WG-Partys gehören zum Studentenleben wie die Olma-Bratwurst zu St. Gallen. Doch nicht alle sind glücklich über die feuchtfröhlichen Feiern. Es öffnet sich ein Graben von Unverständnis zwischen den Beteiligten.
Mittwochabend. Es ist kurz vor Mitternacht. In der Notkerstrasse zeichnet sich ein vertrautes Bild. Weit über hundert Studenten tummeln sich auf den Strassen, trinken, grölen, rauchen oder diskutieren in die schwarze Nacht hinein. Unvermittelt wird die Szenerie von einem Blaulicht gestört. Die Polizei ist mit sechs Beamten angerückt. Sie wurde von Nachbarn gerufen, die wegen des Lärms offenbar nicht zur Ruhe kamen, und bemüht sich nun, die übermütigen HSGler vom Platz zu verweisen und die Party zu beenden. Nach über einer Stunde hat sie schliesslich auch den letzten Partylöwen zum Weiterziehen in Richtung der St. Galler Nachtclubs bewegt.
Bis zu acht Polizeieinsätze monatlich
Die Notkerparty ist wohl eine der berüchtigtsten Vertreterinnen unter den Studentenpartys. Doch nicht nur diese sorgt bei den Anwohnern regelmässig für Ärger und Polizeieinsätze. Nach Angaben der Stadtpolizei muss sie jeden Monat zwischen vier und acht Mal aufgrund von Lärmklagen wegen Studentenpartys ausrücken, Tendenz steigend. Grössere Partys sind nach Ausführungen der Polizei eher selten, doch sind auch schon welche mit 70 bis 200 anwesenden Personen aufgelöst worden. In St. Gallen gilt ab 22.00 Uhr die Nachtruhe und somit «Zimmerlautstärke». Übertretungen werden mit 60 Franken gebüsst. Woher die Lärmmeldungen genau kommen, bleibt meist unbekannt.
Nebst den allseits bekannten Lärmproblemen weist die besorgte Polizei auch auf weitere Gefahren hin. So sei vor allem bei Balkonen grosse Vorsicht geboten. Diese halten nur einem begrenzten Gewicht stand und bei einem Einsturz gefährde man Leib und Leben. Zudem gebe es feuerpolizeiliche Regelungen zu Grösse und Anzahl von Notausgängen.
Brüllaffen als Botschafter der Universität?
Offenbar fühlt sich auch die Universität in die Fürsorgepflicht genommen, die Studenten über solche Risiken aufzuklären. Ulrike Landfester weist als Prorektorin darauf hin, dass sich in einer Wohnung nicht beliebig viele Leute aufhalten sollten. Für sie sei in diesem Bereich eine Bewusstseinsbildung entscheidend – den moralischen Zeigefinger wolle sie aber nicht erheben. «Vernünftige Wahloptionen brauchen nun mal ein Vorwissen über alle möglichen Auswirkungen», fügt sie hinzu. Sie weist explizit darauf hin, dass sie nicht moralisieren will und es jedem selbst überlassen sei, die Risiken situationsgerecht einzuschätzen. Doch seien leider auch schon lebensgefährliche Unfälle vorgekommen, was sich keiner der Beteiligten wünsche.
Weiter erwähnt Landfester in diesem Zusammenhang, dass wir als HSG-Studenten Botschafter einer Marke sind. Die Studentinnen und Studenten müssten sich bewusst sein, dass sie als Teil der Uni wahrgenommen würden und die wenigen unvorsichtigen «Brüllaffen» ein enormes Schadenspotenzial hätten. Die Universität habe einen renommierten Ruf, der aber nicht in Stein gemeisselt sei. Für die regionale Zusammenarbeit mit der Stadt- sowie Kantonsverwaltung und privaten Partnern seien das Verhalten der Studenten und der Ruf ihrer Uni vermutlich wichtiger als ihnen lieb sei. Man sei um eine interessensgerechte Umsetzung von Projekten bemüht und auf eine gute Stimmung zu- und untereinander angewiesen.
HSG-Partygänger sind die Sündenböcke
Mahnende Worte seitens offizieller Stellen also. Doch wie nehmen die Studenten selber das Problem wahr? Interessant ist, dass die aufgelösten Partys an allen Wochentagen und nicht nur am studententypischen Mittwoch stattfinden. Das zumindest berichtet die Stadtpolizei. Vermutlich sind also nicht nur wir HSGler die Übeltäter, sondern werden stellvertretend für ein gesamtgesellschaftliches Phänomen als leicht abgrenzbare Sündenböcke zur Rechenschaft gezogen. Die Studenten selbst zeigen gemischte Reaktionen. «Hier zeigt sich wieder einmal, was für eine Bande von Spiessern sich in St. Gallen tummelt», meint ein Kommilitone trocken. «Dass es so viele Studentenpartys gibt, wundert mich nicht», so ein weiterer Student. Schliesslich gebe es im St. Galler Nachtleben nur spärlich Angebote. Elephant oder Backstage seien eben nicht jedermanns Sache und die meisten Bars würden bereits vor Mitternacht schliessen. «Ich verstehe die erbosten Nachbarn bis zu einem gewissen Punkt schon, aber in St. Gallen ist sicherlich auch sehr schnell die Polizei vor Ort. Aber ich denke, dies liegt eher in der generellen Deutschschweizer Mentalität», entgegnet ein anderer.
Dringender Handlungsbedarf
Ein zentrales Problem scheint die mangelnde Kommunikation auf beiden Seiten zu sein, die zu einem wachsenden Unverständnis geführt hat. Auf Seiten der Studenten sollte vor und während einer Feier Rücksicht auf die Nachbarn und Anwohner genommen werden. Entschuldigt man sich bereits im Voraus für mögliche Unannehmlichkeiten, entgeht man einer Lärmklage in eleganter Weise; zumindest in einigen Fällen. Den Nachbarn eine Flasche Wein oder ein wenig Schokolade vorbeizubringen, hat sich schon öfter ausbezahlt und fördert den Hausfrieden.
Auf Seiten der Anwohner kann und sollte aber auch eine gewisse Kulanz vorhanden sein. St. Gallen ist nun einmal eine Studentenstadt, jedenfalls unter der Woche, und von der Wertschöpfung der Uni profitiert die ganze Region. Anstelle des Anrufs bei der Polizei könnte man sich beispielsweise Ohrstöpsel kaufen und sich ein, zwei Gläser des geschenkten Weins gönnen; an kaum einer Adresse wird ja jeden Tag bis tief in die Nacht hineingefeiert. Auch die Universität selbst sollte bei ihren mahnenden Worten nicht vergessen, dass die Marke HSG auch von einem vielseitigen Nachtleben der Studenten profitiert und insbesondere auf Maturanden eine gewisse Anziehungskraft ausübt. Zudem darf man Lärmverbote in einer liberalen Gesellschaft nicht auf die Spitze treiben. Wichtig ist eine gewisse Verhältnismässigkeit und Toleranz der Individuen untereinander.
Würden sich die Konfliktparteien auf kommunikative Lösungen und eine Deeskalation der Problematik konzentrieren, könnte sich auch die Polizei in Zukunft wieder wichtigeren Dingen als dem Auflösen von Studentenpartys widmen.