«Einführung ins Strafrecht» mit dem Räuber Hotzenplotz

Für Kinder ein aussergewöhnliches Erlebnis, für Dozierende mitunter eine aussergewöhnliche Herausforderung – das ist die Kinder-Uni an der HSG. Yvette Sánchez, Marianne Hilf, Rolf Wüstenhagen und Edith Steiner erzählen im Gespräch mit prisma von ihren Eindrücken und Erfahrungen rund um die Vorlesungen der besonderen Art.

Zunächst hat Marianne Hilf einfach lange und intensiv nachgedacht. Die Frage, welche die Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie während der Vorbereitung ihrer Vorlesung im Rahmen der Kinder-Uni in diesem Semester beschäftigte, war nämlich alles andere als einfach: Wie nur bringt man einem ganzen Audimax voller neugieriger Kinder ein strafrechtliches Thema näher? Leicht verständlich aufgearbeitet und anschaulich sollte der Stoff sein, aber doch eine klare inhaltliche Botschaft transportieren. Und das mit einer dem Thema angemessenen Ernsthaftigkeit, jedoch ohne bei den Kindern Ängste zu wecken. Angesichts solcher Anforderungen fielen Tatwaffen als konkrete Anschauungsobjekte schon einmal weg – nicht kindgerecht genug, befand Hilf. Weil der Sachverhalt, der die Grundlage für Marianne Hilfs Ausführungen zu Unrecht und Strafe bilden sollte, im Alltag der Kinder nur schwer zu verankern war, fand sie schliesslich im Gespräch mit ihrem Ehemann den kindgerechten Schlüssel zum Thema: «Wenn ich den Kindern sage, dass da ein Kind in der Migros ein Päckchen Kaugummi klaut und es kommt gleich die Polizei, dann stimmt das ja so nicht. Aber wenn der Räuber Hotzenplotz der Grossmutter die Kaffeemühle stiehlt und der Herr Wachtmeister kommt, dann ist das im Rahmen einer solchen Geschichte in Ordnung und wird auch von den Kindern akzeptiert.»

Das Vorlesungsthema in eine Geschichte verpacken und so in einen den Kindern vertrauten und verständlichen Kontext bringen – das war auch der Gedanke von Rolf Wüstenhagen, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie. Er vermittelte in seiner Vorlesung den kleinen Gaststudierenden, wie dank Sonnenenergie und Windmühlen die Eisbären gerettet werden können, und liess die Kinder im Hörsaal mit Muskelkraft Strom erzeugen. Denn je greifbarer der Inhalt und je deutlicher der Bezug zum Alltag, desto besser kommt das Wissen bei den Kindern an.

Ein kritisches Publikum

Dennoch dürfe man die Vorkenntnisse und Fähigkeiten der Kinder keinesfalls unterschätzen, meint Yvette Sánchez, Professorin für Spanische Sprache und Literatur sowie Delegierte des Rektors für das Öffentliche Programm der HSG: «Die Gefahr ist tatsächlich, dass unsere Professorinnen und Professoren die Dritt- bis Sechstklässler eher unterfordern, wenn sie die Inhalte doch etwas zu vereinfacht darstellen.» In diesem Fall gibt es dann prompt das entsprechende Feedback, denn im Vergleich zu den zwar ebenfalls kritisch denkenden, in den Vorlesungen aber zurückhaltenderen HSG-Studierenden kommt die Kritik der Kinder viel schneller bei den Dozierenden an. Sind die regulären Studierenden also das dankbarere Publikum im Hörsaal? Unter diesem Gesichtspunkt möglicherweise schon, allerdings würde sich Rolf Wüstenhagen schon ab und zu wünschen, dass sich die Studierenden vom Beginn des Semesters an so engagiert zeigen wie die Kinder in jeder einzelnen Veranstaltung: «Oft brauchen die Studierenden ja mehrere Vorlesungswochen, um warm zu werden – da geht wohl leider bei vielen irgendwo zwischen der sechsten Klasse und dem Studienbeginn die Unbekümmertheit verloren.»

