Das Geschäft mit der käuflichen Liebe – wie ist die Situation in St. Gallen? prisma sprach mit zwei Bordell-Betreibern und dem Mediensprecher der St. Galler Kantonspolizei.
Ein Rotlichtmilieu in St. Gallen? Gibt es das? Viele würden diese Frage verneinen, da sich in der Stadt keine typische Ansammlungen von Striplokalen und Bordellen finden lässt. Doch das älteste Gewerbe der Welt ist auch in St. Gallen vertreten: In der Stadt gibt es über 60 Etablissements und rund 220 Frauen, die mit der käuflichen Liebe ihr Geld verdienen. Früher, in den 70er- und 80er- Jahren, waren die meisten Bordelle im Linsebühl- Quartier angesiedelt, heute sind sie in der ganzen Stadt verteilt. Meist befinden sie sich unscheinbar in Wohnblöcken, wie beispielsweise auch das «Gallus- Girls». Die Vermarktung des schlüpfrigen Angebots von «Gallus-Girls» findet hauptsächlich online über die gleichnamige Homepage statt. Wenn man vor der im Internet angegebenen Adresse steht, deutet nichts darauf hin, dass sich im Innern des Hauses Männer für Geld befriedigen lassen. Einziger Hinweis ist das Klingelschild «Sol y Luna».
Chris, der Besitzer von Gallus-Girls, sieht sich keineswegs als Zuhälter, sondern als Allrounder: «Ich bin Hauswart, Seelsorger, Manager, Putzfrau, Chauffeur und Mädchen für alles. Wenn man das Business legal betreibt, ist man weit weg davon, ein Zuhälter zu sein.» Stammtischgeschichten zufolge verdiene er doch sicher haufenweise Geld. Dem ist nicht so: Weder fährt Chris einen Porsche, noch trägt er massgeschneiderte Anzüge oder schwere Goldringe an den Fingern. Lukrativ ist das horizontale Gewerbe seit der Öffnung der EU-16-Länder nicht mehr, meint er. Frauen aus dem Osten kommen seither in die Schweiz und schaffen für vergleichsweise wenig Geld an. Das drückte die Preise massiv. So kostet der Stundenservice circa 30 Prozent weniger als noch vor einigen Jahren. Chris sagt, heute arbeite man hart in der Branche, um seine Brötchen zu verdienen. In der Regel schläft er nur vier Stunden pro Tag, die restliche Zeit macht er Buchhaltung, fährt die Frauen zu Kunden oder sorgt im Etablissement für Ordnung.
Auch Studenten beanspruchen den Service
Den durchschnittlichen Freier gibt es nicht: Ob Geschäftsmann oder Familienvater, Student oder Senior, Schweizer oder Ausländer, jede Gruppe von Männer nimmt den Service in Anspruch. Chris erzählt von Jugendlichen, die bei ihm anrufen und sagen, sie wollen nun endlich entjungfert werden. Daneben gibt es aber auch einen 90-jährigen Stammgast, der wöchentlich ins Gallus-Girls kommt. Oder einen 75-jährigen Fetischisten, der unter seinem Anzug jeweils schon die Latexbekleidung trägt.
Es komme zwar selten vor, dass Freier den Prostituierten gegenüber aggressiv werden, doch gab es auch schon Vorfälle, in welchen Chris Kunden vor die Tür setzten musste. Vor drei Monaten kam ein Kunde auf Koks, der handgreiflich wurde. Drogen akzeptiert er nicht, weder bei den Freiern, noch bei seinen angestellten Frauen. Eine halbe Stunde lang kämpfte der stämmige Chris mit dem Freier, ehe er ihn aus der Wohnung manövriert hatte. Verlust durch aussergewöhnliche Ereignisse: Eine Türe, einen Fernseher und einen Schrank. «Man erlebt hier alles. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Kunde mit der Kreditkarte seiner Ehefrau bezahlt hat. Man muss sich so etwas Dreistes einmal vorstellen! Die Ehefrau stand dann am Ende des Monats mit ihren Kindern vor der Tür und wollte wissen, was genau da verbucht wurde», fügt Chris an. Für die Frau ist natürlich eine Welt zusammengebrochen, als sie mit der nackten Wahrheit konfrontiert wurde.
