Schweizer Waffenexporte: Verkaufen wir morgen die Neutralität?

Sturmgewehre und Pistolen, Aufklärungsdrohnen, Kriegssimulationssoftware, Panzer, Fliegerabwehrkanonen, oder militärische Trainingsflugzeuge – die Produktpalette der Schweizer Rüstungskonzerne ist vielfältig, ebenso wie ihre Abnehmer: Deutschland und Italien, die USA, Indien oder die Vereinigten Arabischen Emirate gehören zu den wichtigsten Käufern. Gesuche für Ausfuhren in die Länder Nordafrikas oder den Nahen und Mittleren Osten „bewilligt man zurückhaltend“, beziehungsweise untersagt sie, sofern in der betreffenden Region die Menschenrechte „systematisch und schwerwiegend verletzt werden“ . So will es die Kriegsmaterialverordnung – bisher.

Menschenrechte nicht in Stein meisseln

Der Nidwaldner CVP-Parlamentarier Paul Niederberger, und mit ihm eine Mehrheit von 26 Ständerätinnen und Ständeräten, möchte dies ändern. Seine Motion die „Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie beseitigen“ stiess bei bürgerlichen Vertretern der „chambre de reflexion“ auf rege Zustimmung. Auch der Nationalrat steht kurz vor der Abstimmung, die Sicherheitskommission empfiehlt mit 13 zu 9 Stimmen deren Annahme. Die brisante Forderung an den Bundesrat (der durchaus Handlungsbereitschaft signalisiert), die grünes Licht für Schweizer Waffenexporteure bedeuten würde: Die Motion will die Anforderung an die Einhaltung der Menschenrechte in Destinationsstaaten von Schweizer Kriegsmaterial aus dem Kriterienkatalog streichen.

Die Schweiz handhabe die Exportbewilligungen sehr restriktiv, so das Seco; seit einigen Jahren enthält die Kriegsmaterialverordnung explizite Ausschlusskriterien. Währenddem die meisten westeuropäischen Staaten Waffenlieferungen nach Ägypten und den Nahen Osten erlauben, gibt das Seco an, dass die entsprechenden Lieferungen aus der Schweiz sehr gering sind. Deutschland habe im Jahr 2009 beispielsweise Rüstungsgüterexporte nach Libyen im Wert von 53 Millionen Euro bewilligt, der Wert des Materials aus der Schweiz habe hingegen lediglich 6’500 Franken betragen. Fakt ist: 2011 wurde bekannt, dass in libyschen Bürgerkrieg mit Ruag-Munition geschossen wurde, die auf dem Umweg über Katar ins Land gekommen war. Käuferstaaten unterzeichnen zwar grundsätzlich, die Waffen aus der Schweiz nicht weiterzugeben – doch die realpolitischen Regeln des Krieges halten sich oft nicht an das Kleingedruckte auf Verträgen mit der Schweiz. Dass die Soldaten des pro-russischen Ex-Präsidenten der Ukraine einst mit Schweizer Waffen Protestierende auf dem Maidan erschiessen würden, konnte ja keiner ahnen.


Am Maidan wird scharf mit Schweizer Pistolen geschossen.

Aber auch der Bundesrat und das Seco sprechen mit gespaltener Zunge: 2009 beispielsweise – im Zuge der „restriktiven Auslegung“, mit der die Gsoa-Initiative zum Verbot von Kriegsmaterial-Exporten bekämpft wurde – sind Lieferungen nach Saudi-Arabien und Pakistan gestoppt worden; mit Ausnahme von Munition und früher bewilligten Aufträgen. Doch 2013 war Saudi-Arabien wieder der sechstgrösste Empfänger von Kriegsgütern „made in Switzerland“ und zahlte dafür 21.9 Millionen Franken, Pakistan wurde beispielsweise mit Gütern für eine Dreiviertelmillion beliefert. In beiden Ländern muss nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte angezweifelt werden – sie sind auch wirtschaftliche Drehscheiben und machtpolitische Epizentren der islamischen Welt. Auch im syrischen Bürgerkrieg, der schon Hunderttausende Todesopfer gefordert hat, wurden Schweizer Handgranaten gefunden – es wird vermutet, dass sie über die Arabischen Emirate, Jordanien oder die Türkei geliefert wurden. Alle drei Staaten stehen auf der Käuferliste der Schweizer Rüstungsindustrie.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten…

Hintergrund für die Motion – das gibt der Parlamentarier und Co-Präsident des „Arbeitskreises Sicherheit und Wehrtechnik“, einer Lobbyorganisation aus dem Dunstkreis der Rüstungsunternehmen, unverfroren zu – ist deren wirtschaftliche Situation. Die Exporte sanken 2013 um einen Drittel auf 461 Millionen Franken, die drei grössten Produzenten im Markt haben im vergangenen Jahr über 300 Stellenkürzungen angekündigt. Gemäss Niederberger sind das alarmierende Zeichen; die Schweiz verliert auf dem weltweiten Markt für Kriegsmaterial, dessen Volumen immerhin 80 Milliarden Franken entspricht, an Schlagkraft.

