Ein Jahr lang von einem Höhepunkt zum nächsten

prisma besuchte Andreas Stockburger und Marc Schlegel, die Gründer von vibraa.com, einem Webshop für Lovetoys. Sie sprechen über ihren Weg mit dem eigenen Start-up und erklären, warum jeder ein «Entrepreneurial Year» machen sollte.

Anderthalb Stunden – so lange dauert es, bis man es mit der Ringlinie S4 in das beschauliche Flums im südlichen Teil des Kantons St. Gallen geschafft hat, neben Frankfurt und Freiburg einem der vielen Heimatorte des Start-ups Vibraa, einem Versandhändler von Lovetoys. Viel Zeit, um sich die Frage zu stellen, was ein Jungunternehmen in diese abgelegene Gegend verschlägt. Und viel  Zeit, um gedanklich eine ganze Menge Vorurteile über den Versand von Lovetoys sammeln zu können. Völlig unzutreffende Vorurteile, wie sich nach der sehnlich erwarteten Ankunft im Gespräch mit den beiden HSG-Alumni Marc Schlegel und Andreas Stockburger herausstellt. Die beiden haben mich hier nach Flums eingeladen, um prisma einen Einblick in ihre Zeit als Gründer von Vibraa zu geben.

Nach einem kurzen Fussmarsch beantwortet sich denn auch die Frage nach der Abgeschiedenheit, als ich das Haus von Marcs  Eltern betrete: «Wir wollten während der Gründung alle unnötigen Kosten vermeiden», merkt er dazu an und ergänzt, dass ihr initiales Investment gerade einmal 271 Euro betrug. Aus dem abgelegenen Wohnort ist inzwischen aber auch ein Pendeln zwischen Frankfurt und Freiburg, den Wohnorten der Freundinnen der beiden sowie eben Flums geworden.

Von der Prüfungsleistung zum Versandhändler

Dabei ist die Geschichte von Vibraa insgesamt eine durchaus globale: Nachdem die beiden sich beim gleichzeitigen Besuch eines gemeinsamen Freundes in Shanghai kennengelernt und länger über die Gründung eines Start-ups gewitzelt hatten, besuchte Andreas im Austausch in Rotterdam einen Kurs über die Gründung von Unternehmen und das Erstellen eines Geschäftsmodells. Marc, damals im Austausch in Budapest, amüsiert sich: «Ursprünglich haben wir uns auch für ein Unternehmen in diesem Bereich entschieden, weil wir wissen wollten, wie viel unser Professor mitmacht». Doch er und auch der Rest des Kurses nahmen die Idee positiv auf: «Wir hatten jeweils wöchentliche Präsentationen vorzubereiten, und nach einer Weile haben sich alle schon zu  Kursbeginn auf unsere Präsentation gefreut», ergänzt Andreas.

Corporate Jungle vs. Unternehmertum

Am Ende des Studiums angelangt, stellte sich die Frage: Was nun? Es winkte die Welt der Corporates mit Jobsicherheit, hohen Gehältern und durchaus interessanten Aufgaben. Auf der anderen Seite lächelte schüchtern die Idee des eigenen Unternehmens. «Normalerweise sagt man: Du brauchst ein gutes Team, eine gute Idee, und genügend Investitionskapital. Wir hatten kein ‹diverses› Team, die Idee eines Online-Versands für Lovetoys war nicht neu, und wirklich Geld hatten wir auch nicht.» Dennoch entschieden sich die beiden für das, was sie später Entrepreneurial Year taufen sollten: «Der Business Plan war da, und wann, wenn nicht jetzt, macht man so etwas mal?», so die Überlegung. Im schlimmsten Fall verlieren die beiden die Opportunitätskosten eines Jahresgehalts, im besten Fall haben sie ein funktionierendes Unternehmen aufgebaut und sind um viele Erfahrungen und  Begegnungen reicher.

Im Moment sind die Erfolgsaussichten nicht schlecht: Der Versand im deutschsprachigen Raum funktioniert und Andreas beschäftigt sich bereits mit weiteren Märkten. «Schnelles Lernen aus Fehlern, Off enheit für Kritik, der nötige Druck und eine optimistische Grundeinstellung» zählt er als entscheidende Faktoren auf dem Weg zum Erfolg auf. Die Trial-and-Error-Methode habe sich mittlerweile bewährt. «Wir sind zu Beginn sehr, nun ja, maskulin an die Sache herangegangen», schildert Marc. Schnell habe sich jedoch herausgestellt, dass die Mehrzahl der Kunden weiblich ist und dass dies entsprechend beim Design der Website sowie bei Wort- und Bildwahl zu berücksichtigen ist. Daher kommt im Übrigen auch der Begriff Lovetoys: «Unser erstes Feedback von den weiblichen Bekannten und Verwandten war, dass Sextoys viel zu aggressiv klingt», meint Andreas schmunzelnd.

