Studenten und Dozenten an der HSG sind sich einig: Die jetzige Qualitätsentwicklung an der HSG verkommt zur Farce. Baustellen gibt es an verschiedenen Fronten.
Welcher HSG-Student kennt sie nicht – die Fragebögen der Stelle für Qualitätsentwicklung, die allen kurz vor Semesterende vorgelegt werden? Meistens werden die Studenten aufgefordert, die Bögen in der Pause auszufüllen oder man widmet die letzten fünf Minuten der Vorlesung dieser Aufgabe. Dann gilt es, schnellstmöglich die Kreuze in die fünf Kolonnen von sehr gut bis ungenügend zu setzten und wenn möglich noch kurz einen schriftlichen Kommentar zur Veranstaltung abzugeben, bevor man sich auf den Weg nach Hause macht. Das ist der Teil der Qualitätsentwicklung an der HSG, den alle Studenten, die regelmässig Vorlesungen besuchen, erleben.
Qualitätsentwicklung als «Affenveranstaltung»
prisma hat bei Studenten nachgefragt, nach welchen Kriterien sie die Bögen und die Qualität der Dozenten und Veranstaltungen bewerten. Dabei erhielt man wenig überraschende Angaben: Faire Notengebung, Arbeitsaufwand, Unterhaltsamkeit und auch das Engagement des Dozierenden. Wird nachgehakt, ob auch spezifische Kommentare zur Verbesserung des Unterrichts gemacht worden seien, erntet man tadelnde bis höhnische Blicke: «Nein. Das bringt jetzt nichts mehr. Verändert wird ja doch nichts und im Ausnahmefall erst im nächsten Jahr, dann hilft es uns aber nicht mehr», sagt ein Student, der anonym bleiben will.
Überraschender ist da schon, dass selbst Dozenten eine kritische bis ablehnende Haltung gegenüber der jetzigen Qualitätsentwicklung an der HSG einnehmen. Hier muss angefügt werden, dass längst nicht alle Dozenten sich dazu bereiterklären, Fragen zur Brauchbarkeit der Qualitätsentwicklung an der HSG zu beantworten und auch diejenigen nur unter der Bedingung, anonym zitiert zu werden. Ist diese Voraussetzung erstmal erfüllt, kommt der Stein so richtig ins Rollen und die Meinungen reichen von «nicht zweckmässig» bis zu «Affenveranstaltung». Wie kommt es, dass sowohl Studenten als auch Dozenten der jetzigen Praxis der Qualitätsentwicklung ablehnend gegenüber eingestellt sind, sich diese aber dennoch nicht grundlegend ändert?
Entwicklungssystem auf zwei Ebenen
Um dieser Frage auf den Grund gehen können, müssen zuerst zwei grundlegende Fragen beantwortet werden: Warum wird Qualitätsentwicklung betrieben und wie funktioniert diese an der HSG? Zumindest die erste der beiden Fragen erscheint zunächst rhetorisch, entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als nicht ganz so offensichtlich. In den Leitlinien der HSG wird die Zielsetzung der Qualitätsentwicklung folgendermassen beschrieben: «Qualitätsentwicklung dient der Stärkung und Weiterentwicklung eines nach internationalen Massstäben hohen Standards der Qualität von Lehre, Forschung, Dienstleistung, Management und Verwaltung.» Um diese Ziele im Bereich Lehre zu erreichen, gibt es an der HSG ein System auf zwei Ebenen. Auf der strategischen Ebene ist der Delegierte für Qualitätsentwicklung, Professor Dieter Euler, dafür verantwortlich, welche Programme evaluiert werden und wie mit negativen Resultaten umgegangen wird. Auf operativer Ebene ist die Stelle für Qualitätsentwicklung unter der Leitung von Peter Lindstrom für die Erfassung und Auswertung der Daten verantwortlich.
