In Asien, Afrika, Lateinamerika und selbst in Australien ist ihr Konsum weit verbreitet, doch uns «Westlern» bleibt das Essen von knackigen Heuschrecken und proteinreichen Würmern verwehrt. Noch. prisma traf sich mit dem St. Galler Start-up essento, welches kulturelle und politische Hürden überwinden möchte.
Hast du schon einmal Kartoffeln gegessen? Was heute in einem Land, dessen tiefster Graben durch einen Fladen aus geriebenen Kartoffeln verläuft, nur noch eine rhetorische Frage ist, war nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Als Friedrich der Grosse die Erdknollen aus den Anden als Lösung zur Bekämpfung des Hungerproblems in seinem Reich anpries, stiess er damit auf taube Ohren. Obwohl – oder gerade weil – der preussische König sie kostenlos verteilte, verschmähte die Landbevölkerung die Kartoffel anfänglich. «Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.» Erst mit «Kartoffelbefehlen» und einem psychologischen Trick konnte Friedrich das Knollengemüse etablieren: Er liess Kartoffelfelder von Soldaten bewachen, um das Volk so vom hohen Wert der Pflanzen aus Übersee zu überzeugen.
Diese Anekdote soll nicht (zwingend) suggerieren, dass unser «Ueli» mit der «besten Armee der Welt» in Zukunft Insektenzuchten bewachen soll, aber zumindest unsere kulturellen Vorurteile gegenüber Insekten sollten wir kritisch hinterfragen. Unser Nationalprodukt Käse besteht aus saurer Muttermilch, welche zusätzlich mit Bakterien angereichert wurde; das «Erbrochene» von Bienen schmieren wir uns aufs Brot – aber Insekten zu essen, nein, sowas geht nach landläufiger Meinung gar nicht. Dabei gäbe es eine ganze Reihe von Gründen, warum wir auch im Westen der Entomophagie – der Ernährung mit Insekten – Tür und Magen öffnen sollten.
Das Grundnahrungsmittel mit der «quadruple bottom line»
Gesundheit: Unsere «Fleischgesellschaft» konsumiert zu viele Omega-6-Fettsäuren und erhöht damit das Risiko von Herzerkrankungen und Krebs. Insekten beinhalten jene wertvollen tierischen Proteine, die Tofu beispielsweise nicht bieten kann und unterstützen gleichzeitig ein gesundes Omega-Fettsäuren-Verhältnis.
Umwelt: 13 Millionen Hektaren des tropischen Regenwaldes werden jedes Jahr abgeholzt. Wofür? Um Soja anzubauen, mit dem Kühe gefüttert werden. Für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch werden ungefähr acht Kilo Futter benötigt – für Insekten maximal zwei Kilo. Auch gemessen an Platzmenge, Wasser und prozentualer Nutzbarkeit der Körpermasse sind Insekten um einiges effizienter als unsere heutigen Proteinquellen.
Klima: Die Landwirtschaft macht einen beträchtlichen Teil der menschlichen Treibhausgasemissionen aus. Rindfleisch ist besonders klimaschädlich, weil Kühe wahre Methanfabriken sind. Insekten furzen massiv weniger.
Vielfalt: Insekten existieren in einer enormen Vielfalt an Formen, Farben und Geschmäckern. Ob Heuschrecken, Käfer, Würmer oder Ameisen – bis heute sind rund 1’900 verschiedene Insekten bekannt, welche sich zum menschlichen Verzehr eignen.
Aufgrund dieser Vorteile empfiehlt die UNO den Insektenkonsum und auch in Bundesbern spricht sich der Nutzen der kleinen Tiere langsam aber sicher herum. Die GLP-Nationalrätin Isabelle Chevalley reichte Ende 2013 eine Interpellation ein, welche den Bundesrat fragt, wieso der Verzehr von Insekten verboten sei und ob er bereit wäre, dem Parlament eine Gesetzesänderungen zu unterbreiten. Die Regierung hielt daraufhin zwar fest, dass der Konsum von Insekten in der Schweiz erlaubt ist, der Verkauf aber aufgrund fehlender Testdaten und gesundheitlicher Risiken weiterhin verboten bleiben soll. Chevalley war von dieser Antwort nicht überzeugt und hat darauf mit essento einen Insekten-Apéro für die Parlamentarier organisiert.

Das Thema auf den Tisch bringen
Die HSG-Studenten Christian Bärtsch und Matthias Grawehr sind zwei der drei Köpfe hinter essento. Beide haben den Bachelor in der Tasche; und während Christian den MEcon in Angriff nimmt, widmet sich Matthias voll und ganz dem Insekten-Business und der eigenen Zucht. Das Ziel: Insekten einem möglichst breiten Publikum schmackhaft zu machen. Wir treffen uns zum Mittagessen und setzen uns mit unseren Focaccias – noch ohne Insekten – für ein entspanntes Interview an die Sonne.