Kopfschüttelnd erzählt Chris auch von Studenten, die anrufen und fragen, ob sie Rabatt bekämen. Vergünstigungen gibt es jedoch für niemanden: Gleiche Leistung, gleicher Preis, so die Devise. Chris zeigt auf eine Plastiktüte in der Ecke: «Wenn wir schon beim Thema Studenten sind: Gestern hat einer seine Bücher hier vergessen. Zum Glück war eine Adresse dabei, so kann man sie ihm zurückschicken. Solches gehört eben auch zum Geschäft …». Wenn man sich das klischeehafte Bild eines Zuhälters vorstellt, denkt man in erster Linie nicht daran, dass sich das Betreiben eines Bordells nicht gross vom Betreiben eines Restaurants unterscheidet. Kundenpflege, das Erfüllen von Hygiene- Auflagen, das Zahlen von Quellensteuern, das Einholen von Arbeitsbewilligungen, alles Dinge, die zum Alltagsgeschäft gehören.
Auch unternehmerisches Denken ist beim Betreiben eines Bordells gefragt. Chris misst beispielsweise die Kundenzufriedenheit und geht Reklamationen sofort nach. So soll verhindert werden, dass negative Kommentare über sein Etablissement in einschlägigen Internet-Foren auftauchen. Falls dies passiere, fänden die Damen schnell keine Kunden mehr. Ins unternehmerische Bild passt auch, dass er keine Berührungsängste mit den neuen Medien hat: «Gallus-Girls» kann man auf Facebook liken. Immerhin 22 Personen bekennen sich öffentlich dazu, dass ihnen der Service der Gallus-Girls gefällt. Seit einigen Wochen gibt es zudem eine App, durch welche die Kunden die Buchung ihrer Lieblingsdamen leichter vornehmen können.
Keine Brandanschläge mehr
Auch die Polizei behandelt die Bordell-Betreiber als gewöhnliche Unternehmer. Jedoch mit der Ausnahme, dass sie die Etablissements regelmässig kontrolliert und zu den Besitzern einen engen Kontakt zu pflegen sucht. Laut Gian Andrea Rezzoli, dem Mediensprecher der Kantonspolizei St. Gallen, will man präventiv wirken. Momentan gibt es keine grossen Probleme mit illegaler Prostitution in St. Gallen und so soll es auch bleiben. Heftige Konkurrenzkämpfe zwischen den Bordell-Betreibern gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Früher kontrollierten sich die Besitzer gegenseitig und sprachen sich untereinander ab. Wer nicht mitzog wurde eingeschüchtert oder mittels Brand- und Buttersäureanschläge geschädigt, ergänzt Rezzoli.
Einen eigentlichen Strassenstrich findet man in St. Gallen auch nicht. Der Grund dafür ist, dass es die Stadt – anders als Zürich mit dem Sihlquai – gar nicht erlaubt. Zwar gibt es immer wieder vereinzelte Frauen, die sich auf der Strasse «anbieten», doch handelt es sich bei diesen um Drogenabhängige, die schnell zu Geld kommen wollen. «Man spricht dann von Beschaffungsprostitution», erklärt Rezolli.
