Hundertdreiundneunzig Perspektiven und eine Resolution

An der diesjährigen Generalversammlung der UNO war auch ein bisschen HSG-Spirit vertreten: Als Jugenddelegierte hatte ich die Gelegenheit, die Schweizer Delegation nach New York zu begleiten und an den Verhandlungen über die Resolution «Policies and Programmes Involving Youth» teilzunehmen.

Seit zehn Jahren haben pro Jahr drei Schweizer Jugendliche als Youth Representatives die Möglichkeit, Schweizer Delegationen an UNOKonferenzen zu begleiten. Die Youth Reps sind junge Erwachsene, welche die Stimme der jüngeren Generation an UNO-Verhandlungen vertreten und im Gegenzug die Jugendlichen über die Werte und Aktivitäten der UNO und ihrer Organe informieren. Anders gesagt: Die Jugenddelegierten bringen die Jugend zur UNO und die UNO zur Jugend.

Als diesjährige Youth Rep habe ich die Schweizer Delegation an die UNO-Generalversammlung in New York begleitet und zwei Wochen an den Verhandlungen im «Social, Cultural, and Humanitarian Committee» teilgenommen. Alle zwei Jahre verabschiedet dieser Ausschuss eine Resolution «Policies and Programmes Involving Youth». Der Fokus der diesjährigen Resolution lag auf Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Jugendliche. Sie waren denn auch Thema der Rede, welche von mir im Namen der Schweiz verfasst und vor den 193 UNO-Mitgliedstaaten vorgetragen wurde.

Den kleinsten gemeinsamen Nenner finden

Die Schweizer Position hält es in internationalen Verhandlungen über soziale Entwicklung für besonders wichtig, erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.

Nebenbei bemerkt: Dass die Resolution tatsächlich dem von den Verfassern vorgeschlagenen Fokus entspricht, ist noch alles andere als sicher – bei Inputs von Dutzenden von UNO-Mitgliedstaaten besteht durchaus ein gewisses Risiko, dass Resolutionen ein kleines Sammelsurium diverser nationaler oder regionaler Schwerpunktthemen werden.

So oder so, der Schlüssel zum Erfolg bei den Verhandlungen ist Geduld. Einerseits ist die Generalversammlung eine sehr partizipative Plattform für alle UNO-Mitgliedsstaaten, andererseits bringt dies den Nachteil mit sich, dass man kleine Erfolge schätzen lernen muss: Da die Generalversammlung nur Empfehlungen abgeben und im Gegensatz zum Sicherheitsrat keine bindenden Beschlüsse fassen kann, bringt eine Resolution, die nur knapp eine Mehrheit erreicht, herzlich wenig. Es gilt also, diejenigen Inhalte in den Verhandlungen herauszukristallisieren, die wirklich breiten globalen Konsens darstellen. Revolutionäres ist somit selten.

Die Resolutionen der Generalversammlung als wertlos zu bezeichnen, wäre jedoch verfehlt. Sie sind der kleinste gemeinsame Nenner der internationalen Gemeinschaft: Inhalte, die den Status der politischen Salonfähigkeit erreicht haben und auf denen im Idealfall aufgebaut werden kann. Manchmal ist es schon ein Erfolg, lediglich die «agreed language» vergangener Jahre zu verteidigen, in der aktuellen Resolution beispielsweise in Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen.

Durch Ausbildungsmöglichkeiten Frieden stiften

Ein Aspekt, den ich in meiner Rede im Hinblick auf die Ursachen wirtschaftlicher Perspektivenlosigkeit junger Menschen besonders hervorgehoben habe, ist die Frage von «Youth, Peace and Security ». In vielen von Konflikten betroffenen Ländern liegt der Anteil von Menschen unter 25 bei über 60 Prozent der Bevölkerung! Mit einer solchen Bevölkerungsstruktur ist es für eine friedliche Zukunft unabdingbar, dass Jugendliche an der Gesellschaft teilhaben und ihr Potenzial als «Peacebuilders» entfalten können. Dies setzt wiederum Ausbildungsmöglichkeiten sowie Möglichkeiten, die Ausbildung sinnvoll einzusetzen, voraus.