HSG auf Tuchfühlung

Mit Hemmschwellen anderer Art hat es Edith Steiner von der HSG-Kommunikation zu tun: Sie hat die Zügel in der Hand, wenn es um den Aussenauftritt der Kinder-Uni geht – und stösst bei Eltern oder Lehrern, die bei ihr die Kinder für das Programm anmelden, immer wieder auch auf Vorbehalte: «Viele gehen nur sehr zögerlich und vorsichtig auf die HSG zu; das gilt für die Kinder-Uni wie für das gesamte Öffentliche Programm.» Für Yvette Sánchez ein Grund mehr, die HSG durch ein attraktives Programm näher an die künftigen Generationen heranzuführen. Ihr geht es allerdings nicht darum, mit der Kinder-Uni die kindliche Förderung überzustrapazieren oder die «HSG-Kunden von morgen» zu rekrutieren. Stattdessen möchte sie durch die Kinder-Uni auf Tuchfühlung mit der St. Galler Bevölkerung gehen, Spass an Bildung vermitteln und den Kindern eine neue Welt eröffnen: «Wir bieten ihnen mit den Vorlesungen aus den verschiedenen Fachrichtungen eine lebendige Alternative zu einem Nachmittag vor dem Bildschirm und geben durch echte Professoren interaktive Einblicke in alle Dimensionen der Wissenschaft und Forschung an der HSG.»

Am besten ganz vorne

Dass diese Dimensionen sich auch schon allein auf die imposanten Gebäude der HSG beziehen können – in welcher Schule gibt es schon ein so grosses Klassenzimmer wie das Audimax? – hat Edith Steiner ebenso beobachtet wie die Begeisterung der Jungstudierenden, wenn sie ihr «Semester-Package» bekommen: Ausgestattet mit Legi und Schreibzeug mit HSG-Logo stürmen die Kinder an vier Nachmittagen pro Vorlesungszyklus den Hörsaal und nehmen zum Schluss mit stolzgeschwellter Brust das Zertifikat entgegen, das ihnen die Teilnahme an der Kinder-Uni bescheinigt. Übrigens: Die begehrtesten Plätze bei der Kinder-Uni sind, manch ein Student wird sich wundern, nicht in der letzten, sondern in der ersten Reihe. Und während die Kinder vorne gebannt zuhören, wie Rolf Wüstenhagen anhand von Bildern und Symbolen den Klimawandel erklärt, werden die Eltern, die hinten sitzen, zum Studienobjekt von Yvette Sánchez und Edith Steiner: «Die Eltern gehen richtig mit und sind genauso gerührt wie wir selbst von der Freude und der Hingabe, mit der die Kinder an den Veranstaltungen teilnehmen.»

Unter dem Eindruck solcher Beobachtungen bleibt Sánchez dann auch beharrlich, wenn es darum geht, ihre Kolleginnen und Kollegen von einem Engagement an der Kinder-Uni zu überzeugen. Da sei angesichts des erheblichen Vorbereitungsaufwands meist einiges an Überzeugungsarbeit nötig, wie sie verrät, «aber wenn ich dann die Kollegen ein paar Monate lang beknie, dann kommt meist auch irgendwann die Zusage.» Marianne Hilf war diesbezüglich offenbar ein leichter Fall und ging trotz der intensiven und langen Vorbereitung nach ihrer Veranstaltung hochzufrieden aus dem Hörsaal: «Die Vorlesung hat auch mir unglaublichen Spass gemacht, ich war beglückt und innerlich erfüllt angesichts der Begeisterung und der positiven Reaktionen der Kinder.» Rolf Wüstenhagen ging es ähnlich – auch, wenn es dafür noch einen weiteren, ganz besonderen Grund gab: «Meine Tochter sass mit ihrer Klasse in der Vorlesung. Und in dieser Situation ist dann nicht nur die Tochter stolz auf ihren Papa, sondern der Papa ist natürlich auch ein bisschen stolz, dass er vor so vielen wissbegierigen Kindern eine solche Veranstaltung abhalten darf.»

Und was denkt der Nachwuchs?

Die Fragen wurden vor und nach Marianne Hilfs Vorlesung zum Thema «Räuber und Gendarm – wann wird Unrecht gestraft» gestellt.

Sandro, 8 Jahre alt, 4. Klasse, möchte Pilot werden:
«Ich war in diesem Jahr schon jedes Mal hier an der Uni und es hat immer sehr grossen Spass gemacht. Ich konnte auch immer etwas Neues lernen.»

Viktoria, 8 Jahre alt, 2. Klasse, möchte Polizistin und Hundeführerin werden:
«Ich möchte heute ganz viel lernen!»

Marvin (links), 10 Jahre alt, 4. Klasse, will Banker werden:
«Ich bin heute hier, weil ich mich für Räuber und Polizisten interessiere.»

Noah (rechts), 10 Jahre alt, 4. Klasse, will Zoodirektor werden:
«Ich bin hier, weil ich einmal etwas anderes sehen möchte als in der Schule sonst.»

Katrunada, 10 Jahre alt, 4. Klasse, will Kinderärztin werden:
«Ich bin so gespannt darauf, was die Professorin alles erzählen wird, und freue mich sehr.»


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