Zuwanderungsquoten: ja oder nein?

Die Initiative «Raus aus der Sackgasse»  ist die kürzeste in der Geschichte der Schweiz: «Aufgehoben», so der Wortlaut. Durch erneute Abstimmung über den Text der SVP-Zuwanderungsinitiative möchte das Komitee die Kontingentierung der Zuwanderung aus EU-Ländern wieder aufheben.

Thomas Geiser ist in diesem Komitee. Er ist Professor für Privat- und Handelsrecht und nebenamtlicher Bundesrichter.

Matthias Müller studiert im 4. Semester Law & Economics und ist Mitglied im Vorstand der Jungfreisinnigen. Er möchte, dass der Volkswille wortgetreu umgesetzt wird.

Es knirscht im Gebälk. Kaum 15 Monate nach dem historischen Volksentscheid vom 9. Februar 2014 will man diesen wieder rückgängig machen. Die Selbstdemontage nimmt Fahrt auf.

Demokratie als Plage dieser Tage? Eins steht fest: Die Schweizer Elite will den Volksentscheid zur Masseneinwanderungsinitiative wieder rückgängig machen. Man gibt sich volkstümlich und jammert darüber, es seien ja nur knapp 20’000 Stimmen mehr gewesen, sprich eine hauchdünne Mehrheit, die jetzt 49.7 Prozent der Schweiz ihren erzkonservativen Willen aufoktroyieren will. Die Irrtümer auf Seiten der Gegner sind leider eklatant: Die Leute spüren es längst, dass die Politik mit der Personenfreizügigkeit ein Konzept schönredet, das völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Fakt ist: Gerade wegen der Personenfreizügigkeit wird die Schweiz immer unfreier. Die Grenzen bleiben weiterhin sperrangelweit offen. Laufend wird EU-Recht übernommen. Der Nationalstaat Schweiz wird ausgehebelt. Dem Volk wird die Mündigkeit zunehmend abgesprochen und es wird ihm Leichtsinn in diversen Fragen unterstellt.

Warum braucht es eine Quotenregelung?

Bei der Einführung der Personenfreizügigkeit schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft, das Abkommen führe zu «keiner massiven Einwanderung». Ferner hielt eine unabhängige Studie im Auftrag des Bundes fest, dass «das Einwanderungspotenzial (netto) weniger als 8’000 EU-Angehörige pro Jahr erreichen dürfte». Seit der Öffnung 2007 waren es im Schnitt jedoch fast 60’000. Die Behörden haben sich also um den Faktor sieben verschätzt. Zudem wurde zugesichert, dass gerade in schlechten Zeiten die Zuwanderung abnehmen würde. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: In den Krisenjahren 2007 bis 2012 sind 452’397 Personen netto eingewandert. Die Ausländerquote stieg im Zuge dieser Entwicklung auf 24.3 Prozent. Und: Die Schweiz zählt mittlerweile 8’237’000 Menschen. Zur Jahrtausendwende war es rund eine Million weniger. Es wird zunehmend eng in der Schweiz.

Weiter hat die Bevölkerung auch ökonomisch nicht von der Masslosigkeit der Zuwanderung profitieren können – wie dies eine ETH-Studie 2012 zur Überraschung vieler bestätigt hat. Die Produktivitätsentwicklung wurde gar negativ beeinflusst. Der Wohnungsmarkt ist angespannt, gerade wegen des überschnellen Bevölkerungswachstums durch die Zuwanderung. Die Infrastruktur ist massiv überlastet. Die Integration der ausländischen Mitbewohner bereitet hie und da Schwierigkeiten. Das ist gefährlich. Die Leute hierzulande sorgen sich – zu Recht. Der Mittelstand goutiert diese Entwicklung nicht mehr, denn auch er leidet zunehmend am Mangel an Wohnungen, am Stau auf der Strasse und an den vollen Pendlerzügen.

Ferner sind die Befürchtungen über den Ausschluss der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt restlos unbegründet. Die Schweiz hat einen der liberalsten Arbeitsmärkte in ganz Europa. Das Pendant in der EU ist geprägt von Unfreiheit und Regulierung, und produziert Heerscharen von Arbeitslosen. Zudem: Die EU verkauft der Schweiz mehr als umgekehrt. Wird sie einen ihrer besten Kunden einfach so fallenlassen? Nein.