Das Thema Insektennahrung ist für die meisten Menschen Neuland. Wie seid ihr dazu gekommen, ein Start-up in diesem Bereich zu gründen?Matthias: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und wurde durch das Studium der Internationalen Beziehungen für das Thema Ressourcenknappheit sensibilisiert. Auf Insekten als Nahrungsquelle wurde ich erst im letzten Frühling aufmerksam. Als ich feststellte, dass in diesem Bereich noch nicht viel geht, präsentierte ich die Idee an einem ETH-Seminar und fand dadurch Mitstreiter. In der Folge entschieden wir uns, am Wettbewerb Innovate4Climate teilzunehmen, und haben gleich gewonnen. Dieser Sieg gab uns Motivation und das Startkapital «to walk the talk», obwohl es sich auch in unseren Ohren manchmal etwas verrückt anhört, was wir tun. Auf einmal ist man in seinem Umfeld als «Insektenmensch» bekannt, dabei hatten wir bis vor einem Jahr noch gar nichts mit dem Thema zu tun und auch uns kostete es anfangs Überwindung, Insekten zu essen. Kakerlaken habe ich bis heute nicht gekostet.
Christian: Es ist allerdings auch eine grosse Chance für uns. Seit wir uns als «Insektentypen» exponierten, haben wir enorm viel Feedback erhalten. Natürlich gibt es auch jene, die sagen: «Ey Jungs, ez bremsed mal.» Aber ganz viele unterstützen uns und bieten ihre Hilfe an.
Jetzt züchtet ihr bereits Insekten, der Bundesrat will jedoch weiterhin am Verkaufsverbot festhalten. Wie enttäuscht seid ihr?Christian: Ich glaube, das Wichtigste ist vorderhand, dass der Bundesrat klar festgehalten halt, dass zumindest der Konsum von Insekten legal ist.
Matthias: Des Weiteren hat unser Insektenapéro im Bundeshaus viele Politiker für das Thema sensibilisiert. Wir waren wirklich positiv überrascht, wie viele der Parlamentarier, über alle politischen Lager hinweg, unseren Mehlwurm-Burger probieren wollten. Das führte zu sehr interessanten Gesprächen.
Christian: Genau, Frau Chevalley hat unterdessen bereits zwei weitere Interpellationen bezüglich Entomophagie eingereicht. Diese wurden von 63 bzw. 68 Volksvertretern mitunterzeichnet, das ist ein Drittel des Parlaments! (Update: Auf die erste Interpellation hat der BR am 14. Mai geantwortet.) Es ist also definitiv etwas in Bewegung, auch wenn die Legalisierung wohl eher stufenweise geschehen wird.
Wie sähe euer Geschäftsmodell denn aus, wenn der Verkauf legalisiert wäre?Christian: Wir wollen qualitativ hochwertige, lokal gezüchtete Insekten in der Schweiz etablieren. Hier in der Focacceria könnte man zum Beispiel eine Focaccia mit unseren Mehlwürmern anbieten, warum auch nicht? Nachhaltigkeit ist nicht nur ein leeres Schlagwort. Schon heute arbeiten wir zusammen mit Bio Suisse oder auch Tierethikern, um eine Produktion im Sinne aller Stakeholder zu ermöglichen.
Was macht ihr in der Zwischenzeit, strebt ihr eine Sonderbewilligung an?Matthias: Für einzelne Events haben wir schon Bewilligungen beantragt. Das kostet allerdings jedes Mal rund 500 Franken. Der Aufwand für die Bewilligung eines Markttests liegt sogar im fünfstelligen Bereich. Daher legen wir unseren Fokus derzeit darauf, die rechtlichen Schranken auf kreative, aber legale Weise zu umgehen und eine Community von Interessierten aufzubauen.
Das heisst?Christian: Einerseits entwickeln wir zusammen mit einem Industrie-Designer eine Box zur Zucht von Mehlwürmern, mit der interessierte Kunden ihren Eigenkonsum abdecken können. Den ersten Prototypen wollen wir bis Ende Mai fertig haben und wenn alles nach Plan verläuft, sollte die Box Ende Jahr marktfähig sein. Andererseits klären wir auch die rechtliche Situation für einen entomophagischen Verein ab, der sich über Mitgliederbeiträge finanziert und deren Beteiligte Insekten aus unserer Zucht essen können.
Noch verdient ihr mit essento kein Geld. Woher nehmt ihr die Motivation für eure Arbeit?Matthias: Was uns antreibt, ist der Teamgeist und unsere gemeinsame Vision. Zumindest auf der Erfahrungsebene ist unsere Arbeit auch schon heute unglaublich gewinnbringend, weil wir in Kontakt mit so vielen Themenbereichen und Personen kommen: vom Spitzenkoch über den ETH-Professor bis hin zum Pater. Da wir in einem völlig neuen Markt operieren, haben wir auch viele Freiheiten und können mitbestimmen, was in Zukunft Standard sein wird. Zum Beispiel, welcher Wein zu Insekten getrunken wird.
Christian: Ich meine, wir haben heute gut gegessen, sitzen an der Sonne und diskutieren eines meiner Lieblingsthemen, das fühlt sich für mich gar nicht wie Arbeit an. Wer sich mehr für Geld interessiert, der ist bei einer Bank oder einer Versicherung besser aufgehoben. Unternehmer muss man mit Herzblut sein.
Mehr Informationen über das Start-up findest du auf essento.ch oder facebook.com/essento.