U-Haft in der Ostschweiz

Wenn der eigene Umgang mit Freiheit und Verantwortung scheitert, kann Knast drohen. Beim Besuch im Untersuchungsgefängnis St. Gallen geht prisma den typischen Klischees über Haftbedingungen auf den Grund.

Vergiss alles, was du bisher über Gefängnisse im TV gesehen hast. In unserem nebeligen Städtchen ist die Welt hinter Gittern bunt. Menschen können Spannungsfelder schaffen, wo keine sind; Räume der Zivilisation schaffen, wo man als Aussenstehender keine vermuten würde. Die positive Atmosphäre mutet fast kitschig an, wenn man durch das Treppenhaus geht und jeder Stock in einer anderen Farbe gestrichen ist. Es gibt sogar ein Zimmer, das in «Cool Down Pink» gestrichen worden ist, was zur Beruhigung dient.

Untersuchungsgefängnis St. Gallen
Untersuchungsgefängnis St. Gallen

Mensch sein

Auch wenn man quasi mitten in der Stadt wohnt, ist ein U-Haft Aufenthalt nicht ganz so komfortabel wie das Leben in den eigenen vier Wänden. Alles ist höchstprofessionell, von der hochmodernen technischen Ausrüstung über das topausgebildete Personal bis hin zur täglichen Essensausgabe, die sogar auf Unverträglichkeiten, Religion und Gesundheit Rücksicht nimmt. Das Essen wird aus dem Kantonskrankenhaus geliefert. Zweimal in der

Woche darf man in den «Wellnessbereich»: 10–15 Minuten alleine duschen. Jede Einzelzelle ist mit TV, Fenster, Schreibtisch, Papier und Bleistift, einer Sitztoilette sowie einem Waschbecken ausgestattet. Eine Stunde pro Tag ist Ausgang im Hof erlaubt und einmal pro Woche Besuch für eine Stunde. Von diesem wird man durch eine Glaswand getrennt. Somit ist direkter Körperkontakt nicht möglich. Zwecks des Persönlichkeitsschutzes wird der Besuchsablauf nicht gefilmt. Ins kantonale Untersuchungsgefängnis werden pro Jahr 1000 Häftlinge mit unterschiedlichstem kulturellen Hintergrund eingeliefert. Würde über dem Eingang stehen «Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein», so wäre dies nicht mal zynisch zu verstehen. Die Menschen sind hier sicher und werden mit Würde betreut, da die Unschuldsvermutung ein hohes Gut ist. Es wird nicht autoritär durchregiert, sondern Menschlichkeit vorgelebt.

Schicksalsgemeinschaft

Laut Andreas Demmel, dem Leiter des Gefängnisses, zeichnet sich ein hochentwickelter Staat auch durch seine hochentwickelte Justiz aus. In St. Gallen ist das keine Floskel, sondern ein Faktum, dem jeden Tag neues Leben eingehaucht wird. Wer sich auf die Suche nach dem typischen Wärter macht, der vernarbt, mit Tattoos und Piercings überzogen, grimmig dreinblickt, wird hier enttäuscht. Der Wärter des 21. Jahrhunderts ist ein diplomierter Justizvollzugsangestellter. Ein Betreuer, der ein sehr vielfältiges Aufgabengebiet hat. Menschen, die dort tagtäglich arbeiten, sind sich bewusst, dass sie eine «Schicksalsgemeinschaft» bilden und die Schaffung einer respektvollen, zwischenmenschlichen Basis mit den U-Häftlingen auch ihre eigene Sicherheit erhöht.

In seinen 16 Jahren hat Demmel nur einen Ausbruch zu verzeichnen gehabt. Warum sollte auch jemand aus so einer ehrwürdigen und innovativ geführten Organisation ausbrechen, in der auf den Passivrauchschutz geachtet wird und einmal pro Woche der Seelsorger kommt?

Bilder: Johannes Kagerer

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