«Der Demokratie sollten keine Grenzen gesetzt werden»

Als ehemaliger Präsident der JuSo ist Cédric Wermuth landesweit bekannt. Mit prisma hat er sich über Reichtum, Arbeit sowie Entlohnung unterhalten und vertritt dabei eine grundlegende Ausweitung der Demokratie.

Cédric Wermuth, was sollte man in der Schweiz grundlegend verbessern?

Da gibt es eine Reihe von Dingen, die man verändern müsste. Aber ein zentrales Phänomen, das wir in den letzten Jahren beobachten konnten, ist die massive Ungleichverteilung von Reichtum. Gemäss der Crédit Suisse besitzt rund ein Prozent der Schweizer Bevölkerung gleich viel Vermögen wie die restlichen 99 Prozent. Ich bin davon überzeugt, dass es die grösste Aufgabe der nächsten Jahre sein wird, den Reichtum in der Schweiz besser zu verteilen.

Glauben Sie, dass die 1:12-Initiative dabei helfen könnte?

Sie wäre ein erster Schritt. Grundsätzlich ist die gesetzliche Umsetzung der 1:12-Initiative sehr einfach. Das Schwierige daran ist, die Kontrolle darüber zu gewinnen, dass sie nicht umgangen wird.

Es gibt sehr viele Wege, eine mögliche 1:12-Initiative zu umgehen.

Natürlich, aber das ist ein Totschlagargument gegen jegliche Gesetzgebung.

Der Staat darf sich also in die Lohnpolitik von Privatunternehmen einmischen?

Ich bin der Meinung, dass sich der Staat durchaus in die Lohnpolitik von Privatunternehmen einmischen darf. Fakt ist, dass wir in der Schweiz eine direkte Demokratie haben und Reichtum sowie Erfolg Elemente sind, die kollektiv hergestellt werden. Es ist absurd zu glauben, dass man in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Erfolg oder den Anteil am Erfolg individualisieren könnte. Man kann zum Beispiel Brady Dougans Anteil am Erfolg der Crédit Suisse nicht messen. Wie sollte das gehen?

Das Risiko, dass hochqualifizierte Arbeitskräfte den Schweizer Arbeitsmarkt meiden, ist gross, und das könnte auch unserer Wirtschaft schaden. Was meinen Sie dazu?

Nach der Wirtschaftskrise ist es lächerlich zu glauben, dass diejenigen mit den horrenden Löhnen die Besten der Besten sind. Genau diese haben doch die falschen Entscheidungen getroffen, welche zur Krise und unserer derzeitigen Lage geführt haben.

Sollte man hochqualifizierte Arbeitskräfte nicht entsprechend entlohnen?

Nein, wieso? Ich finde, Bildung sollte kein Massstab für die spätere Entlohnung im Beruf sein.

Also sind Sie der Meinung, dass jeder gleich viel verdienen sollte?

Nein, nicht ganz. Ich verstehe nur nicht, wieso ein Maurer weniger verdienen sollte als ich, der studiert hat. Er hatte womöglich nur nicht die Chance auf eine bessere Bildung. Ausserdem arbeitet er schon länger als ich, hat also schon mehr Steuern gezahlt und mit seinen Steuern wird die Universität, an der ich studiere, finanziert. Ohne ihn hätte ich mir meine Ausbildung nie leisten können.

Also glauben Sie, dass ein Arzt gleich viel wie ein Maurer verdienen soll?

Wieso nicht? Der Arzt lebt länger, denn er hat einen gesicherten Beruf und muss keine harte körperliche Arbeit leisten. Das ist genug Entschädigung für seinen Werdegang.

Sollte man für Verantwortung nicht entlohnt werden?

Verantwortung kann man nicht messen. Wie sollte man denn die Verantwortung eines Vasellas oder eines Arztes messen?

Die eines Arztes lässt sich messen…

Ja, auf eine gewisse Art und Weise. Ich bin nicht der Meinung, dass Verantwortung überhaupt nicht entschädigt werden sollte. Ich stehe für das Prinzip der Genossenschaft ein, daher bin ich der Meinung, dass der Lohn einer Führungsperson innerhalb der Genossenschaft demokratisch bestimmt werden muss. Wie gesagt, der Erfolg eines Unternehmens ist nicht nur Sache eines Einzelnen. Erfolg wird immer kollektiv hergestellt.

In der Öffentlichkeit ecken Sie zwischendurch gerne an. 2009 haben Sie an einer SP-Delegiertenversammlung gekifft.

Das war eine sehr spontane Aktion. Ehrlich gesagt, hatte ich mir das gar nicht so richtig überlegt. Ich war sehr erstaunt über die Reaktionen damals. Natürlich hat dieser Vorfall meiner Medienpräsenz Aufwind gegeben.

Und was ist mit den Hausbesetzungen in Baden, die ausgeartet sind?

Die Hausbesetzungen wurden ausserhalb Badens ganz anders aufgenommen als in der Stadt selber. Wir haben damit unser Ziel erreicht, denn es wurden in der Stadt wieder Sozialwohnungen gebaut. Für die Sachschäden, die mangels schlechter Organisation entstanden sind, habe ich mich bei den Besitzern persönlich entschuldigt.

Sie stehen für eine komplette Demokratisierung der gesamten Ressourcen der Schweiz ein. Wie stehen Sie zu der Ressource Land?

Landbesitz ist grundsätzlich etwas Falsches. Ist es nicht absurd, dass wir in der Schweiz Landmangel haben und immer noch neue Einfamilienhäuser gebaut werden? Wir brauchen mehr bezahlbare Wohnungen für Familien und junge Leute, und das erreichen wir nicht mit dem Bau von mehr Einfamilienhäusern.

Und was ist mit den Bauern, die Land besitzen und es tagtäglich bestellen?

Auch bei den Bauern finde ich Landbesitz im Grundsatz falsch. Jeder in unserer Gesellschaft sollte entscheiden dürfen, was mit diesem Land passiert.

Also sollten Menschen, die nichts von Landwirtschaft verstehen, darüber entscheiden, was mit einem Stück Ackerland gemacht werden soll?

Wie gesagt, ich stehe für eine Demokratisierung der gesamten Ressource Land ein.

Das ist eine sehr kommunistische Haltung.

Nein, ganz und gar nicht. Der Kommunismus wurde um eine einzige Person aufgebaut, nämlich um einen Diktator. Ein einziger Mensch entschied und zwang seine Entscheidungen einem ganzen Volk auf. Dass die kommunistischen Staaten untergegangen sind, hatte seine Gründe, und das ist auch gut so. Ich hingegen stehe für eine Demokratisierung der Ressourcen ein und nicht für ein autokratisches System. Der Demokratie sollten keine Grenzen gesetzt werden, oder zumindest sollten diese erweitert werden, um uns der komplett grenzenlosen Demokratie immerhin etwas anzunähern.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*