Neue Wege in St. Gallen

Genervt von den vielen Baustellen rund um die Universität St. Gallen machte sich unser Autor Jan-Gunther Gosselke auf den Weg nach einer Beschwerdemöglichkeit.

Gestresst von diversen Strassenarbeiten auf dem Weg zur prisma-Redaktion, zur Mensa, zum Bahnhof – eigentlich überall – habe ich mich, frei nach dem Motto «So kann ich nicht arbeiten», auf die Suche nach einer Möglichkeit mich zu beschweren gemacht. Gelandet bin ich schliesslich an der Lämmlisbrunnenstrasse 54, beim Tiefbauamt des Kantons St. Gallen, wo ich erfahre, dass man mir bei den meisten Beschwerden leider nicht weiterhelfen, aber sehr gerne einen Einblick in die Tätigkeiten geben könne. Mit Blick auf den für die nächste Ausgabe noch fälligen Artikel sage ich zu und finde mich im Büro von Urs Dahinden, Leiter der Abteilung «Strassen- und Kunstbauten», wieder.

Föderale Strassen und Laternen

Sogleich merke ich, dass ich mir mit etwas mehr Aufpassen in Bundesstaatsrecht den Umweg sparen und direkt zum richtigen Ansprechpartner hätte kommen können: «Bei uns ist es wie überall sonst auch: Es gilt der Föderalismus», teilt mir Dahinden mit. Die Autobahnen sind die Strassen des Bundes, werden aber im Auftrag und gegen Bezahlung von den kantonalen Tiefbauämtern gewartet. Eine Ebene darunter sind die Kantonsstrassen angesiedelt, die – man glaubt es kaum – ebenfalls in der Zuständigkeit der Kantone liegen. «Hier ist die Devise von Kanton zu Kanton verschieden. Bei uns in St. Gallen ist das Ziel, dass jede Gemeinde über eine Kantonsstrasse an die nächstgelegene Autobahn angebunden ist.» Das führe manchmal zu ziemlich seltsamen Strassenverläufen oder Abzweigungen, wenn zum Beispiel noch eine letzte Gemeinde mit nur 900 Einwohnern einen Zugang erhalten soll. Die Strassen in den Gemeinden hingegen werden von diesen selbst verwaltet, ausgenommen jene Teilstrecken, die wiederum zu Kantonsstrassen gehören. In der Stadt St. Gallen zählen die Langgasse, die Rorschacher Strasse und die Zürcher Strasse zu den wichtigsten Kantonsstrassen, da sie den Ausfallverkehr regeln. «Das ist allerdings dann Aufgabe der Verkehrsplanung, die der Abteilung ‹Zentrale Dienste› angehört», so Dahinden. Weiterhin gibt es noch andere Strassen, etwa in Richtung Appenzell. Insgesamt gilt bei Kantonsstrassen in Gemeinden jedoch eine Kostenteilung, da naturgemäss auch der Ort von einer solchen Strasse profitiert: Trottoirs etwa werden zu 35 Prozent von den Gemeinden und zu 65 Prozent vom Kanton bezahlt, bei der Beleuchtung übernimmt letzterer die Anschaffung, erstere den Betrieb. «Hier gibt es immer Diskussionen: Die Gemeinden wollen natürlich LEDs, die im Betrieb sparsamer sind, uns dafür aber in der Anschaffung mehr kosten.» Genaueres könne man in diversen Verordnungen nachlesen, doch damit wolle er mich jetzt nicht langweilen. Gerne aber könne er mir etwas zum Planungsprozess bei Kantonsstrassen erzählen – wenn ich sowieso schon hier bin, warum nicht?

Ausgeben nach Plan

Die grundsätzliche Planung erfolge dabei im Fünf-Jahres-Takt: «Es ist ja nicht einfach so, dass der Herr Dahinden morgens ins Büro kommt und überlegt ‹Wo bauen wir denn jetzt eine neue Kantonsstrasse?›, oder?». Zuerst können die Gemeinden und die Kantonspolizei (bei erfahrungsgemäss gefährlichen Verkehrsstellen), aber auch Private (etwa im Falle einer Anlieferungsstrasse) während eines laufenden Plans Wünsche beim kantonalen Tiefbauamt einreichen. Diese bis zu 700 Gesuche werden daraufhin um alle Duplikate, die entstehen, wenn benachbarte Gemeinden einen ähnlichen Wunsch einreichen, bereinigt, sodass etwa 200 bis 300 davon übrig bleiben. «Diese teilen wir in A- und B-Prioritäten ein. Denn unser Budget, das sich vor allem aus Teilen der Motorfahrzeugsteuer und dem Kraftstoffzoll zusammensetzt, ist jedes Jahr auf etwa 200 Millionen Franken begrenzt. Da können wir natürlich nicht alle Projekte umsetzen.» A-Prioritäten sind demnach wichtige Projekte, B-Prioritäten werden hingegen nur durchgeführt, wenn ein A-Projekt ausfällt. Die meisten Umbauten sind dabei kleinerer Art, etwa wird eine Kreuzung mit Lichtzeichenanlage in einen Kreisel umgewandelt. «Zudem haben wir noch einen Fonds, in den wir jedes Jahr etwas zurücklegen, um bei grossen Projekten darauf zurückgreifen zu können – so wie jetzt bei der Umfahrung im Toggenburg.» Ausserdem werde der Etat auch für kleinere Wartungsarbeiten und andere laufende Kosten verwendet.

Nach dem Plan die Umsetzung

Das Ergebnis der Priorisierung wird als Fünf-Jahres-Plan mit zeitlicher Einteilung an die entsprechende kantonale Kommission weitergeleitet, die es dem Kantonsrat zur Abstimmung unterbreitet. «Gelegentlich gibt es hier Probleme, weil einige Abgeordnete sich bei der Verwendung unserer Rücklagen aus dem Fonds sperren. Die sagen dann: ‹Wenn Ihr das Geld dieses Jahr dort und dort verwendet, dann ist für den nächsten Fünf-Jahres-Plan nicht genug für das Projekt bei uns vorhanden!›.» Meist werde aber dem Vorschlag des Tiefbauamts zugestimmt. Die Umsetzung der Projekte ist schliesslich ebenfalls relativ standardisiert: Zuerst wird ein sogenanntes Vorprojekt durchgeführt, in dem alle betroffenen Anspruchsgruppen um eine Stellungnahme gebeten werden. Ist eine für alle verträgliche Lösung gefunden, wird aus dem Vorprojekt ein Genehmigungsprojekt, wodurch das Projekt rechtlich «unumkehrbar» wird – alle ab nun stattfindenden Planungen würden sonst zu unsicher. Zuerst prüft die Rechtsabteilung alle relevanten Sachverhalte, danach werden gegebenenfalls benötigte Grundstücke erworben und zuletzt der Auftrag ausgeschrieben und umgesetzt.

Überrascht von dem nicht geringen Planungsaufwand bin ich nun am Ende meines Gesprächs mit Herrn Dahinden angekommen. Er ist seit 30 Jahren beim Tiefbauamt angestellt, zunächst als Tiefbauzeichner mit nachfolgender Ingenieursausbildung und später in leitender Position. Er weiss: So unkoordiniert die über die ganze Stadt verteilten Baustellen auch erscheinen mögen, zumindest hinter den Kantonsstrassen steckt eine ganze Menge Planungsaufwand und, man vermutet es erst nicht, ein Sinn.


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