Nichts ist unmöglich und doch ist es uns nicht möglich, uns das Nichts vorzustellen. In aller Welt haben Denker sich daran versucht, uns dem Nichts ein Stück näher zu bringen. Aber es bleibt unvorstellbar.
Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist… meine ganze Weltanschauung. Ein Spiel, das man im Kindesalter noch bedenkenlos spielen konnte, weil man die Annahme traf, dass das Gegenüber die gleiche Welt sähe, wie man selbst. Der Nihilismus stellt diese uniforme Weltanschauung jedoch in Frage, denn wer sagt denn, dass jeder die gleiche Wahrnehmung hat und wenn nicht, welche ist die wahre?
Zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, ist wohl genauso schwer, wie zu bestimmen, was Nichts ist, und doch kann man es einfacher erläutern. Auch wenn wir bezogen auf den Nihilismus nicht alle das Gleiche sehen, so können wir ganz klar sagen, was wir nicht sehen. Wenn ein Mensch sagt, die Wiese sei grün und fünf sagen, sie sei rot, man selbst sie auch als grün wahrnimmt, dann ist diese Wiese trotzdem rot. Die Wahrheit ist somit, was die Mehrheit sieht, auch wenn dies vielleicht nicht der subjektiven Wirklichkeit entspricht. Sich jedoch mit einer objektiven Wirklichkeit auseinanderzusetzen, kann uns Menschen schwer fallen, da wir nicht im Stande sind, uns etwas vorzustellen, das wir so nie wahrgenommen haben.
Wenn man sich Nichts nicht vorstellen kann, weil alles, was wir bis jetzt kennengelernt haben, etwas ist, kann man es jedoch verneinen. Denn schliesslich ist Nichts das Gegenteil von Allem. Das heisst, dass Nichts die Abwesenheit von Allem ist – auch von einem selbst. Es ist kein Ort, kein Gedanke, kein Geräusch, keine Farbe. Nichts ist weder positiv noch negativ, weder glücklich noch traurig.
Moderner Nihilismus
Mit Anbruch des 18. Jahrhunderts haben sich Philosophen wie Nietzsche mit der Negation des Weltbildes auseinandergesetzt und den modernen Nihilismus ins Leben gerufen. Eigentlich beinhaltet dieser die Verneinung von bestimmten natürlichen Gegebenheiten. Von einer Verneinung von Glaubenssätzen über die Verneinung des Systems bis hin zur Verneinung des eigentlichen Selbst. Der moderne Nihilismus setzt also voraus, dass es etwas gibt, etwa eine Wiese. Jedoch möchte er es in der höchstmöglichen Form der Objektivität verstehen können.
Um diese zu erreichen, nimmt er an, dass man das wahrheitsgetreuste Abbild der Realität erhält, wenn man so viele Irrtumsquellen wie möglich aus der Situation heraus nimmt. In Bezug auf die Farbe der Wiese würde man daher alle sinnesbeeinflussenden Faktoren abziehen und käme zu dem Schluss, dass alle diese wahrnehmen können. Jedoch ist die Farbe eine Täuschung der Augen und des Gehirns, da ein Hund eine Wiese keinesfalls als grün wahrnehmen würde. Dieses Extrahieren von Irrtumsquellen kann auf alle Sinne angewandt werden, was dazu führt, dass man im Sinne des modernen Nihilismus schlussendlich bemerkt, dass wir wohl alle auf der gleichen Welt leben, diese jedoch unterschiedlich wahrnehmen. Und eigentlich ist sie, objektiv gesehen, farblos, geschmacklos und sinnfrei.
Von West nach Ost
Jeder, der ein Smartphone besitzt, kennt sie: die drei Äffchen. Oftmals verwenden wir sie zur Verniedlichung von Aussagen, die ansonsten etwas zu plump wären. «Schick mir doch mal ein Nacktfoto von dir», in Verbindung mit einem Äffchen, das sich die Augen zuhält, wirkt schon viel sympathischer als ohne. Doch diese symbolische Verwendung haben die Äffchen vor allem in der westlichen Welt. Hier stehen sie dafür, dass wir etwas überhört haben oder gar nicht erst sehen wollen. Eine passive Ausdruckshaltung, die mangelnde Zivilcourage impliziert und sich sehr von der ursprünglichen Bedeutung unterscheidet.
See no evil, hear no evil, do no evil
Dieser Spruch stammt aus der Buddhistischen Lehre und fand seinen Weg über Indien nach Japan. Im Japanischen wird die Verneinung einer Tätigkeit (zaru) ähnlich ausgesprochen wie Affe (saru), und so wurde der Satz see no evil, hear no evil, do no evil, wohl auch zum ersten Mal in Form von Äffchen abgebildet. Die Äffchen selbst, so glaubt man, stehen unter einem Abwehrzauber und sind nicht fähig, Böses zu sehen, zu hören oder zu sagen. Ob es für sie wohl genauso schwer ist, sich das Böse vorzustellen, wie für uns das Nichts?
Wenn wir an das Nichts denken, dann kommt uns oftmals das Nirwana in den Sinn, und obwohl wir in der westlichen Welt unter Nirwana das Nirgendwo, das Nichts verstehen, so stammt es im Buddhistischen vom Sanskrit ab und bedeutet verwehen. Das Nirwana ist der Austritt aus Samsara, dem ewigen Kreislauf des Lebens und Leidens. Es beinhaltet somit keine erneute Wiedergeburt mehr. Um ins Nirwana zu gelangen, muss man sich von persönlichen Vorstellungen des Daseins lösen und seine Anhaftungen an Samsara loslassen.
Das Nirwana ist somit kein Ort, der erst nach dem Tod erschaffen wird, sondern ein Geisteszustand der inneren Ruhe, welcher zu Lebzeiten erreicht werden kann. Für Menschen, die nie meditiert haben, ist ein solcher Zustand schwer vorstellbar, denn bewusst oder unbewusst denken wir immer. Ähnlich wie der moderne Nihilismus verneint auch der Buddhismus jegliche Form von Daseinsverbundenheit. Und so wie wir uns im Westen das Nichts gar nicht erst vorstellen können, bleibt für den Osten zu sagen, dass es erst einer, nämlich Buddha, geschafft hat, ins Nirwana zu gelangen.
Illustration: Janina Abrashi