Sünde und Sühne

Wer Unrecht tut, muss dafür bestraft werden. 130 Personen verbüssen ihre (Teil-)Strafe in der offenen Vollzugsanstalt Saxerriet (SG) – ein Einblick.

Sünde und Sühne sind zwei nicht voneinander trennbare Begriffe. Wer ein Verbrechen begangen hat, gehört bestraft, so verlangt es die Gesellschaft und unser Rechtssystem. Eine solche «Bestrafungsanstalt» findet sich in Saxerriet, wo 130 Insassen im offenen Vollzug ihre Strafe verbüssen. Doch was bedeutet offener Vollzug? Wer meint, hier nur auf «kriminelle Leichtgewichte» zu treffen, irrt. In Saxerriet finden sich auch schwere Jungs, mehrfache Gewaltverbrecher und Sexualstraftäter. Umso überraschender scheint es, wenn man auf das grossflächige Gelände, mit eigenem Landwirtschafts- und Industriebetrieb sowie einer Gärtnerei, fährt, dass man keine Zäune, keine Absperrungen sieht.

Keine Zäune

«Wir haben ein Videoüberwachungssystem auf dem Gelände und eine Induktionsschlaufe umgibt das Gelände. Übertritt man diese, wird der Alarm ausgelöst», erklärt mir André Jerger, stellvertretender Direktor der Anstalt. Das System sei darauf ausgelegt, Fluchten zu verhindern, beziehungsweise bei verdächtigen Bewegungen oder bei einer allfälligen Entweichung die entsprechenden Schritte einleiten zu können. Es gibt neben den technischen Sicherheitseinrichtungen die nicht weniger wichtigen fluchthemmenden Massnahmen auf der Beziehungsebene. Die Mitarbeitenden der Strafanstalt sind in ständigem Kontakt mit den Insassen, sei es in der Betreuung in den Wohntrakten, sei es bei Besprechungen mit den Sozialarbeitern und Vollzugsverantwortlichen oder in Gesprächen mit den Werkmeistern an den Arbeitsplätzen. Ebenso wichtig ist ein geregelter Tagesablauf mit klaren Strukturen und Regeln – getreu dem Normalitätsprinzip. So beginnt für die Insassen die Arbeit jeweils um 7.10 Uhr an ihren Arbeitsplätzen, Arbeitsende ist um 17.00 Uhr, Einschluss um 21.00 respektive 22.00 Uhr; man passt sich den Jahreszeiten an.

Beat Senn und André Jerger
Beat Senn und André Jerger

Wieder gesellschaftsfähig sein

Das erklärte Ziel der Strafanstalt Saxerriet ist es, nach dem offenen Vollzug Menschen zurück in die Gesellschaft zu schicken, die sich eingliedern können und ein straffreies Leben führen wollen. Aus diesem Grund ist der Alltag selbst so nahe wie möglich an das Leben «draussen» angeglichen. Therapien und Wiedergutmachungsmassnahmen sollen dazu beitragen, dass der Täter seine Schuld, nicht nur aus einem rechtlichen Blickwinkel, sondern auch von einem moralischen Standpunkt aus, einsieht. «10 Prozent von dem Geld, das sie hier verdienen, geht auf ein Wiedergutmachungskonto. Das mag nach wenig aussehen, ist vielleicht nur ein Päckchen Zigaretten am Tag weniger – aber hier drin tut das weh», meint Beat Senn, Leiter Vollzug. Dieses Geld soll am Ende des Aufenthalts an eine gemeinnützige Organisation oder sonst zur Wiedergutmachung hergegeben werden. Denn die Strafe an sich ist nur eine Dimension – sie haben nicht nur ein Gesetz verletzt, sondern auch jemandem Schaden zugefügt und sollen sich damit auseinandersetzen. Zu diesem Zweck wird eine immaterielle Wiedergutmachung seitens der Insassen gefordert. Sie sollen sich mit ihren Taten auseinandersetzen, es soll ein Umdenken herbeigeführt werden, eine Einsicht.