Ist also die Rotlichtszene in St. Gallen völlig harmlos und verhalten sich alle Beteiligten korrekt? Nicht unbedingt: Erst vor einigen Jahren gab es einen grösseren Fall von Menschenhandel im Kanton. Ein in Sargans ansässiger Mann betäubte Frauen aus dem Ostblock in deren Heimat und schaffte sie in die Schweiz ein. Hier erwachten sie in einem Zimmerchen und wurden zwangsprostituiert. Glücklicherweise konnte der Fall aufgedeckt und der Täter zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Dies sei nicht immer möglich, berichtet Rezolli. Oftmals stehen die Frauen unter enorm grossem Druck, weil die Zuhälter damit drohen, ihren Familien in der Heimat etwas anzutun, falls sie nicht gehorchen würden. Und wenn die Frauen nichts rapportieren und keine Aussage machen, kann den kriminellen Zuhältern nicht das Handwerk gelegt werden. Aus diesem Grund bemüht sich die Kantonspolizei St. Gallen, mit zahlreichen anderen nationalen und internationalen Institutionen und Organisationen zusammenzuarbeiten. So kann den Frauen und ihren Familien durch sogenannte Shelters («Schutzhäuser») Schutz vor den Repressalien der Zuhälter geboten werden.
Neuer Big Player im Milieu
Doch zurück zur Legalität. In St. Gallen gibt es seit einem Jahr einen neuen Big Player, der im Milieu auf sich aufmerksam macht. Alfonso Coretti, dem früher das «Studio 15» gehörte, liess ein Gewerbehaus nahe am Bahnhof renovieren und gründete das «Extravagant». Er sieht sich in erster Linie als Hotelier, der den über 20 Frauen «für die Verrichtung ihrer Arbeit» Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Nach mehreren Jahrzehnten im Gastgewerbe wollte Coretti einmal etwas anderes machen und kam als Quereinsteiger in die horizontale Branche.
Im Vergleich zu den herkömmlichen Salons ist das Extravagant von aussen klar erkennbar und spricht wohl auch ein etwas anderes Zielpublikum an. Während der Kunde in kleineren Etablissements anonym kommen und gehen kann, ist er im Extravagant einer gewissen Öffentlichkeit ausgesetzt: Der Club unterscheidet sich einzig durch die vielen leicht bekleideten Damen am Tresen von einer gewöhnlichen Bar. Der Gast geht mit dem Betreten noch keinerlei Verpflichtung ein. Er bucht die Damen nicht wie sonst üblich im Vorfeld, sondern lässt sich vor Ort verführen. Dies hat auch zur Folge, dass viele Männer mit Freunden ungezwungen für einige Drinks vorbeikommen, ohne am Ende mit einer Dame auf einem der 16 Zimmer und Suiten – von denen eine sogar mit einem Whirlpool ausgestattet ist – zu verschwinden.
Coretti hat das Ganze bewusst gross aufgezogen, weil er mit einem breiten Angebot auf den Markt kommen wollte. Die Frauen kommen aus ganz Europa: Ukraine, Deutschland, Polen, Ungarn, aber vor allem aus Rumänien. Verlockend sei für die Frauen am Konzept des Extravagants, dass sie vor Ort die Gunst des Kunden gewinnen können und für sie kein eigentliches Risiko im Spiel ist. Pro «Zimmerbenützung» haben sie Alfonso Coretti einen fixen Betrag abzugeben. «Der Löwenanteil kommt jedoch den Frauen zugute», betont Coretti. «Einen grossen Konkurrenzkampf unter den Damen gibt es aber nicht. Sie verhalten sich fair untereinander.»
Auf die Frage, ob auch Studenten ins Extravagant kommen, antwortet Coretti: «Brauchen die Studenten denn etwa keinen Sex?» Da es offenbar zahlreiche Männer gibt, die auch bereit sind, für dieses Bedürfnis zu bezahlen, erklärt seine Antwort auch gleich, wieso das älteste Gewerbe der Welt zu jeder Zeit, an jedem Ort existieren wird. So auch im gegenwärtigen St. Gallen. Hier ist das Rotlichtmilieu zwar, mit einigen Ausnahmen, ruhig und unscheinbar, doch dürfte diese Anonymität den einen oder andern Freier freuen; sofern er nicht mit der Kreditkarte seiner betrogenen Ehefrau bezahlt.