Überhaupt war und ist Unwissenheit noch immer das grösste Problem der beiden: So war die Freude gross, als ein Artikel über Vibraa in der Zeitschrift «Joy» erscheinen sollte. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass die Zahl der dadurch erzeugten Kaufentscheide viel geringer war als erwartet. «Der Artikel im ‹Brand eins› hat hingegen viel mehr Käufe erzeugt», erzählt Andreas und führt das auf die höhere Kaufkraft der Leserschaft zurück. Auch Google Adwords habe sich nicht rentiert, da die sogenannte Conversion Rate von Besuchern zu Käufern zu niedrig sei. Allgemein ist Online-Marketing schwierig: «Mal ehrlich, wer liket denn einen Lovetoy-Verkäufer öffentlich?», so Andreas weiter. Langfristig sei das Ziel, über humorvolle Werbung mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Plaudern über Dildos und Penisringe

Aus dieser Unwissenheit zogen die Gründer ihre wichtigste Erkenntnis: «Wenn ich nochmal anfangen könnte, würde ich direkt mit Sales beginnen. Erst wenn du jemandem ein Produkt verkauft hast, lohnt es sich auch, dieses zu entwickeln», so ihre Devise. Viel schlimmer sei es, mit viel Aufwand und Investitionen etwas zu erschaffen, das am Ende niemanden interessiert. «Wenn du deine Produkte loswirst, dann weisst du automatisch, dass dein Konzept gut ist und sparst dir in der Entwicklung jede Menge Zeit, Geld und Nerven.» So liessen sich auch andere unangenehme Momente vermeiden: «Wir reden über Dildos und Penisringe wie ein Retailer über die nächste Milchlieferung», berichtet Marc und schildert, dass dies im Prototypen-Testing-und-Feedback-Prozess gelegentlich zu Irritationen bei Freunden und Familienmitgliedern führe.

Unsicherheit besteht indes nicht nur auf Kundenseite: Die beiden frischgebackenen Unternehmer haben keinen Chef, der ihnen Aufträge erteilt. Vielmehr sei es wichtig, die eigene Zeit gut zu planen und Aufgaben zu priorisieren. Druck, im positiven Sinne, ist wichtig. «Viele zaudern mit dem Anfang und reden immer nur übers Gründen. Mach es einfach!», empfiehlt Marc, «und such dir  schnell Leute, die dich unter Druck setzen.» Im Fall der Vibraa-Besitzer sind dies ganz verschiedene Menschen: Gleich zu Beginn starteten die beiden etwa einen Blog. Kommt dort zwei Wochen nichts, wird die Fan-Gemeinde unruhig, «Läuft’s bei euch noch oder habt ihr den Laden schon dicht gemacht?» heisst es dann oft. Auch die Familie und der Mentor sind den beiden eine hilfreiche Unterstützung.

Letzteren lernten die beiden wiederum an der  HSG kennen. Nach einer Präsentation ihres Startups im Rahmen des Executive-MBA-Programms wollte dieser sogleich in Vibraa investieren. Die beiden lehnten dankend ab: «Wir wollen doch nicht die Hälfte des Tages für einen Investor arbeiten.» Doch es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, mittlerweile hat der Geschäftsmann die Rolle des kritischen Reflektors übernommen. «Er fordert uns heraus und hinterfragt unsere Entscheidungen», umschreibt Marc seine Funktion. So rege er die beiden zum Nachdenken und Lernen an, einem der wichtigsten Aspekte während des Aufbaus, wie Marc betont.

Jeder sollte ein Entrepreneurial Year machen

«Jederzeit!» antworten die beiden schliesslich auf die obligatorische Frage, ob sie wieder ein Entrepreneurial Year machen würden. Die unglaublich steile Lernkurve, der Beweis, eine Vielzahl vielfältiger Probleme lösen zu können und die eigene Effektivität zu spüren, das Adrenalin der Ungewissheit und das Gefühl beim Einstellen der ersten Mitarbeiterin – all dies seien Aspekte, die unabhängig vom Erfolg von Vibraa blieben. «Und selbst wenn mich irgendwann die Welt der Konzerne lockt, all dies bietet mir eine wunderbare Story für ein Bewerbungsgespräch», schliesst Andreas unser Gespräch – und weist noch darauf hin, dass die beiden Gründer schon das nächste Projekt in der Schublade haben.


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