Wenn die Zeit knapp, der Druck hoch und der gerne zu Ritalin und anderen Lerndrogen. Doch was hat es mit dem Zeug eigentlich auf sich?
Es steht nicht zur Debatte, dass uns die Universität mit den ganzen Arbeiten, Präsentationen und Lernphasen regelrechte Berge an Arbeit vor die Nase setzt und das Gefühl der Überforderung den meisten nicht unbekannt ist. Darum verwundert es auch nicht, dass sich der eine oder andere in schwierigen Phasen nach gewissen Hilfsmitteln umsieht. Diese können vielfältige Formen annehmen: Kaffee als Wachmacher, Alkohol zur Ablenkung oder Sport als Stressventil. Für manche sind jedoch auch künstliche, illegale Stoffe zur Leistungssteigerung eine Alternative. Wer die chemische Keule wählt, wird um den Begriff Ritalin nur schwerlich herumkommen. Dennoch ist die Batterie an leistungssteigernden Präparaten mit Modafinil, Aderall, Kokain, Antidepressiva, Amphetaminen und vielen weiteren Substanzen ziemlich lang. Diese als «smart drugs» oder «neuro enhancer» bekannten Stoffe sollen die geistige Leistungsfähigkeit erhöhen, indem sie mit ihren Wirkstoffen in den empfindlichen Stoffhaushalt des Hirns eingreifen und so zu Performanceverbesserungen unseres Denkorgans führen.
Tunnelblick aus der Tablette
Die geläufigste Lerndroge Ritalin ist zunächst einmal ein dem Betäubungsmittelgesetz unterstehendes und damit verschreibungspflichtiges, aber legales Medikament. Es wird bei Kindern mit einer ADHS-Erkrankung verschrieben, welche auf einem chemischen Ungleichgewicht des Gehirns basiert und Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, übermässigen Bewegungsdrang und soziale Auffälligkeiten mit sich bringt. Eine Behandlung mit Ritalin lindert diese Symptome und sorgt für eine innerliche Entlastung der Unruhe. Der Wirkstoff des Medikaments nennt sich Methylphenidat und wirkt, indem er gewisse Reizrezeptoren im Gehirn ausschaltet und dadurch eine bessere Konzentrationsfähigkeit gewährleistet.
Aufgrund der gesteigerten Konzentration durch das Medikament wird Ritalin schon lange nicht mehr nur von unruhigen Kindern geschluckt, sondern gewinnt auch in akademischen Kreisen an Zuspruch. Bei gesunden Menschen hat Ritalin ähnliche Wirkung wie Kokain und Speed, weshalb Methylphenidat im Strassenjargon auch als «Kinderkoks» bezeichnet wird, im Gegensatz zu ADHS-Patienten aber eher stimulierend als beruhigend wirkt. Methylphenidat schraubt die allgemeine Hirnaktivität zurück, was den Fokus auf eine Hauptaufgabe einengt und den Impuls, sich mit Unwichtigem wie Facebook, Whatsapp, Essen oder Fernsehen abzulenken, unterdrückt. Unter Einfluss von Methylphenidat berichten Studenten über stundenlange Konzentrationsphasen, was als gute Grundlage für das stupide Auswendiglernen aber- hunderter Karteikarten dienen mag.
Dennoch sind die Effekte zu relativieren: Von Methylphenidat profitieren nur Studierende, die ohnehin schon Konzentrationsschwächen offenbaren. Personen, die sonst auch motiviert und konzentriert arbeiten, erfahren keine signifikante Leistungssteigerung. Darüber hinaus erfährt ein gesundes Gehirn das eventuelle Plus an Konzentrationsfähigkeit gemäss mehreren Studien nur auf Kosten von Kreativität und Assoziationsfähigkeit.
