Geld macht uns das Leben leichter – keine Frage. Geld macht glücklich – bloss eine Illusion?
Geld spielte noch keine Rolle, als Aristoteles im vierten Jh. v. Chr. das Streben nach Glückseligkeit als oberste Maxime des menschlichen Handelns bezeichnete. Bedenkt man, dass die US-Amerikaner jenes Streben knapp 2000 Jahre später als unveräusserliches Recht deklarierten, wird deutlich, wie der Drang, ein glückliches Leben führen zu wollen, seit jeher unser Verhalten beeinflusst.
Die Methoden, dieses Ziel zu verwirklichen, sind bekanntlich verschieden. Um den wohl bekanntesten Vertreter aus der Kategorie «Wege zum Glück» etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, begebe ich mich ins Innere des St. Galler Casinos und frage mich dabei: Besitzt Geld tatsächlich die Fähigkeit, uns glücklich zu machen?
Die Höhle des Löwen
Das Ambiente, das einem beim Betreten der etwas schäbig anmutenden Spielhalle entgegenschlägt, zaubert mir nicht gerade das glücklichste Lächeln ins Gesicht. Man spürt dennoch eine gewisse Spannung, die in der Luft zu liegen scheint. Für einen Mittwochabend ist das Casino überraschend gut besucht; sämtliche Roulette-Tische sind gefüllt und auch beim Black Jack bieten sich den Spielern nur noch wenige freie Plätze. Was schnell auffällt, sind zwei unterschiedliche Gruppen an Spielern: taktierende Stammgäste und drauflosspielende Spasssuchende. Die regelmässigen Casinogänger offenbaren sich durch ausgefeilte Spielsysteme, die an mehreren Tischen gleichzeitig umgesetzt werden und ein rastloses Umherwandern der Betroffenen zur Folge haben, das keine Zeit für Jubel oder Freude übrig lässt.
Auffallend hoch sind auch die Einsätze, die von diesen Personen getätigt werden. Dazwischen hört man immer wieder Jubelrufe der deutlich weniger angespannten Spasskunden. Diese sind meist in Gruppen organisiert und besetzen gleich die Hälfte eines Spieltischs. Schon der Gewinn weniger Franken scheint die Stimmung deutlich zu heben, und wenn hin und wieder einer der Beteiligten den ganz grossen Wurf landet, stimmt oft die gesamte Gruppe zum enthusiastischen Freudengesang an.
Spiel mit System
Dieser Vergleich verschiedener Spielertypen lässt mich ein erstes Mal daran zweifeln, dass mehr Geld auch mehr Glück bedeutet. Sind es doch die kleinen Beträge, die ganze Gruppen fröhlich stimmen, und nicht das grosse Geld. Um einen besseren Eindruck von der Situation zu bekommen, versuche ich mit Spielern ins Gespräch zu kommen. Die meisten geben sich sehr verschlossen und möchten nicht wirklich mit mir sprechen. Manche beäugen mich etwas seltsam, andere schweigen mich einfach nur an.
Schliesslich finde ich zwei junge Männer, die sich etwas offener geben und sich zu einem kleinen Plausch überreden lassen. Schnell stellt sich heraus, dass beide ebenfalls an der HSG immatrikuliert sind. Sie bezeichnen sich beide als motiviert, tragen eigene Jacketts, sind mit dem Dresscode also vertraut und spielen regelmässig im Casino, «wenn es die Zeit eben zulässt ». Für sie ist es leicht verdientes Geld – sie spielen mit Strategie. Bei der Frage nach impliziertem Glück beginnen sich die beiden ein erstes Mal zu streiten. Für den Grösseren der beiden ist es nicht das Geld, das glücklich macht, sondern das Gefühl des Gewinnens. Viel schlimmer sei das Verlieren, meint er, «ein verdammt schlechtes Gefühl».
Sein etwas kleinerer Kollege ist da anderer Meinung. Er sieht eindeutig eine Verbindung zwischen Geld und Glück. Privates Glück mit Freundin und Familie sei das Ziel, aber der Weg dorthin führe hauptsächlich über das Geld. Nebenbei lässt er noch einen Satz fallen, der zwar belanglos klingt, sich bei meinen weiteren Nachforschungen aber als äusserst aussagekräftig entpuppt: «Glück ist relativ».
Tatsächlich entdeckte der Ökonom Richard Easterlin schon 1974, dass sobald grundlegende Bedürfnisse gestillt sind, das Glücksempfinden von einem grösseren Einkommen weitgehend unbeeinflusst bleibt. Seine Kollegen bedankten sich bei ihm für seine Entdeckung, indem sie dieses Phänomen gleich nach ihm benannten. Die Hintergründe und Erklärungen zur Entstehung dieses Easterlin- Paradoxons sind sehr vielfältig.
Tretmühlen des Glücks
Für viele Experten bedeutet das Streben nach mehr Geld, also nach mehr Wohlstand, in vielfacher Hinsicht ein Treten auf der Stelle. Mit fortschreitendem Wohlstand steigt zwar die Vielfalt der Konsumauswahl, aber dieser eigentliche Gewinn an Entfaltungsfreiheit mündet in Unsicherheit und die zusätzliche Belastung neutralisiert das Mehrglück, welches durch grössere Entscheidungsräume geschaffen wird.
Noch deutlicher wird die eigentliche Relativität des Glücklichseins, sobald wir beginnen, uns mit unseren Mitmenschen zu vergleichen. Zu Beginn steigt unser Glücksempfinden im selben Mass wie unser Wohlstand. Das hängt mit der Befriedigung absoluter Bedürfnisse zusammen: Mit mehr Geld lassen sich solche Bedürfnisse einfacher und schneller befriedigen.
Sind die absoluten Bedürfnisse ausreichend befriedigt, strebt der Mensch aber immer noch nach mehr, um glücklicher zu werden. Dies kann er nur durch Befriedigung relativer Bedürfnisse erreichen. Das hierdurch erfahrene Glück verliert jedoch seinen Wert mit jeder weiteren Person, die dasselbe erfährt.
Die Angst vor dem Verlust
Die Bedeutung von Geld für das Glücksgefühl eines Menschen scheint demnach immer in Relation zu seiner Umwelt gemessen werden zu müssen. Diesem Gedanken stimmen auch meine Casinogefährten zu. Wenn alle gewinnen würden, wäre das Spiel langweilig. Für beide ist zudem klar, dass Geld nur ein Katalysator sein kann. Innere Zufriedenheit lasse sich nicht kaufen. Vielmehr versichern mir beide, dass es auch Gefahren gebe, diesen Weg zum Glück zu wählen. Denn der Ärger beim Verlieren sei verhältnismässig grösser.
Auch die Dame hinter der Bar bestätigt mir, dass die meisten Drinks zum Frustabbau bestellt werden und weniger zur Siegesfeier. Sie erinnert sich an Situationen, in denen Einzelne ihr gesamtes Hab und Gut auf dem Roulettetisch verloren haben.
Für mich selbst endet der Abend im Casino ernüchternd: Ich habe in keinem Spiel gewinnen können. Die passenden Antworten auf meine Fragen habe somit ich auch nicht so wirklich finden können. Vielleicht hatte Herr Reich-Ranicki doch Recht, als er einst meinte: «Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Strassenbahn.»