Random Analog Memories

Um seine USP zu verteidigen, muss der DJ mittlerweile wieder mit Plattenkoffer anreisen. Für Aufmerksamkeit und Likes greift man zu Opas Kamera, anstatt zum Instagram-Filter. Was macht das Analoge so besonders? Eine Spurensuche …

Ein grosser, weisser Schrank steht im Wohnzimmer. Mein achtjähriges Ich spürt die Aura des Verbotenen; «tabu» nennen Māori-Priester den Bann, mit dem heilige Orte belegt sind. Die Plattensammlung meines Vaters ist so ungespielt wie unantastbar. Nach ausdauernder Bettelei stellt er sich vor die Scheiben und ein paar Momente der Spannung später zieht er eine Platte heraus, von deren Cover mich eine buntgekleidete Frau leicht gequält angrinst. Kurzes Kratzen, leises Rauschen, die ersten Akkorde von «My Baby» fluten den Raum, weiter die Steigerung mit «Me and Bobby McGee», dann Höhepunkt und Katastrophe in einem: 106 Sekunden lang krächzt Janis Joplin «Mercedes Benz» von der B-Seite von «Pearl».

Antiquarischer Wert

Verzaubernde Erlebnisse mit dieser vermeintlich obsoleten Technik hatte wohl jeder von uns. Trotzdem war in unserer Kindheit das Audio-Medium der Eltern die CD und als Teenager konsumierte man die pubertären Genre-Spleens via MP3. Diese Entwicklung vom Analogen zum Digitalen durchlief zeitversetzt die Fotografie, die klassischen Techniken hatten nur noch antiquarischen Wert. Grundlegender Unterschied zwischen den Verfahren ist, dass der moderne Datenträger die Bild- oder Toninformation nicht mehr eins zu eins trägt, sondern die kontinuierlichen Inhalte fein zerstückelt und durch Zahlensalat, bestehend aus Nullen und Einsen, repräsentiert. Dies macht den Urlaubsschnappschuss für deinen Computer lesbar und du kannst ihn zu Grenzkosten nahe null vervielfältigen und mit deinen Freunden teilen. Dazwischen nimmt dir eine Reihe von Apps die Arbeit ab, mit giftigen Chemikalien Farbspiele über dein Motiv zu legen – distanziert betrachtet, ist die digitale Option Trumpf: bei Preis, Verfügbarkeit, Einfachheit.

Der Charme des Unvollkommenen

Distanz ist bei Medien, die uns in Zustände von Ekstase oder bittersüssem Erinnern versetzen sollen, natürlich heikel. Lomografie, Fotografie mit sowjetischen Billigkameras, und Polaroid spuken schon seit geraumer Zeit im popkulturellen Unterbewusstsein umher. Ihre blassen, verzerrten Farben und der oft unklare Fokus spiegeln die Wehmut wider, die einen befällt, wenn man ein Treffen mit alten Freunden festhält und sich der Ungewissheit bewusst wird, ob man in einem Jahr noch im selben Kreis feiert. Die Instagram-Ästhetik versucht mit Amaro, Valencia und Konsorten die Optik eines schlecht gelagerten Films zu simulieren, muss aber dank Rechenpower und interner Bildkorrektur an der Einzigartigkeit scheitern, die aus Zufall und Umweltbedingungen entsteht.

Harmonisch statt schal und nackt

Die völlige Computerisierung des Schöpfungsprozesses lässt ein Unbehagen zurück. Der Protagonist des EDM-Schinkens «We Are Your Friends» kann seine künstlerische Blockade erst überwinden, wenn er beginnt, Geräusche und Eindrücke des täglichen Lebens zu sampeln (Hallo, Berlin Calling?). Der Film suggeriert dem Zuschauer, dass diese Brücken in die Lebenswelt der tanzenden Masse erst den Zugang zum Flow erlauben.

Das Abspielen einer Schallplatte führt uns noch auf anderen Wegen in die Klangwelt. Nimmt der Tonarm auf der Platte die eingravierten Schwingungen ab, wirken andere Elemente des Plattenspielers als Resonanzkörper und erzeugen harmonische Obertöne. Der Ursprungsklang wird so angereichert und trägt eine Wärme ins Ohr, welche die exakte Wiedergabe digital vorhandener Information schal und nackt erscheinen lässt. Die Musik trägt den Charakter der Anlage; das Foto ist vom gealterten Objektiv gezeichnet.

Analog erfordert Fokus

Menschen, die leidenschaftlich mit analogen Medien arbeiten, haben vor allem einen Aspekt als reizvoll und herausfordernd genannt: das Handwerk. Natürlich kann ein DJ am Laptop zwei Tracks automatisch synchronisieren, dabei geht aber der Geist der Tätigkeit am Pult verloren, ebenso Feinheiten in Beat und Melodie: Da steckt nicht diese Technik, Erfahrung und Übung drin.

Die analoge Technik zwingt den Kreativen, das Wesentliche zu tun. Wer mit einem fertig gemixten Set auf dem USB-Stick in den Club kommt, hat Zeit zum Tortenwerfen, bietet den Tanzenden aber Musik nur als Nebenelement einer aufmerksamkeitsheischenden Show. Wer versucht, mit einer Analogkamera eine Szenerie einzufangen, nimmt sich für jede einzelne Aufnahme Zeit: Fokus, Blende und Belichtung sind auszutarieren. Der schöpferische Moment gewinnt an Wert und ein bisschen können wir das nachempfinden, wenn wir zuhause vorsichtig die Platte aus der Hülle gleiten lassen, die Scheibe zwischen unseren Fingern drehen und behutsam auf den Plattenteller legen.


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