Die Rückfälligkeit in Zahlen zu belegen ist schwierig, da es dazu nur wenig verbindliche Zahlenerhebungen gibt. Es gilt dabei zu bedenken, dass Erhebungen und Zahlen immer sehr differenziert betrachtet werden müssen, da es grosse Unterschiede bezüglich der Deliktgruppen gibt. Feststellbar ist hingegen, dass es vor allem in der Gruppe von Straffälligen mit einer Suchtproblematik vermehrt zu Rückfällen kommt.

Bereust du?

Burim, der seit drei Jahren in Saxerriet ist und im Sommer entlassen wird, scheint diesen Prozess vollzogen zu haben: «Ich bereue jeden Tag, was ich getan habe – für was sitze ich denn hier? Es hätt nöd si mösse …» Der 25-Jährige, der wegen einem schweren Gewaltdelikt in die Anstalt gekommen ist, fügt jedoch an, dass Saxerriet «auf eine kranke Art und Weise» das Beste sei, was ihm hätte passieren können. Früher hätte er immer alle Probleme in sich hineingefressen und mit niemandem geredet, bis er dann explodiert sei. Hier habe er gelernt damit umzugehen, angemessen zu reagieren, sich gegenüber anderen zu öffnen und Probleme anzusprechen.

Doch nicht nur die seelische Weiterbildung gehört zum offenen Vollzug, sondern auch die allgemeine Weiterbildung. So finden in Saxerriet Kurse um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen statt. Häftlinge, die mindestens zwei Jahre in der Anstalt bleiben, können eine Lehre absolvieren. Jobcoachings gehören ebenso ins Programm wie Informationsabende zu sexuell übertragbaren Krankheiten und anderen wichtigen Themen.

Zusätzlich dazu bietet die Anstalt Unterstützung durch Schuldenberater an, die den Häftlingen helfen sollen, mit ihren Schulden zurecht zu kommen, sobald sie entlassen werden. Jerger dazu: «Wenn jemand raus kommt und noch 50’000 Franken Schulden hat, steht ihm für den Neuanfang bereits eine Hypothek zur Verfügung. Deshalb bieten wir diese Unterstützung an. Die Schulden sollen ihnen nicht erlassen, dafür aber eine Lösung gefunden werden, mit der sie und die Gläubiger leben können.»

Das ist ja wie Ferien!

Durchbrochen wird der Anstaltsalltag durch den Ausgang, der – sofern bewilligt – alle zwei Wochen stattfindet und unterschiedlich lange dauern kann. Burim kann zwei Mal im Monat raus – einmal für fünf, einmal für 36 Stunden. Doch wer sich jetzt denkt «Therapie, geregelter Alltag, Lohn und noch Ausgang – das ist ja wie Ferien!», irrt. Während des Ausgangs gilt eine Nulltoleranz für Alkohol, die Insassen müssen eine Urinprobe abgeben – sofern sie Drogen konsumiert haben, während sie draussen waren, hat dies Konsequenzen – und sich unter Umständen einer Leibesvisitation unterziehen lassen. Pakete und Briefe, welche die Insassen von ihren Angehörigen und Freunden erhalten, werden durchsucht und kontrolliert, Handys sind – ausser im Ausgang – verboten. Die Zellen der Häftlinge sind um die zwölf Quadratmeter gross und mit Bett, Schrank, Pinnwand, WC und Lavabo ausgestattet. «Von aussen ist es schön hier, aber ich spüre jeden Tag, dass ich gefangen bin. Mir fehlt die Freiheit», meint Burim. Seine Zelle hat er nicht wie andere Insassen mit Postern und Fotos dekoriert: «Ich will nicht so tun, als ob ich hier zu Hause sei. Ich lebe zwar hier, aber mein Zuhause ist es nicht.»


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