charakters kaum noch organisatorischen Leerlauf zulässt. Dabei spielt die zunehmende Digitalisierung und Optimierung des Studiums und unseres Lebens eine wichtige Rolle. Auch die Universität St. Gallen schwimmt schon lange mit dem Trend: Das StudyNet ermöglicht einen weltweiten und zeitlich unbeschränkten Zugriff auf die Vorlesungsunterlagen und -inhalte. Dies birgt zwar viele Vorteile, führt aber auch dazu, dass theoretisch zu jeder Tages- und Nachtzeit gearbeitet werden kann. Dadurch fällt es Studierenden zunehmend schwer, Abstand zu nehmen, die nötige Freizeit einzubauen und sich so zu erholen. «Ineffizienz kann im Bildungswesen sehr effizient sein», so Markus Anker. Wobei er sich nicht nur auf die Studierenden bezieht. Denn besonders burnoutgefährdet sind neben den Studierenden auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter sowie Professoren auf den mittleren Arbeitsebenen. Sie müssen sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten immer wieder selber motivieren, denn grundsätzlich kann zwar eine Arbeit abgeschlossen werden, die Forschung zu einem bestimmten Thema dauert jedoch immer weiter an. Das münde, laut Pfarrer Anker, immer öfter in einen permanenten Zustand der Unzufriedenheit, was wiederum als eine der Hauptursachen für Burnout gesehen werden kann.

Viele sehen deshalb den Auslöser der Erschöpfungsdepression im Arbeits- und Studiensystem selber. Das stellt aber nur die eine Seite der Medaille dar. Denn nicht minder wichtig ist auch der individuelle Umgang mit Stress. Oft wird die eigene Situation beispielsweise als prekärer eingeschätzt, als sie sich in der Realität gestaltet, oder Aufgaben werden nicht nach Prioritäten geordnet, sondern wahllos und unter grossem Zeitdruck bearbeitet. Dass man in diesem Fall in allererster Linie bei der Person selber ansetzen muss, bevor man versucht, das Studiensystem zu ändern, liegt auf der Hand.

HSG in der Pflicht

Die Universität nimmt hierbei eine Schlüsselrolle ein. Im Rahmen der Studiengestaltung, aber auch auf individueller Ebene, im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden. Natürlich ist es nicht einfach, aus Universitätssicht die richtige Balance zwischen Leistungsanforderung und individueller Gestaltung zu finden. Aber gerade das könnte eine Chance sein, sich zu positionieren und so nicht nur Manager auszubilden, für die das Thema Nachhaltigkeit bei der eigenen Gesundheit aufhört. Dass das Thema Burnout auch in Zukunft an Brisanz nicht verlieren wird, zeigt eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP): In der im Tagesspiegel veröffentlichten Umfrage rechnen circa 85 Prozent der befragten Manager mit einem Anstieg der stressbedingten Personalausfälle im Zeitraum der nächsten fünf Jahre. Schenkt man der Umfrage Glauben, so entwickeln sich stressbedingte Krankheitsbilder zu einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen Faktor. Firmen wie SAP oder Henkel haben dies erkannt und erste weltweite Programme gestartet, um ihre Angestellten zu sensibilisieren. Auch an der Universität St. Gallen scheint ein Umdenken eingesetzt zu haben: Im letzten Jahr konnte man sich zwar nicht zu einem weltweiten Programm, aber immerhin zu einem eigenen Beratungsraum für die psychologische Beratungsstelle durchringen.

Die psychologische Beratungsstelle an der HSG
Varnbüelstr. 19
Erdgeschoss, Raum 34-006
Termine per Mail unter beratung@unisg.ch

Seelsorge
Pfarrer Markus Anker (evangelisch)
Steinbockstr. 1
9010 St. Gallen
Tel.: +41 (0)71 744 71 77
Mail: markus.anker@unisg.ch


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