Kurz: Es war folgerichtig, die Zuwanderung künftig einer massvollen Kontrolle zu unterlegen. Das schützt die Bürgerin und den Bürger. Das schützt die Schweiz.

Redaktor Matthias Müller 

Art. 121a der Bundesverfassung, der in der Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 angenommen worden ist, sieht vor, die Zuwanderung in die Schweiz durch Kontingente zu steuern, wobei deren Zahl jährlich nach den gesamtwirtschaftli- chen Interessen der Schweiz festgesetzt werden soll. Ist das sinnvoll?

Wir regeln seit Jahren die Zuwanderung aus dem aussereuropäischen Raum mit Kontingenten. Die neue Bestimmung, die bis zum 9. Februar 2017 durch den Bundesrat auf dem Verordnungsweg ohne jegliche Mitbestimmungsmöglichkeit des Volkes umgesetzt werden soll, falls das Parlament sich auf keinen Gesetzestext einigen kann, dehnt diese Regelung nur auf die Zuwanderung aus dem EU- und EFTA-Raum aus, wobei sich der Umfang der Kontingente nach den Bedürfnissen der Wirtschaft richten soll.

Die Kontingente sind in dem Umfang zu gewähren, in dem die Wirtschaft ausländische Arbeitskräfte benötigt. Die Zuwanderung erfolgte seit den 1960er-Jahren regelmässig so, wie die Wirtschaft Arbeitskräfte benötigte. Eine Beschränkung der Einwanderung wird mit einer so ausgestalteten Kontingentierung nicht bewirkt. Es wird nur die Staatsverwaltung aufgebläht und der Wirtschaft administrativer Aufwand zugemutet. Soll tatsächlich eine Begrenzung erfolgen, müssten einzelnen Wirtschaftszweigen ausländische Arbeitskräfte verwehrt werden. Damit werden keine neuen Arbeitsplätze für Schweizer geschaffen, sondern die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz gebremst, weil es an Fachkräften mangelt. Ein Abbau von Arbeitsplätzen auch für Schweizer und Schweizerinnen – namentlich mit tiefem Ausbildungsstand – ist die Folge. Zudem müsste der Staat entscheiden, welche Wirtschaftsbereiche in der Schweiz betroffen sein sollen: die Spitäler, das Baugewerbe, die Gastwirtschaft oder die Industrie? Fehlende medizinische Betreuung, Bauarbeiten durch ausländische Unternehmen oder Selbstbedienungsrestaurants? Soll dieser Entscheid vom Bundesrat 2017 unter Ausschluss jeder Referendumsmöglichkeit gefällt werden?

Katastrophale Kontingentierung

Das alles ist unsinnig, aber noch relativ harmlos. Art. 121a BV hat aber noch eine katastrophale Dimension. Die Ausdehnung der Kontingentierung auf die EU-Bürger und die Anwendung eines Inländervorranges widerspricht dem in Art. 2 FZA verankerten Diskriminierungsverbot. Mit der Umsetzung von Art. 121a BV wird die Schweiz ihre staatsvertraglichen Verpflichtungen verletzen, vertragsbrüchig werden. Sie ist aber auf die Einhaltung der staatsvertraglichen Verpflichtungen angewiesen. Nur dadurch kann sie ihre Rechte gegenüber anderen Staaten durchsetzen. Wenn sie selber vertragsbrüchig wird, kann sie die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen ihr gegenüber nicht einfordern.

Von daher ist bis jetzt nicht zu sehen – und die bisherigen Vorschläge der Parteien und Behörden haben bis jetzt auch nichts anderes gezeigt –, wie Art. 121a BV umgesetzt werden soll, ohne die von der Schweiz freiwillig und auf demokratischem Weg eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu verletzen oder zu kündigen.

Stimmen wir deshalb über Art. 121a BV noch einmal ab! Die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse» eröffnet genau diese Möglichkeit.

Gastautor Thomas Geiser


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