Es stellt sich zunächst die Frage, warum Produzenten von Schweizer Waffen überhaupt exportieren. Die Ruag, ein Unternehmen mit 7’700 Mitarbeitern, ist zwar in den Händen des Bundes, wird aber vollständig privatwirtschaftlich geführt. Die Marktlogik verlangt Wachstum, doch gerade das Armeebudget liess in den vergangenen zehn Jahren kaum Spielraum dafür. Entwicklungsinvestitionen machen nur Sinn, wenn die Stückzahl verkaufter Produkte hoch genug ist – und das ist nur durch Export möglich. Waffenexporte sind gemäss Bundesrat deshalb auch eng mit der „industriellen Kapazität für die Landesverteidigung“ verknüpft. Die Zukunft der Rüstungskonzerne steht und fällt mit dem Export. Die Ruag beispielsweise hat umfassende Kooperationen mit internationalen „Technologiepartnern“ wie Airbus, Bombardier, Dassault, Rheinmetall und Saab aufgebaut und verdient heute mehr als jeden zweiten Franken im Ausland. Internationale Konflikte versprechen bessere Geschäfte als die kleine Schweizer Verteidigungsarmee.

…ins rechte Licht rücken

Das Klagen ist dennoch nur teilweise gerechtfertigt: Die Ruag beispielsweise verzeichnete mit Ausnahme des Rezessionsjahres 2009 stets Millionengewinne, gerade Anfang dieser Woche erhielt sie einen an das Gripen-Geschäft gekoppelten Gegenauftrag. Der weltweit steigende Bedarf für hochmoderne Ausrüstung einerseits und die vielschichtigen Konflikte an vielen Fronten andererseits müssten den Waffenschmieden eigentlich in die Hände spielen. Vieles deutet darauf hin, dass die Industrie lediglich falsch kalkuliert hat und von den Umsatzrückgängen 2012 und 2013 kalt erwischt wurde – und sie jetzt politisch zu kaschieren versucht.

Zudem ist festzustellen, dass sich die globale Zusammensetzung von Verteidigungsbudgets ändern: Während europäische Staaten unter Spardruck sind, gehören asiatische Staaten zu den schnell wachsenden Nachfragern. Indien beispielsweise, 2012 der fünftgrösste Nachfrager von Schweizer Militärgütern, will in den nächsten Jahren 100 Milliarden Dollar in die Aufrüstung investieren. Die Entscheidung des Ständerates, Waffenexporte in Zukunft auch in jene Regionen zu erlauben, deren Ausgestaltung der Menschenrechte sich nicht mit dem europäischen Verständnis deckt, zielt deshalb ganz bewusst auf die Erschliessung dieser Märkte.

Gefährlich viel Macht

Die Tatsache, dass die Branche zwischen 2005 und 2011 so stark wuchs, sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie volkswirtschaftlich nahezu unbedeutend geblieben ist. Selbst im Rekordjahr 2011 – die gesamten Exportumsätze betrugen 874 Millionen Franken – blieb der Anteil der Rüstungsindustrie an den Exporten bei nur 0.42 Prozent. Eine Studie von BAK Basel stellt fest, dass 5’132 Stellen mit einem Durchschnittseinkommen von knapp 60’000 Franken pro Jahr vom Waffenexport abhängen. Bund, Kantone und Gemeinden nahmen aufgrund von Löhnen und Gewinnen ungefähr 44 Millionen Franken Steuern ein. Die vom Seco in Auftrag gegebene Studie kam zum Schluss, dass die Wertschöpfung selbst mit indirekten Effekten auf vor- und nachgelagerte Industrien nicht mehr als 0.09 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Was die Studie nicht beachtet ist die Tatsache, dass sich mit Rheinmetall Air Defence (bis 2008 Oerlikon Contraves) und General Dynamics (bis 2010 Mowag) zwei der vier grossen der Branche in deutscher beziehungsweise amerikanischer Hand befinden. Kurz: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Waffenexporten ist, ob mit oder ohne geforderter Lockerung, marginal.