Reputation im Vordergrund
Was viele Studenten aber nicht wissen, ist, dass die Fragenbögen, die sie auszufüllen haben, nur einer von mehreren Bausteinen im Bauwerk der Qualitätsentwicklung darstellt und dabei wohl nicht einmal der Wichtigste: «Unser primäres Ziel ist es, mit den Evaluationsbögen mehr Transparenz zu schaffen, um die Qualität der Lehre sicherzustellen», erklärt Peter Lindstrom. Dabei sei man sich bewusst, dass die Fragebögen nicht vollkommen sind. «Aber sie sind schwarz auf weiss, ein Anhaltspunkt für Gespräche mit den Dozierenden.» Die weiteren Bausteine der Qualitätsentwicklung sind Peer Reviews, Fokusgruppen, Alumni-Befragungen und Akkreditierungen.
Den Akkreditierungen gilt dabei ein spezielles Augenmerk. «Akkreditierungen sind ein sehr mächtiges Element», sagt Dieter Euler. Bei Akkreditierungen geht es darum, sich von einer externen Organisation eine gewisse Qualität bescheinigen zu lassen. Diese Akkreditierungen sind freiwillig, kostenpflichtig und dienen als qualitatives Gütersiegel für Universitäten und fördern ihre Reputation. So war die HSG die erste deutschsprachige Universität, die sowohl von der amerikanischen Association to Advance Collegiate Schools of Business (AACSB) und dem European Quality Improvement System (Equis) akkreditiert wurde. Hier gilt festzuhalten, dass Qualitätsentwicklung nicht nur zum Zwecke der Verbesserung der Lehre, sondern auch als Reputationsgründen betrieben wird.
Keine Professorenrankings
Mit diesen Informationen als Hintergrundwissen wird es einfacher zu erörtern, wieso sowohl Studenten als auch Dozenten gegenüber der Qualitätsentwicklung kritisch eingestellt sind. Augenfällig wird vor allem, dass die Kritikpunkte nicht dieselben sind. «Diese Evaluationsbögen helfen mir überhaupt nicht, mich zu verbessern», sagt ein Dozent, der anonym bleiben will. Eine Nummer von eins bis fünf helfe ihm nicht, seinen Unterricht zu verbessern, ausserdem werde er in der Kommentarspalte verung- limpft und dann auch noch so auf Studynet an den Pranger gestellt. «Die Asymmetrie zwischen den Evaluierenden und den Evaluierten ist ein grosses Problem.»
Asymmetrie ist eine Thematik, die auch die Studenten beschäftigt. Ein Student, der ungenügende Leistungen bringt, muss die Universität verlassen, bei Dozenten ist die Angelegenheit um einiges komplizierter. Hauptkritikpunkt ist die Vermutung, dass negative Kursevaluation gar nicht oder erst (zu) spät ernst genommen werden. Ist diese Kritik berechtigt? «Wir nehmen die Rückmeldungen der Studenten sehr ernst», sagt Dieter Euler. Erhalte man vermehrt die Rückmeldung, dass eine Veranstaltung nicht optimal funktioniere, werde das Gespräch zum Dozenten gesucht, wobei es am Dozenten sei, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Das Ganze geschehe unter dem Grundsatz der Qualitätsentwicklung, im Gegensatz zur Qualitätskontrolle, die man sonst aus der Wirtschaft kenne. «Deshalb gibt es an der HSG auch keine Professorenrankings», so Euler. Rankings seinen ein Sanktionierungsinstrument und würden nicht dazu führen, dass sich die Situation verbessere.
Lehre als Muss
Unabhängig davon, ob Rankings einen positiven oder negativen Effekt auf die Qualität an der HSG haben würden, stellt sich natürlich die Frage, welchen Anreiz Dozenten in Abwesenheit eines Kontrollsystems haben, eine qualitativ gute Lehre anzubieten. Die ehrlichen Antworten von Dozenten lassen in den Ohren eines Studenten alle Alarmglocken läuten: «Eigentlich haben wir einen Anreiz, möglichst wenig in die Lehre zu investieren. Schliesslich werden wir aufgrund unserer Forschungsergebnissen und nicht der Lehre angestellt», sagt eine Professorin, die anonym bleiben will. «Hat man erstmal einen Lehrstuhl inne, kann einem Weigentlich nichts mehr passieren», so ein anderer.
