Die Digitalisierung macht auch vor den Universitäten nicht halt. Digitales Lehren und MOOCs sind die Buzzwords der Zeit. Letze Woche informierte die HSG, im Juni 2016 den ersten MOOC zu starten. Eine Bestandesaufnahme.
Fast jedem ist es doch schon einmal passiert, dass man aus einem unerfreulichen Grund eine Vorlesung nicht besuchen konnte. In solchen Momenten wäre es angenehm, die verpassten Veranstaltungen ganz einfach übers Internet nachholen zu können. Was zunächst futuristisch erscheinen mag, ist natürlich technisch schon längst möglich. MOOC – Massive Open Online Course – heisst das Stichwort. Egal ob Stanford, MIT oder Harvard: Viele Universitäten bieten heute zahlreiche Kurse über das Internet und damit eine völlig neue Art der Informationsbeschaffung und des Lernens an. In Anbetracht solcher Entwicklungen kommt auch die Universität St. Gallen zunehmend unter Druck. Immer mehr Studenten fordern von der Universität eine modernere Art des Lehrens. Gleichzeitig sind erste Weiterentwicklungen im Gange: MOOCs kommen an die HSG.
Prüfungen auf dem Bildschirm
Schon im vergangenen Herbstsemester rührte Professor Elgar Fleisch die Werbetrommel für eine Testgruppe von 50 Studenten, die als erstes den Kurs «Informations-, Medien- und Technologiemanagement – Digital» besuchen könnten. Mittlerweile findet der Kurs statt und die Studenten haben bereits zwei Zwischenprüfungen hinter sich. Er unterscheide sich stark von der klassischen Vorlesung, bemerkte ein Teilnehmer gegenüber prisma. «Die einzelnen Abschnitte werden auf einer Onlineplattform durch Videos vermittelt und gleich anschliessend muss man Aufgaben zu den Themen lösen. Es gibt jeweils eine wöchentliche Sprechstunde, die aber hauptsächlich zum Klären von Fragen dient.»
Auf die Frage, wie denn das Zwischenfazit bis jetzt ausfalle, entgegnet Fleisch: «Es ist schon ein extremer Aufwand für mich, jedoch sehe ich, was die Studenten können. In den alten Vorlesungen hat man vieles nur oberflächlich behandelt. Die Studenten können nun zwar weniger Themen, aber diese werden sie nicht so schnell vergessen.» Auch die Prüfungen wurden vollkommen digital durchgeführt. Auf zwei Computerräume verteilt, mussten die Teilnehmer jeweils während 60 Minuten zahlreiche Aufgaben lösen. «Im Zentrum steht aufgabenorientiertes Lernen», erläutert Fleisch, man solle eine Problemstellung genauso integrativ wie in einer Firma lösen, denn beim Tun lerne man etwas.
Digital sei unfair
Nicht nur in den betriebswirtschaftlichen Vorlesungen werden Erneuerungen angestrebt. Professor Vito Roberto unternahm einen Versuch, juristische Prüfungen weiterzuentwickeln. Erst im vergangenen Break liess Roberto eine Gruppe von Masterstudenten im Rahmen eines Kurses eine Probeprüfung vollkommen digital auf deren Computern schreiben. Laut Roberto hätten sich im Anschluss gerade einmal ein Drittel der Studenten für eine solche Art von Prüfung ausgesprochen. «Es hat uns alle sehr überrascht», kommentiert Roberto diesen Ausgang. Die Kursteilnehmer brachten in der anschliessenden Diskussion einige Punkte auf, die gegen eine solche Prüfungsform sprechen. Viele machten sich Sorgen, was bei einem Computerausfall geschehen würde und ob ihre Antworten dann alle verloren seien. Als weiterer Punkt wurde Unfairness genannt: Da man auf den Computern schneller schreiben könne als von Hand, hätten gewisse Studenten einen erheblichen Vorteil.
Schon erstaunlich, dass Studenten, die jedes Semester mindestens eine Gruppenarbeit oder ein Paper schreiben müssen, sich derart negativ zu einer solchen Möglichkeit äussern. Die unzähligen Arbeiten an dieser Universität werden sicherlich nicht alle von Hand geschrieben. Zudem kann man davon ausgehen, dass ein Grossteil der Studenten mittlerweile mindestens das Zwei-Finger- wenn nicht sogar das Zehn-Finger-System beherrschen.
Vorlesungen als Auslaufmodell?
Heute gibt es fast keinen Bereich, der sich in den vergangenen 100 Jahren nicht komplett verändert hat. Wir kaufen Kleider über Zalando, diskutieren über Whatsapp und teilen unsere Erinnerungen auf Facebook. Jedoch ist die Art, wie Wissen vermittelt wird, mehrheitlich dieselbe: Wir schauen noch immer auf Folien und hören einer vortragenden Person zu. Gewisse Elemente sind nun zwar digital, aber der Mechanismus dahinter ist immer noch der gleiche. Ob eine Folie ausgedruckt auf einem Hellraumprojektor liegt oder mithilfe von Power-point erstellt wurde, macht auch keinen grossen Unterschied. Wird es also in naher Zukunft keine Vorlesungen mehr geben? Eher nicht. Man muss sich von dem Reflex lösen, dass alles Digitale automatisch besser sein muss.
Die Frage darf nicht lauten: «Sind Vorlesungen besser als Videos?» Sie muss vielmehr lauten: «Welches Medium und welches Tool wird wie am besten eingesetzt, um den Lernprozess zu fördern?» Auch Vito Roberto stellt klar, dass die Frage nicht sei, ob eine Veränderung komme, sondern wann. Fleisch hingegen begegnet MOOCs als Gesamtlösung eher skeptisch. Seiner Meinung nach sei der «On Campus»-Faktor sehr entscheidend. Man müsse den anderen Studenten oder den Professoren persönlich Fragen stellen können. Der Trend gehe momentan sowieso eher Richtung SPOCs – Small Private Online Courses.
HSG in den Startlöchern
Im Vergleich zu anderen Schweizer Universitäten steht die HSG erst am Anfang. Beispielsweise bietet die EPFL momentan um die 50 MOOCs an, die ETH Zürich um die 30. Einige Schweizer Universitäten, wie Genf oder Zürich, sind mittlerweile Mitglieder bei coursera.org, einem der führenden Anbieter, wenn es um die Bereitstellung von MOOCs geht. Im Rahmen von Fleischs Kurs wird zwar eine Plattform namens EDX verwendet, jedoch ist die HSG nicht als offizieller Partner aufgelistet.
Bei genügend Recherche findet man einen Youtube-Account mit den Namen «MOOC Kanal der HSG St. Gallen», jedoch sind bis jetzt gerade einmal zehn Videos hochgeladen. Erst vergangene Woche bestätigte die HSG offiziell, am 13. Juni den ersten MOOC zu «Finanzielle Führung für Nicht-Betriebswirte» zu starten. Das Angebot ist kostenlos, anmelden kann man sich unter HSGx.unisg.ch. Die Aufholjagd hat begonnen.
Bilder Ed Gregory