Nacktheit, Scham und Macht

Es gibt keinen wahren Po-o-o-o
Keinen wahren Po im Falschen
Peter Licht: Stilberatung/Restsexualität

Es gibt wohl kaum ein Thema, bei dem man in unserer Gesellschaft so gut dem Aufeinandertreffen von individueller Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Konventionen nachspüren kann, wie das der Nacktheit. Im alttestamentarisch geprägten Kulturkreis fällt dabei natürlich sofort die doppelte Konnotation von Nacktheit als Symbol von Unschuld und Unbewusstheit und als Ausdruck von schambehaftetem Mangel und Schuld nach dem Sündenfall auf: Es ist die Erkenntnis, die den Menschen von sich selbst trennt, ihm seine Nacktheit bewusst macht und diese als schamvoll erscheinen lässt.

Beispielhaft kann man das Verhältnis von Nacktheit, Scham und Macht anhand der Rolle zeigen, die der Nacktheit in der Frauenbewegung gegeben wurde. In dieser galt Nacktheit sowohl als Symbol der Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen als auch als verwerflich, insofern sie eine Unterwerfung unter den «männlichen Blick» innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft implizierte. Dieser zweite Aspekt verweist darauf, dass im sozialen Kontext Nacktheit auch immer im Sinne einer Verwundbarkeit gesehen werden muss, wobei Nacktheit nicht nur ein Unbekleidetsein im wörtlichen Sinne, sondern auch ein «Unbehaustsein» im Allgemeinen ist.

Ein «Sichentblössen» auf der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem ist immer auch ein Initiationsritus. Man lässt sich fallen in der Hoffnung, aufgefangen zu werden: Seht her, so bin ich, und es ist gut! Darin konstituiert sich aber stets auch potenziell ein Herrschaftsverhältnis: der «Andere» wird zum potenziellen Erlöser, und es ist dieser Mächtige, der das Schamgefühl des Ohnmächtigen erzeugen und verletzen kann. Indem er ihm und allen anderen seine Unbehaustheit zu Bewusstsein bringt, löst er das Erlösungsversprechen nicht ein (da ähneln sich in unserer Gesellschaft der Umgang mit Arbeitslosigkeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen, sozialer Andersartigkeit und die Geschichte vom Sündenfall: Sehet, ihr genügt nicht!).

Daneben manifestiert sich das Verhältnis von Nacktheit, Scham und Macht aber auf einer noch subtileren Ebene. Konventionen haben eine wichtige regulative Funktion in Gesellschaften, und erlernte Gefühle wie Scham tragen zu ihrer Leistungsfähigkeit bei, weil sie zu Regeleinhaltung und Verlässlichkeit führen. Die Konnotation von Verhalten und dem menschlichen «So-Sein» mit Gefühlen wie der Scham ist ein effektives Instrument bei der Ausübung von Macht, wie Michel Foucault an den Beispielen der gesellschaftlichen Konstruktion von Begriffen wie Sexualität und Krankheit exemplarisch nachgewiesen hat1: Wenn in einer Gesellschaft die Menschen allein aufgrund ihres So-Seins schuldhaft werden müssen (wenn sie also nicht gerade richtig «behaust» sind), können sie nicht frei sein und einem Aufbegehren gegen ungerechte Zustände wird der Impuls genommen. (Wie kann ich aufbegehren, wenn ich selber schuldhaft bin?) Die Ironie des modernen Diskurses z.B. in den Medien ist dabei, dass er vorgibt, es ginge ihm um die Selbstbefreiung des Subjekts. In Kafkas «Der Prozess» wird dies einzigartig zugespitzt: Josef K. wird schuldig, weil er gegen ein Gesetz verstösst, das er nicht kennt, nicht kennen kann. Sein So-Sein ist defizitär, und dieses Defizit wird er nicht mehr aufholen. Das Romanfragment endet mit der Hinrichtung Josef K.s, in die er sich seltsam passiv fügt: «Wie ein Hund! sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.» So schliesst sich der Kreis zur Vertreibung aus dem Paradies.

Fussnote 1: Michel Foucault (1983): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; ders. (1993): Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

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