Damit kommt ein weiterer Punkt zur Sprache, der aufgrund asymmetrischer Machtverhältnisse einen negativen Einfluss auf die Qualitätsentwicklung an der HSG hat. Die Anstellungsverhältnisse der Dozierenden sind längst nicht alle gleich. So wird alle acht Jahre über die Weiterführung eines Anstellungsverhältnisses eines Professors entschieden, der einen Lehrstuhl inne hat. Im Gegensatz dazu sind Lehrbeauftragte je nach Gutdünken der Programmleiter auf Ende des Semesters hin ersetzbar. Das führt dazu, dass Lehrbeauftragte viel stärker von den Evaluationen der Studenten abhängig sind, da sie im Falle von negativen Rückmeldungen um ihren Job bangen müssen. Eine solche Konstellation im System führt zu Extremsituationen, wie sie Studenten letztes Semester in Kontextveranstaltungen erfahren haben, als Lehrbeauftragte vor dem Ausfüllen der Qualitätsevaluationsbögen eine Werbepräsentation für sich hielten, um den Studenten in Erinnerung zu rufen, dass sie von ihnen unterstützt worden seien, oder sie aufforderten, nett zu sein, da ihr Job davon abhinge.
Anreiz zur Noteninflation
Ein Blick auf die empirischen Daten zeigt, dass Kontext- und Pflichtwahlveranstaltungen an der HSG im Schnitt besser bewerten werden als Pflichtveranstaltungen. Das sei aber nicht weiter erstaunlich, erklärt Peter Lindstrom. So würden im Schnitt grössere Veranstaltungen auch leicht schlechter bewertet als kleinere; und quantitative schlechter als qualitative. Problematisch wird es schon eher, wenn untersucht werden muss, ob schlechte Ergebnisse auf die Struktur der Veranstaltung oder auf den Do- zenten zurückzuführen sind. Das hängt laut mehreren übereinstimmenden anonymen Dozentenaussagen sehr stark von der Stellung des Dozenten ab: «Bei einem mächtigen Professor wird viel eher ein Auge zugedrückt», berichtet ein weiterer Dozent.
Tatsache ist, dass Lehrbeauftragte daher einen grossen Anreiz haben, Noteninflation zu betreiben und mit den Studenten einen impliziten Waffenstillstand zu vereinbaren. Ist die Veranstaltung einfach zu bestehen und fallen die Noten gut aus, zeigen sich Studenten auch in der Evaluation der Veranstaltung erkenntlich. So wurde auch letztes Semester ein Doktorand – auch er will anonym bleiben – von seinem Vorgesetzten im Institut angewiesen, die Prüfung für eine von ihm durchgeführte Pflichtwahlveranstaltung nicht zu schwierig zu gestalten, da sich das negativ auf die Evaluation auswirken würde.
Doktoranden haben Freipass
Mit dem zur Sprache kommen von Doktoranden, fällt der Blick sogleich auf einen letzten heiklen Punkt im Qualitätsmanagement der HSG: So ist es laut Aussagen von Doktoranden in den letzten Jahren vermehrt zur Praxis geworden, dass sie Ergänzungsleistungen, die sie während des Studiums zu bestehen haben, faktisch gar nicht mehr bestehen müssen: «Die Professoren der verschiedenen Institute winken Doktoranden bei mündlichen Prüfungen gegenseitig durch, selbst wenn man offen zugibt, nicht gelernt zu haben», so ein Doktorand. Der Aufwand, einen neuen Doktoranden zu finden, sei viel zu gross, um wegen Ergänzungsleistungen ein grosses Theater zu veranstalten. Dieter Euler scheint diese Entwicklung nicht wirklich zu beunruhigen: «Es ist nicht sinnvoll, das Kontextstudium als Selektionskriterium zu verwenden.»
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass an der HSG viele Baustellen im Bereich der Qualitätsentwicklung offensichtlich sind. Nicht nur Studenten, auch Dozenten üben Kritik am System. Aufgrund der Asymmetrien im System sitzen die Verantwortlichen für die Qualitätsentwicklung aber deutlich am längeren Hebel. Um das Ruder herumreissen zu können, braucht es viel guten Willen und Fähigkeit zur Selbstkritik. Sonst heisst es auch in Zukunft: Vollgas im Leerlauf.
Illustration: Deborah Maya Beeler