Ungewisse Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen von Ritalin reichen von Herzrasen, Herzklopfen, Appetitlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Depression über visuelle Halluzinationen, Selbstmordgedanken, psychotisches Verhalten sowie Aggressionen oder gewalttätiges Verhalten, insbesondere bei falscher Handhabung. Berichtet wird auch über minutenlanges Verlieren in sinnlosen Details, neblige Schleier im Blickfeld und totale Reizabschirmung, verbunden mit sozialem Rückzug oder mangelnder Ansprechbarkeit. Dass die Dosis nicht über das Körpergewicht, sondern anhand der Schwere der ADHS-Syndrome verabreicht wird, begünstigt eine gefährliche «Handhabung» zudem. Wer sich weniger Sorgen über die Nebenwirkungen des Medikaments macht, da es ja ohnehin an Kinder verschrieben würde, sollte sich im Klaren sein, dass die Langzeitwirkungen bei gesunden Menschen ungewiss sind und der Eingriff in das höchstsensible System des Hirns immer mit unabsehbaren und hochgradig individuellen Folgen verbunden ist. Die Gefahr einer psychischen und physischen Abhängigkeit wird zudem durch auftretende Gewöhnungseffekte erhöht. Generell fallen die Nebenwirkungen aber in den meisten Fällen nicht sehr schlimm aus, weshalb Ritalin auch zu den beliebtesten Lerndrogen zählt. Das Risiko liegt eher bei ungewissen Langzeitfolgen und der Tatsache, dass Methylphenidat in den Stoffhaushalt des Gehirns eingreift und die individuellen Reaktionen schwer voraussehbar sind.
Ungleicher Konsum
Man sollte sich von hysterischen Medienberichten allerdings auch nicht irreleiten lassen, der Einsatz von Ritalin ist hierzulande immer noch ein Minderheitsphänomen. Eine Online-Umfrage des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung aus dem Jahr 2013 unter 6’275 Studenten der Universitäten Zürich und Basel sowie der ETH ergab, dass 4.1 Prozent der Studierenden bereits einmal Ritalin zu Lernzwecken eingesetzt hat, also weniger als jeder Zwanzigste. Allerdings zeigen sich interessante Unterschiede zwischen den Studienfächern. Die grössten Ritalin-Junkies sind die Architekturstudenten: Von ihnen greifen mehr als doppelt so viele auf Neuroenhancer zurück als bei Mathematikern oder Sportler und – wer hätte es gedacht? – auch Wirtschaftsstudenten bedienen sich überdurchschnittlich oft an unerlaubten Hilfsmitteln.
Noch bedeutender als die Unterschiede zwischen Studienrichtungen sind jedoch jene zwischen Ländern. Im angloamerikanischen Raum erfreuen sich Neuroenhancer, insbesondere Modafinil und Adderall, einer deutlich höheren Beliebtheit als an deutschsprachigen Universitäten. An den Ivy-League Universitäten geben rund 20 Prozent der Studenten an, verschreibungspflichtige Medikamente benutzt zu haben.
Zu guter Letzt…
Es ist immer eine persönliche Entscheidung, zu solchen Mitteln zu greifen oder nicht. Wer Prüfungen nur noch mit Hilfe psychoaktiver Substanzen übersteht, wird sich wohl nie ganz sicher sein können, wie viel der Leistung er Kraft seiner eigenen Fähigkeiten erbracht hat und wie sehr er auf die Wirkungen solcher smart drugs angewiesen ist. Wer den Widrigkeiten des studentischen und beruflichen Lebens nur unter Betäubung (denn dies bewirkt Methylphenidat; es betäubt diverse Hirnaktivitäten) gerecht wird, sollte sich fragen, ob das wirklich ein Plus an Lebensqualität mit sich bringt oder die Situation und Anforderungen auf lange Sicht nur noch prekärer macht.
Andererseits haben technische Fortschritte die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft aber bereits ohnehin in unfassbare Dimensionen gebracht, warum die Leistungssteigerung jetzt nicht auch in den menschlichen Organismus übertragen? Am Ende ist Neuroenhancing also nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine ethische Frage, welche jeder für sich selbst zu beantworten hat. Es kann also sicherlich nicht schaden, die Angelegenheit gewissenhaft zu überdenken, bevor man zur kleinen Tablette greift.
Foto: Livia Eichenberger