Trotzdem übt die gut vernetzte Lobby einen erheblichen Druck auf Parlamente und die betroffenen Regionen aus. Paul Niederberger sieht insbesondere Schweizer Arbeitsplätze, Forschungsmöglichkeiten und wertvolles Fachwissen bedroht, wenn der Rüstungsindustrie nicht neue Perspektiven eröffnet werden. Eine Änderung des „zwingenden Ausschlusskriteriums der Menschenrechte“, wie sie derzeit in der Kriegsmaterialverordnung verlangt wird, würde dem Seco mehr Flexibilität bei der Beurteilung der Gesuche einräumen und den Handlungsspielraum der Waffenexporteure erhöhen.

Schweres Erbe von Waffenexporten

Die „flexible“ Handhabung von Waffenexporten hat in der Schweiz eine lange Tradition. Am umstrittensten ist die Rolle der Rüstungskonzerne während der heissen Phase des zweiten Weltkriegs: Waffen, Waffenbestandteile und Munition im Wert von 751 Millionen Franken (10.4 Prozent aller Exporte) wurden zwischen 1940 und 1944 aus der Schweiz geliefert. Zu diesem Schluss kam der Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (UEK).  84 Prozent gingen direkt an die Achsenmächte, 8 Prozent an die Alliierten und ebenfalls 8 Prozent an Staaten, die sich zwar militärisch der Neutralität verpflichteten, aber rüstungswirtschaftliche Beziehungen zu den nationalsozialistischen Regimes unterhielten und deshalb aus der Schweiz stammende Kriegsgüter weiterexportieren konnten.

Während die staatliche Rüstung vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem das Inland belieferte, erkannte die Schweizer Privatwirtschaft, allen voran Oerlikon Bührle, die wachsenden Kriegsgelüste von Berlin und Rom früh und setzte auf eine gute Vernetzung mit den Nationalsozialisten. Die musste man sich teuer erkaufen: Um die wachsende Nachfrage des kriegslustigen Deutschlands bedienen und die vielversprechenden Gewinne abschöpfen zu können, wurden horrende Provisionen und Schmiergelder bezahlt. Der unabhängige Bericht hält fest: Der Standortvorteil der Schweiz lag vor allem in der „fehlenden behördlichen Kontrolle von Herstellung und Vertrieb von Waffen und Munition“. Schlimmer noch: Nachdem Deutschland vor 1940 nicht bereit war, Schweizer Waffen zu kaufen, solange zugleich ein Mehrfaches der Produktion an die Alliierten geliefert wurde, setzten sich die Behörden in Bern massiv für ein Umlenken und eine „vermehrte Parität der Kriegsmaterialexporte“ ein. Die Profitgelüste der Industriellen liessen Unabhängigkeit und Neutralität verblassen.

Neutralität auf dem Prüfstand

Heute stellt der Bergier-Bericht fest: „Ohne diese Vorleistungen wäre das nationalsozialistische Deutschland nicht in derart kurzer Zeit in der Lage gewesen, einen gesamteuropäischen Konflikt zu entfesseln. (…)“ Natürlich kann das für Exportbewilligungen zuständige Gremium ex ante nie abschliessend beurteilen, ob durch die gelieferten Waffen Menschen getötet, unterdrückt oder sonst in ihren Rechten verletzt werden oder ein bewaffneter Konflikt einseitig beeinflusst wird – zumal das Beispiel Ukraine zeigt, dass die Unterscheidung in „gut“ und „böse“ heute weitaus ambivalenter ist als im 20. Jahrhundert. Nichtsdestotrotz: Der Einsatz von Schweizer Waffen in schwelenden Konflikten auf der ganzen Welt zeigt, dass bereits die bisherigen Regeln dem Anspruch einer friedensfördernden Strategie, wie sie in der Bundesverfassung skizziert ist, nicht gerecht werden. Diese nun noch zu lockern, bedeutet nichts anderes als der Ausverkauf der humanitären Tradition und der Neutralität.

Währenddem der Neutralitäts-Begriff unter anderem aufgrund von Entscheiden wie dem diskutierten zunehmend verstaubt, fahren die mächtigen Waffenexporteure grosses Geschütz auf. Neutralität und der unermüdliche Einsatz für waffenlose Konfliktlösung, für den uns die ganze Welt schätzt, werden geopfert auf dem Altar einiger weniger Firmen, die durch neue Gesetze künstlich aufgeblasen werden. Nachhaltig ist es bestimmt nicht, eine Industrie zu fördern, die langfristig nur durch Konflikt und Krieg überleben kann. Natürlich wollen die Rüstungsunternehmen ein möglichst grosses Stück vom wachsenden Kuchen – doch mit dem eingeschlagenen Weg können wir nur hoffen, daran nicht zu ersticken.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*