Zu diesem Thema blicke ich auf eine hochspannende Begegnung mit Ishmael Beah zurück. Er ist New York Times-Bestsellerautor und war Kindersoldat im Bürgerkrieg in Sierra Leone in den Neunzigerjahren. Nebst den offiziellen Verhandlungen finden täglich zahlreiche Nebenveranstaltungen statt, an denen Staaten Stellen innerhalb der UNO oder NGOs auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen. Diese Side Events sind aber auch Gelegenheiten für «spontane» Gespräche über die Resolution; das Klischee, dass Politik nicht (nur) im Konferenzsaal gemacht wird, sondern bei einem Bagel am gemeinsamen «Working Breakfast» oder bei einem Glas Wein am abendlichen Empfang, ist also nicht ganz unberechtigt. An einem solchen Event hat Beah interessante Gedanken zur Wechselwirkung von Frieden, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geäussert.

Nach einem Konflikt werde der Notwendigkeit von langfristigen Engagements und dem Aufbau von verlässlichen Institutionen oft zu wenig Rechnung getragen. Beah hat das folgendermassen illustriert: Wenn man bedenkt, dass – selbst in hochentwickelten Gesellschaften – jemand mit einem Bachelor-Abschluss teilweise beschränkt etwas erreichen kann, wie soll dann ein junger Mensch in einem Land, welches mit den zusätzlichen Belastungen eines vergangenen Konfliktes zu kämpfen hat, mit einer tieferen Ausbildung nachhaltige Veränderungen realisieren können?

In Sierra Leone wurde jungen Männern nach dem Krieg angeboten, eine Ausbildung als Handwerker zu machen, beispielsweise als Mechaniker. Dass eine Gesellschaft Handwerker braucht, soll hier überhaupt nicht in Frage gestellt werden. Es werden jedoch keine Probleme gelöst, wenn in einem Land mit 10’000 Autos 20’000 Mechaniker ausgebildet werden. Ishmael Beah hat betont, dass es beim Erstellen von Aufbauprogrammen essenziell ist, immer die Gesellschaft vor Augen zu haben, die wieder aufgebaut werden soll – und alle ihre Mitglieder mit ihren individuellen Plänen und Talenten.

Junge Stimmen an der UNO stärken

Nebst den diversen Highlights wie der oben erwähnten Rede vor der gesamten Generalversammlung, Begegnungen mit Diplomatinnen und Diplomaten aller Kontinente oder dem Treffen mit dem Schweizer UNO-Botschafter zählt auch die Zusammenarbeit mit Jugenddelegierten aus knapp 30 Ländern zu den grossen Erlebnissen meiner Teilnahme an der UNO-Generalversammlung. Die erwähnte Jugendresolution ermutigt die Mitgliedsstaaten «to consider including youth representatives in their delegations». Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung jünger als 25 Jahre ist, wächst der Konsens, dass politische Pläne, welche junge Menschen betreffen, von diesen mitgetragen werden müssen. Viele Staaten haben der Aufforderung zur Etablierung eines solchen Programms für Jugenddelegierte bereits Rechnung getragen, leider jedoch vorwiegend nur auf dem europäischen Kontinent. Um wirklich von Jugendpartizipation bei der UNO sprechen zu können, müssen auch mehr junge Stimmen aus Afrika, Asien und Lateinamerika gehört werden können. Damit Jugendliche generell in wirklich effektiver Weise an der Weltpolitik mitarbeiten können, ist verstärktes Engagement der Regierungen nötig, was wiederum nur dann erreicht werden kann, wenn die (junge) Zivilgesellschaft weiterhin für ihre Rechte eintritt.


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